Der Klinikarzt 2006; 35(7): 263
DOI: 10.1055/s-2006-949106
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

... und immer wieder Weiterbildung!

A. Grünert
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. Juli 2006 (online)

Wie Joachim Müller-Jung in seinem Beitrag „Medizin mit Abstrichen” in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. Mai 2006 mit Recht befürchtet, droht „der Wirbel um Ärztegehälter, Streiks und um gesundheitspolitische Führungsansprüche in Berlin zusehends eine Entwicklung zu ersticken, die schicksalhafter als jede beliebige monetäre Verhandlungssache des Landes Tausende Patienten beeinflussen kann.” Müller-Jung befasst sich in diesem Beitrag mit der Qualitätssicherung medizinischer Leistungen und der Wirkung getroffener Gegenmaßnahmen mit externen Qualitätsreports und internen klinikeigenen Qualitätsberichten zur Verbreitung wissenschaftlich abgesicherter Behandlungen. Wir halten diese Befürchtungen für berechtigt, doch die Misere hat tiefere Ausmaße.

Schon der uneinheitliche allgemeine Sprachgebrauch und die angewandten Begriffe und Definitionen lassen eine große Willkür erkennen, da sich beim Nachfragen keineswegs als gesichert herausstellt, was unter Qualität und damit auch unter der Qualitätssicherung de facto verstanden wird. Ignoriert wird jedoch auch ein - wie wir meinen - noch schwerer wiegendes weiteres Defizit: die Erfassung, Bewertung und Sicherstellung der professionellen Qualifikation der Ärzte selbst. Es liegt keineswegs ein Automatismus in der Aufrechterhaltung und Sicherstellung der fachlichen Qualifikation nach dem Studium. Weder die Universitäten noch die Standesorganisationen sind dazu ausgestattet, diese Qualifikation im Berufsleben neben der glücklicherweise immer noch funktionierenden fachspezifischen Weiterbildung in der Spezialisierung des Arztes zu ermöglichen oder gar zu gewährleisten.

Wenn formale und inhaltliche Möglichkeiten fehlen, welche die Aktualisierung des Wissens und Könnens der Akademiker im Allgemeinen und der Ärzte im Speziellen sicherstellen können, brauchen wir uns eigentlich nicht wundern, dass das Ergebnis der Patientenversorgung von einer unbekannten Heterogenität und Ungewissheit geprägt ist. Längst spricht der gängige und medienwirksame Diskurs vom lebenslangen Lernen. Dieses Ziel in die Praxis umzusetzen bedarf der Sichtung, Wertung und Entwicklung von Modulen, welche die Wissensinhalte in trainierbarer Qualität formulieren, um so diese Fähigkeiten in der durch die Arbeitsbelastung ohnehin stark überlasteten Zeitachse transferierbar und anwendbar zu machen. Es ist ein Problem unserer Hochleistungsmedizin, die Ärzte in diesem Entwicklungsprozess mitzuführen - und das in einem von Arbeit und Belastungen vollgepackten Arbeitstag, der mit Recht zu den Streikaktionen der letzten Monaten führte.

Man kann das Defizit, welches sich leicht an den Zuständen in den meisten Entwicklungsländern beschreiben lässt, als allgemein erkennbares Problem auch in den hochentwickelten Medizinnationen in einer Allegorie verdeutlichen: Wenn man das beste und allen technischen und künstlerischen Ansprüchen genügende Klavier einkauft - im Sinne der Hardware-Investition - und dazu die besten Partituren der Musik zum Beispiel von Mozart als Software miterwirbt, wird man an Stelle wunderbarer Musik nur Lärm erzeugen, wenn man „für den bestimmungsgemäßen Gebrauch” dieser „Technologien” nicht ausgebildet ist. Der Vorgang der Evaluierung, der Wertbemessung neuer Erkenntnisse und Technologien muss in verbindlicher Weise am besten auf universitärer Ebene erfolgen, da nur so sichergestellt ist, dass Wildwuchs und ungeprüfte, undurchschaubare Neuerungen von einem Arzt dann nicht eingesetzt werden, wenn er aufgrund seiner Tagesbelastung ganz unmöglich die Ernsthaftigkeit dieser Neuerungen bewerten kann.

Der klinikarzt hat sich daher die Darstellung und Vermittlung evaluierten, gesicherten, neuen Wissens im Rahmen seiner monatlichen Schwerpunktprojekte und der Begleitarbeiten auf die Fahnen geschrieben. In jedem Heft präsentieren Experten aus dem jeweiligen behandelten Gebiet evaluiertes Wissen auf dem neuesten Stand, um so jedem praktisch tätigen Arzt - vor allem natürlich in der Klinik, aber auch in der niedergelassenen Praxis - die zeitkritische Auswahl und Anwendung dieses Wissens mit großer Sicherheit zu ermöglichen.

Prof. Dr. Dr. Dr. A. Grünert

Ulm

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