Pneumologie 2007; 61(8): 522-524
DOI: 10.1055/s-2007-959238
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ein deutscher Soldatenfriedhof in der Schweiz

A German Military Cemetery in SwitzerlandM.  Petzoldt1
  • 1Klinikpfarrer, Deutsches Evangelisches Klinikpfarramt Davos, an der Hochgebirgsklinik Davos
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Publication Date:
05 June 2007 (online)

Die Hochgebirgsklinik Davos - mittlerweile die einzige deutsche Klinik in der Schweiz - bewahrt auf ihrem großen Areal einen Friedhof mit den Ruhestätten deutscher Soldaten, ein nur scheinbar historischer Widerspruch, der sich in diesem Beitrag noch auflösen wird. Wechselhafte 11 Jahrzehnte liegen hinter der Hochgebirgsklinik Davos. Heute versteht sich die Klinik als internationales Zentrum zur Behandlung von allergischen und nicht-allergischen Erkrankungen der Atemwege und der Lunge, der Haut und der Augen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Es bestehen Verträge mit der deutschen Kranken- und Rentenversicherung. Durch das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und EU-Europa in Verbindung mit dem Vertragsarztrecht-Änderungsgesetz sind die Rechte der Inanspruchnahme dieses einzigartigen Angebotes im Hochgebirge für Versicherte der deutschen Sozialversicherung deutlich gestärkt worden.

Wer von der Kulmer Passhöhe hinunter ins Davoser Tal wandert und zunächst der Autostraße Klosters - Davos folgt, betritt rechterhand nach wenigen Schritten das Gelände der Hochgebirgsklinik Davos. Auf dem Wege durch alten Baumbestand zur Klinik trifft man bald auf ein durch eine niedrige Natursteinmauer abgegrenztes Areal. Hält man, neugierig geworden, inne, findet man einen gepflegten Friedhof mit gleichförmigen, schlichten Grabsteinen ([Abb. 1]), nach deren Inschriften hier deutsche Soldaten ruhen.

Abb. 1 Internierten-Ehrenfriedhof (Archivbild).

In diesem Jahr jährt sich zum 89. Male, dass am Ende des 1. Weltkrieges deutsche Soldaten , die zur Tuberkulose-Behandlung in die neutrale Schweiz geschickt worden waren und hier verstarben, auf einem kleinen Waldstück innerhalb des Geländes der deutschen Hochgebirgsklinik Davos Wolfgang ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

Wie kam es dazu?

Davos gilt mit 1560 Metern ü. M. als höchstgelegene Stadt Europas und war seit dem Wirken des aus Mannheim stammenden Arztes Alexander Spengler als Kurort für die damals nicht medikamentös behandelbare Tuberkulose weltbekannt geworden. Herman Burchard, wohlhabender Kaufmannssohn aus Hamburg, war 1890 nach Davos gekommen, hatte hier Heilung seines schweren Leidens erfahren und rief daraufhin aus Dankbarkeit und christlicher Überzeugung die „Deutsche Heilstätte Wolfgang” ins Leben. Zweck dieser Stiftung war „die Behandlung von erkrankten Personen mit der Maßgabe, dass ohne Ansehen von Konfession oder Nationalität vornehmlich minderbemittelte Patienten aufgenommen werden sollten”.

Während des 1. Weltkrieges war der Patientenstrom nach Davos zurückgegangen. Viele Kliniken standen nahezu leer. Die am Krieg beteiligten Länder einigten sich darauf, Schwerverwundete und Kranke auszutauschen, beziehungsweise in der neutralen Schweiz kurieren zu lassen. Robert Deininger schreibt:

„Die ersten kamen am 26. Januar 1916 in dem Hochgebirgsort an. In der Höhenklinik „Valbella” [1] kurierten deutsche Soldaten durch Giftgas verursachte Lungenschäden und Tuberkulose aus, woran nicht wenige erkrankten. In einer Untersuchung ist vermerkt, dass im Ersten Weltkrieg 28 Prozent aller im Feld erkrankten Soldaten an dieser Krankheit litten. Zwischen 1916 und 1919 wurden in Davos und seiner Umgebung rund 2500 Kriegsteilnehmer behandelt. Viele starben und wurden auf dem alten Davoser Friedhof beigesetzt (mit militärischen Ehren; zunächst gab die Ehrensalve ein Zug Schweizer Soldaten ab, später nur ein Chargierter mit einer Pistole). Diese Gräber wurden später eingeebnet” [1] .

