Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1991; 26(1): 17-24
DOI: 10.1055/s-2007-1000531
Allgemeinanästhesie

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sensorische Informationsverarbeitung während Allgemeinanästhesie - Akustisch evozierte 30 - 40 Hz-Oszillation und intraoperative Aufwachreaktion während Sectio caesarea

Sensory Information Processing during General Anaesthesia: Auditory Evoked Neuronal Oscillation and Wakefulness During Caesarean SectionD. Schwender1 , I. Keller2 , B. Daschner1 , Ch. Madler1
  • 1Institut für Anästhesiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. K. Peter)
  • 2Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München (Vorstand: Prof. Dr. E. Pöppel)
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Publication History

Publication Date:
22 January 2008 (online)

Zusammenfassung

Zahlreiche neuropsychologische und neurophysiologische Untersuchungen belegen, daß adäquater Aufnahme und Verarbeitung sensorischer Information eine neuronale 30 - 40 Hz-Oszillation als formale Struktur zugrunde liegt, die sich im akustisch evozierten Potential mittlerer Latenz abbilden läßt. Da die Inzidenz intraoperativer Aufwachreaktionen, unzureichender Bewußtseinsausschaltung mit Perzeption sensorischer Stimuli für Sectio caesarea in Allgemeinanästhesie mit bis zu 40 % angegeben wird, sollte untersucht werden, ob akustisch evozierte neuronale 30 - 40 Hz-Oszillationen mit Zuständen unzureichender Bewußtseinsausschaltung während Sectio caesarea korrelieren. Nach Aufklärung und Einverständnis wurden 21 Patientinnen, die sich einer elektiven Sectio caesarea unterziehen mußten, untersucht. Die Allgemeinanästhesie wurde eingeleitet mit Thiopental (5 mg/kg KG i.v.) und aufrechterhalten mit Thiopental (1 - 2 mg/kg KG i.v.) und 50 % N2O in O2 nach klinischen Zeichen adäquater Anästhesie. Nach Entbindung kam ein balanziertes Anästhesieverfahren mit Fentanyl, Enfluran und 50 % N2O in O2 zur Anwendung. Als Zeichen unzureichender Bewußtseinsausschaltung galten spontanmotorische Bewegungen wie Mimik, Augenöffnen, gezielte Extremitätenbewegungen, gezielte motorische Bewegungen nach akustischer Stimulation (Reiz A: schreiender Säugling, Reiz B: klassische Klaviermusik) sowie 1 Stunde und 24 Stunden postoperativ geschilderte intraoperative Traumerlebnisse und Halluzinationen und Erleben realer intraoperativer Geschehnisse. Akustisch evozierte Potentiale wurden on-line vor und während Allgemeinanästhesie über den ganzen Untersuchungszeitraum abgeleitet. Identifiziert wurden die Gipfel V, Na, Pa und ihre Latenzen vermessen. Eine Fast-Fourier-Transform-Analyse ermittelte die Energieanteile der einzelnen Frequenzkomponenten und erstellte ein korrespondierendes Energiespektrum des akustisch evozierten Potentials. Spontanmotorische Aufwachreaktionen waren z. T. mehrfach bei 60 % der Patientinnen zu beobachten und erlaubten keine Korrelation zu klinischen Zeichen ausreichender Anästhesie und den gemessenen Herz-Kreislaufparametern. Provozierte motorische Aufwachreaktionen waren viermal so häufig nach Reiz A wie nach Reiz B zu beobachten. Über intraoperative Traumerlebnisse berichteten 43 % der Patientinnen eine Stunde postoperativ und 9,5 % der Patientinnen 24 Stunden postoperativ. 9,5 % der Patientinnen erinnerten chirurgische Manipulationen wie Hautinzision und Abstopfen des Oberbauches. In den akustisch evozierten Potentialen der wachen Patientinnen zeigten die Gipfel V, Na, Pa eine normale Latenz. Eine 30 - 40 Hz-Oszillation im Bereich der mittleren Latenz war energetisch dominant. Unter adäquater Allgemeinanästhesie wurde die neuronale 30 - 40 Hz-Oszillation unterdrückt, das Energiemaximum des AEP verschob sich in den niederfrequenten Bereich. Während spontaner oder provozierter Aufwachreaktionen sowie bei den Patientinnen, die über Traumerlebnisse und intraoperative Wahrnehmung berichteten, zeigten die akustisch evozierten Potentiale im Bereich der mittleren Latenz deutliche neuronale Oszillationen, in denen Frequenzanteile im Bereich von 30 - 40 Hz energetisch dominierten. Akustisch evozierte 30 - 40 Hz-Oszillationen korrelierten mit klinischen Zeichen unzureichender Bewußtseinsausschaltung während Allgemeinanästhesie. Die zentrale Verarbeitung eines Sinnesreizes erscheint mit einer neuronalen Oszillation dieses Frequenzbereiches korreliert zu sein, die als strukturelle Rahmenbedingung der adäquaten Aufnahme und Verarbeitung sensorischer Information als Voraussetzung zugrunde liegt. In der vorliegenden Untersuchung erweisen sich akustisch evozierte Potentiale und ihre korrespondierenden Energiespektren als guter Parameter zur Erfassung zentraler Informationsverarbeitungsprozesse. Die im akustisch evozierten Potential sich darstellende 30 - 40 Hz-Oszillation erweist sich als vielversprechender methodischer Ansatz eines zerebralen Monitorings für adäquate Bewußtseinsausschaltung während Allgemeinanästhesie.

