Die Psychiatrie 2017; 14(03): 136-142
DOI: 10.1055/s-0038-1669686
Original Article
Schattauer GmbH

Depression oder gesundes Leiden? Die Bedeutung der Psychopathologie in der Diagnostik psychischer Erkrankungen

Depression or healthy suffering? The role of psychopathology in the diagnosis of mental disorders
M. Linden
1   Charité Universitätsmedizin Berlin, Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation
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Publication History

Eingegangen: 08 May 2017

Angenommen nach Revision: 12 June 2017

Publication Date:
06 September 2018 (online)

Zusammenfassung

Die Erkennung und diagnostische Einordnung depressiver Störungen erfordert besondere Fachkenntnis, da depressiv Kranke unterschieden werden müssen von Gesunden mit schlechter Stimmung. Die diagnostischen Algorithmen nach ICD-10 oder DSM5 sind dafür nicht geeignet, da die Diagnosedefinition im Wesentlichen auf dem obligaten Leitsymptom der depressiven Verstimmung aufbaut, während die fakultativen Zusatzsymptome unspezifisch sind und diagnoseübergreifend vorkommen und nur zur Bestimmung der aktuellen Syndromschwere dienen. Damit ist das Kernproblem in der Diagnostik depressiver Störungen die psychopathologische Befundung mit einer Abgrenzung eines anhedon depressiven Affekts von vielfältigen sonstigen schlechten Stimmungszuständen. Neben der Affektqualität ist dazu auch der Kontext und die Steuerungsfähigkeit zu beachten. Sowohl eine Unterwie Überdiagnostik haben negative Folgen für den Betroffenen wie die Gesellschaft. Die Psychopathologie muss in der wissenschaftlichen Diskussion wie bei der Ausbildung von Therapeuten angemessene Aufmerksamkeit erfahren.

Summary

The recognition and diagnosis of depressive disorders pose special problems and require special professional expertise. Depression must be discriminated from other forms of bad mood. Diagnostic algorithms alone according to ICD-10 oder DSM5 do not allow to make a diagnosis as they are based on diagnostic criteria, especially the psychopathological depressed mood. Important discriminative features are the quality of the emotion, the context and modulation. Underdiagnosis and overdiagnosis can both have negative consequences. The psychopathologic assessment must get more attention in science and the training of therapists.