Wegen seines heilkräftigen Klimas hat Davos Weltruf erlangt und kam nun in die Situation, dass Soldaten, die sich während des Krieges feindlich gegenüberstanden jetzt am gleichen Ort sich begegneten und gleicherweise auf ärztliche Hilfe angewiesen waren. Neue Möglichkeiten für die getrennte Unterbringung und die Behandlung der betroffenen Soldaten mussten gesucht werden. Zur Standortfindung und zur Beschreibung des Krankheitsverlaufes heißt es im Ärztlichen Bericht der Militärabteilung III der Deutschen Heilstätte in Davos vom 21.9.1918:

„Die Militärabteilung der Deutschen Heilstätte in Davos wurde am 1. Oktober 1918 eröffnet. Sie ist untergebracht in dem für diesen Zweck gepachteten, etwa in der Mitte zwischen Davos-Platz und Davos-Dorf in geschützter, sonniger etwas erhöhter Lage gelegenen früheren Hotel „Bellavista” [2] . Das Haus ist hygienisch vollkommen eingerichtet und bietet Raum zur Aufnahme von 50 Militärpersonen. Die für den Betrieb einer Lungenheilstätte erforderlichen Nebenräume (Untersuchungszimmer, Laboratorium, Desinfektionsraum usw.) konnten in den vorhandenen Räumlichkeiten zweckentsprechend untergebracht werden, so dass bauliche Veränderungen nicht erforderlich waren.

Die Belegung des Hauses erfolgte allmählich in der ersten Hälfte des Oktobers. Aufgenommen waren 47 Fälle von Lungentuberkulose (darunter 18 geschlossene, 23 offene), 1 Fall von Wirbeltuberkulose und 1 Fall von Rekonvaleszenz nach Grippe und Lungenentzündung. Die Lungentuberkulosen sind nach dem Erkrankungszustand der Lungen in folgenden Stadien (nach Turban/Gerhard) zu verteilen:

Stadium I 18 Stadium II 15 Stadium III 14 Fälle.

An Komplikationen kamen vor: vier Mal akute fieberhafte Bronchitis, ein Mal akute Laryngitis, ein Mal Kehlkopftuberkulose, ein Mal Darmtuberkulose, ein Mal Haemoptoe, ein Mal Spontan-Pneumothorax, zwei Mal chronische Pleuritis, ein Mal Spondylitis ankylopoetica, ein Mal periproktitischer Abszess, ein Mal Urticaria, ein Mal chronische Herzmuskelentzündung.

Unter den 3 Entlassenen befanden sich zwei Fälle von geschlossener Lungentuberkulose des ersten Stadiums (ohne Bazillen aufgenommen und ohne Bazillen entlassen) und ein Fall von Rekonvaleszenz nach Grippe und Lungenentzündung.

Die Behandlung war vorwiegend hygienisch-diätetisch. In einzelnen Fällen wurden Sonnenbäder verordnet. Von spezifischen Präparaten wurden Alt-Tuberkulin Koch und I. K. Spengler angewandt. Statistische Angaben und weitere Mitteilungen über die Erfolge der Behandlung sind wegen der Kürze der Behandlungszeit noch nicht möglich” [2].

Neben der Unterbringung in dem eben erwähnten ehemaligen Hotel Bellavista fanden die erkrankten deutschen Soldaten Aufnahme in dem 1919 vom Deutschen Reich übernommenen „Deutschen Kriegerkurhaus”, das nach dem 2. Weltkrieg schließlich von der Bundesrepublik Deutschland als „Höhenklinik Valbella” bis zum Jahr 2004 weitergeführt wurde. Die noch verbliebenen behandlungsbedürftigen 29 Patienten in der „Militärabteilung der Heilstätte” wurden schlussendlich, als das Deutsche Reich keine Mittel mehr bereitstellte, im September 1919 in der Deutschen Heilstätte in Davos-Wolfgang aufgenommen [3].

„Schon Anfang 1917 erklärte sich der Vorstand der Heilstätte bereit, im Park nahe der Passhöhe das Gelände für einen Kriegerfriedhof zur Verfügung zu stellen. Herman und Olga Burchard bestritten die Kosten” [4] .

Im Entwurf zum Vertrag der Deutschen Heilstätte Davos mit dem Deutschen Reich vom 6. Juni 1918 heißt es: „Die Deutsche Heilstätte in Wolfgang bei Davos, vertreten durch ihren Vorstand, überlässt dem Deutschen Reichsfiskus, vertreten durch die Abteilung für Gefangenenfragen bei der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft in Bern, am Nordwestrand des Heilstätten-Besitztums ein Waldstück zu freiem Eigentum zwecks Bestattung der während ihres Aufenthaltes in Davos verstorbenen Internierten. Das Waldstück ist ungefähr 2000qm groß und wird von Seiten des Reichsfiskus mit einer Mauer vom übrigen Heilstättenbesitz wie vom Nachbargrundstück abgegrenzt.

Die Deutsche Heilstätte überlässt dem Deutschen Reichsfiskus das Stück Land ohne jede Kosten und räumt ihm das dauernde Ruherecht für die verstorbenen Internierten ein.
Der Platz darf nie anderen Zwecken nutzbar gemacht werden und bleibt nach erfolgter Herstellung nur seiner Bestimmung erhalten. Der Deutsche Reichsfiskus verpflichtet sich, den Platz als würdigen Waldfriedhof herzurichten”
[5] .

