Geburtshilfe Frauenheilkd 1994; 54(11): 617-622
DOI: 10.1055/s-2007-1022352
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wehen, Geburtsmodus und maternofetale Transmission von HIV*

Labour, Mode of Parturition and Maternofetal Transmission of HIVA. P. A. Schäfer1 , M. A. Koch2 , Ilse Grosch-Wörner3 , W. Friedmann1 , J. W. Dudenhausen1
  • 1Frauenklinik des Universitätsklinikums Rudolf Virchow, Berlin
  • 2Nationales AIDS-Zentrum des Bundesgesundheitsamtes, Berlin
  • 3Kinderklinik des Universitätsklinikum Rudolf Virchow, Berlin
* Die Studie wurde durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert.
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
18. März 2008 (online)

Zusammenfassung

Von 1985 bis 1992 wurden 80 HIV-infizierte Frauen im Rahmen einer prospektiven Studie der Universitäts-Frauenklinik Berlin-Charlottenburg entbunden. Das mittlere Schwangerschaftsalter war 38 Wochen. Bis 1988 wurde bei 45 Patientinnen eine präventive Sektio durchgeführt. Unter dem allgemein geteilten Eindruck, daß der Entbindungsmodus keinen Einfluß auf die Häufigkeit der HIV-Infektion des neugeborenen Kindes hat, wurden ab 1988 spontane Entbindungen (n = 35) angestrebt. Kein Kind wurde gestillt. Drei spontan geborene Kinder starben, bevor der Infektionsstatus geklärt werden konnte. 77 Kinder wurden für über 1,5 Jahre in vierteljährlichem Abstand untersucht. Insgesamt wurde bei 10 Kindern klinisch, serologisch und virologisch eine HIV-Infektion nachgewiesen. Bei 32 Frauen mit einer Spontangeburt oder sekundärer Sektio aus geburtshilflicher Indikation fanden sich 8 infizierte Kinder. Bei 26 Müttern, die nach unauffälligem Verlauf der Schwangerschaft durch primäre Sektio am wehenfreien Uterus entbunden wurden, fand sich kein infiziertes Kind. Unter den Kindern von 19 Frauen, die durch Sektio entbunden wurden, die aber kurzfristig vor der Sektio Wehen hatten oder während der Schwangerschaft wegen therapiepflichtiger vorzeitiger Wehen behandelt wurden, waren 2 infiziert. Beim Vergleich zwischen Frauen mit primärer Sektio und Frauen, die vaginal oder durch sekundäre Sektio entbunden wurden, fanden sich keine Unterschiede in der Zahl der CD4±-Zellen sowie der p24-Antigenämie. Die Analyse des Infektionsrisikos für das Kind ergab eine Beziehung zu vorzeitigen Wehen (p< 0,01) und dem Entbindungsmodus (p< 0,01). Innerhalb der Gruppe der spontan oder über sekundäre Sektio geborenen Kinder fand sich auch eine Beziehung zum Ausmaß der bei der Mutter gefundenen CD4±-Zell-Depletion (p = 0,001) und der HIV-Transmission, dagegen nicht zur Dauer der Wehen oder zur Zeitdauer des Blasensprunges bis zur Geburt bei termingerechten Wehen. Diese Befunde stärken die Annahme, daß Wehen - entweder als vorzeitige Wehen oder als Wehen bei der Spontangeburt - zumindest mit einem Teil der Infektionen bei Kindern HIV-infizierter Mütter in Verbindung zu bringen sind. Mit der Wehengenese ist ein plötzlicher Anstieg von inflammatorischen Zytokinen und Chemotaktika an der maternofetalen Grenzschicht verbunden. Die Stimulation von maternalen Immunzellen kann - wenn diese Zellen HIV-infiziert sind - zur verstärkten Produktion und Freisetzung von infektiösem HIV führen. Das Virus kann lokal akkumulieren und Zugang zum Fruchtwasser gewinnen. Da der Fet kontinuierlich Fruchtwasser verschluckt, bildet sein Alveolargebiet und der Gastrointestinaltrakt die größte Eintrittspforte für HIV. Bei der Prävention einer Infektion des Kindes einer HIV-infizierten Mutter kommt der Verhinderung von Wehen während der Schwangerschaft und der Entbindung oder dem Schutz des Feten durch Virustatika vor einer HIV-Proliferation bei Wehen eine besondere Bedeutung zu.

Abstract

Within a prospective study of the course of HIV-infection in women, 80 HIV-infected women without AIDS were delivered of 80 children between 1985 and September 1992. The median of the age of gestation was 38 weeks. Until 1988 Caesarean section was chosen as mode of delivery (45 womon). Later when the mode of delivery appeared to have no influence on the frequency of maternofetal HIV transmission, vaginal delivery was preferred (35 women). None of the infants was breastfed. Three infants - delivered vaginally - died within the first 6 months of life before their infection status could be determined. Seventy-seven children could be observed for 18 months or longer regularly every three months. 10 of the 77 children were found to be HIV- infected by serological, virological and clinical criteria. Taking into account the mode of delivery, of 32 children who were delivered vaginally or by emergency Caesarean section 8 were found to be HIV-infected. None of 26 children delivered by elective Caesarean section after an uneventful pregnancy is infected. In 19 women Caesarean section was performed within 2 hours after onset of labour or after episodes of preterm labour which required hospital admission for treatment. Two children of these wome are infected. No differences of CD4 + cell counts and p24 antigenaemia could be determined between the mothers of the three groups. The risk of fetal HIV infection was increased by preterm labour (p< 0,01) and the mode of delivery (p<0,01). A correlation between loss of CD4 cells in the mother and increased risk of infection for the child is seen in children born spontaneously or delivered by emergency Caesarean section (p < 0,001). No correlation was found between the length of labour at delivery, the time of the rupture of membranes before birth as well as of the parity and the risk of fetal infection in that group. These findings point to labour as an important factor which increases the risk of maternofetal transmission of HIV. The onset of labour is accompanied by dramatic immunological alterations as a sudden increase of chemotactics and inflammatory cytokines at the maternofetal interface. The accumulation and stimulation of maternal immune cells will - if these cells are carriers of HIV - result in production and release of infectious HIV. This virus may accumulate in the maternofetal interface or gain access to the amniotic cavity. Since amniotic fluid is swallowed by the fetus, the largest potential port of entry for HIV in the fetus are the fetal lungs and the gastrointestinal tract. For the prevention of maternofetal transmission of HIV delivery before onset of labour or alternatively the protection of the fetus during parturition by means of potent antiviral compounds can be considered.

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