Summary

Neuropsychological and neurophysiological investigations indicate that the underlying framework of adequate sensory information processing is a 30 - 40 Hz oscillatory brain mechanism, which also can be observed in midlatency anditory evoked potentials (MLA-EP). Since high incidence of stimuli perception and wakefulness is a phenomenon during Caesarean section under general anaesthesia it was studied if auditory evoked 30 - 40 Hz oscillation correlate with intraoperative wakefulness during this surgical procedure. Following informed consent, 21 patients were selected for elective Caesarean section. Anaesthesia was induced with thiopentone (5 mg/kg b.w. i. v.) and maintained with thiopentone bolus injection (1 - 2 mg/kg b.w. i. v). and O2/N2O 1:1 according to clinical signs of adequate anaesthesia. After delivery, a balanced anaesthetic technique using fentanyl, enflurane and N2O in O2 1:1 was employed. Clinical signs of intraoperative wakefulness were spontaneous movements of the limbs, mimics, eye-opening, wakefulness after auditory stimulation (tape A: crying baby, tape B: classical music), one hour and 24 hours postoperatively reported dreams, hallucinations and detailed reports about intraoperative events. Auditory evoked potentials were recorded on-line before and during general anaesthesia, during the entire surgical procedure.

Latencies of the peaks V, Na, Pa were measured. Employing Fast-Fourier transformation analysis, corresponding power spectra were calculated to analyse energy portions of AEP's frequency components. Spontaneous motoric movements occurred in 60 % of the patients and did not correlate with heart rate, blood pressure or other clinical signs of inadequate anaesthesia. Provoked motoric reactions were 4 times as often after presentation of tape A as after tape B. Dreams and hallucinations were reported by 43 % of the patients 1 hour postoperatively and 9.5 % 24 hours postoperatively. 9.5 % perceived intraoperative surgical manipulations. In all awake individuals, peak-latencies were in the normal range. In the MLAEP a 30 - 40 Hz-oscillation was energetically predominant. Under adequate levels of general anaesthesia the auditory evoked neuronal oscillation was suppressed and the 30 - 40 Hz leading frequency shifted to the low-frequency range. During spontaneous or provoked motoric reactions and in the patients who reported intraoperative dreams, hallucinations and perception of intraoperative events, MLAEP reinstituted oscillatory waveform with a 30 - 40 Hz energy predominance. Auditory evoked 30 - 40 Hz oscillation correlates with clinical signs of intraoperative wakefulness. The results strongly support the assumption that the underlying framework of sensory information processing is a stimulus-dependent oscillatory brain mechanism. MLAEP monitoring during general anaesthesia is a promising method to uncover inadequate suppression of sensory information processing and inadequate anaesthesia.

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