Nach erfolgter Fertigstellung des Friedhofes übernahm die Deutsche Heilstätte die dauernde Pflege des Ganzen und verpflichtete sich, ihn immer in würdigem Zustand zu erhalten. Somit war die Voraussetzung geschaffen, dass nach Kriegsende die in Davos verstorbenen deutschen Armeeangehörigen auf dem alten Friedhof in Davos exhumiert und auf den am 27. Oktober 1918 eingeweihten Wolfgang-Ehrenfriedhof umgebettet werden konnten ([Abb. 2] u. [Abb. 3]). Es waren zunächst 43, später kamen noch etliche hinzu, so dass nun neben den 53 Soldaten und Offizieren fünf Zivilinternierte, ein weiterer Zivilist sowie der im Jahr 1923 verstorbene Gründer und Stifter Dr. Ulrich Hermann Burchard nebst Frau (verstorben 1953; [Abb. 4]), deren Tochter (verstorben 1923) und deren Sohn Dr. Julius F. W. Burchard (verstorben 1999) im Wolfgang-Gräberfeld ruhen.

Abb. 2 Grabstelle (Foto M. Petzoldt).

Abb. 3 Grabstelle (Foto M. Petzoldt).

Abb. 4 Grabstelle der Familie Burchard (Foto M. Petzoldt).

In einer der damaligen Tageszeitungen, „Davoser Blätter”, vom 9.11.1918 ist zu lesen: „Der deutsche Internierten-Ehrenfriedhof in Davos-Wolfgang wurde am vorletzten Sonntag in aller Stille von der Deutschen Heilstätte in Pflege übernommen. Herr Hauptmann von Zitzewitz sprach im Namen der Internierten einige Worte des Dankes, worauf Herr Konsul Burchard in tiefempfundener Rede erwiderte. Er gedachte der Toten und ihres Kriegsherrn, des deutschen Kaisers, der stets der Heilstätte seinen besonderen Schutz angedeihen ließ, dankte Herrn Architekt Klein, der die von Herrn Professor Gaul in Berlin für den Ehrenfriedhof gegebenen Anregungen treulich durchführte, und den internierten Arbeitern, denen die Herstellung so trefflich gelang. Zum Schluss versprach er, dass die deutsche Heilstätte allezeit den Friedhof sorgsam pflegen werde, um so durch ehrendes Gedächtnis der toten Helden den Dank des Vaterlandes abzustatten” [6] .

Dr. Julius Burchard beschreibt in seinem zurückblickenden Bericht vom 7. Februar 1981 die Ereignisse während und nach dem Ersten Weltkrieg: „Wir hatten damals nicht nur internierte deutsche Soldaten, sondern es wurden in Davos auch lungenkranke verwundete Kämpfer der Westmächte versorgt” [7] .

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es dem überlegten Handeln und dem mutigen Einsatz vom Vorstand der Heilstätte Wolfgang und dem Gründerehepaar Herman und Olga Burchard zu verdanken ist, dass die während des 1. Weltkrieges an Tuberkulose erkrankten und in Davos verstorbenen deutschen Soldaten eine gemeinsame Ruhestätte gefunden haben. Johannes Seelaender erwähnt in seiner Abhandlung „Soldatenfriedhof Davos Wolfgang” [8]: „Geblieben ist der Ehrenfriedhof mit seinen fast 60 Soldatengräbern und der Ruhestätte der Gründerfamilie Burchard. Er präsentiert sich, gepflegt und einladend und regt zu Ruhe, Besinnung und Gebet an. An zentraler Stelle des kleinen Waldfriedhofes befindet sich eine steinerne überdachte Gedenkstätte, eine schlichte, kleine Ehrenhalle mit dem Kaiser-Wilhelm-Kreuz und einem Gedenkstein, der die folgende Inschrift trägt ([Abb. 5]):

HIER RUHEN IN FRIEDEN
DEUTSCHE KRIEGER
IN GASTLICHER FREMDE
FERN DER HEIMAT
STARBEN AUCH SIE
FÜR DAS VATERLAND

Abb. 5 Ruhestätte (Foto M. Petzoldt).

Literatur

  • 1 Deininger R. Letzte Ruhe in Davos. Deutsche Soldaten in neutraler Schweiz bestattet. Stimme und Weg. 2/2001
  • 2 Ärztlicher Bericht der Militärabteilung III der Deutschen Heilstätte in Davos vom 21.9.1918 in Stiftungsratsarchiv der Hochgebirgsklinik Davos. 
  • 3 Burchard J FW. Deutsche Heilstätte Davos und Agra. In: Stiftungsratsarchiv der Hochgebirgsklinik Davos. S. 24f. 1897 - 1918
  • 4 das. 
  • 5 Entwurf zum Vertrag der Deutschen Heilstätte Davos mit dem Deutschen Reich vom 6. Juni 1918. In: Stiftungsratsarchiv der Hochgebirgsklinik Davos.
  • 6 Davoser Blätter .Friedhof der Internierten in Wolfgang. In: Dokumentationsbibliothek Davos. 1918, Nr. 41
  • 7 Labedzke R. Geschichtliche Anmerkungen zur Hochgebirgsklinik Davos Wolfgang. In: Stiftungsratsarchiv der Hochgebirgsklinik Davos. S. 19 August 2003
  • 8 Seelaender J. Soldatenfriedhof Davos Wolfgang, 2. überarbeitete Ausgabe. In: Dokumentationsbibliothek Davos. S.6 zusammengestellt im September 1989

1 rätoromanisch: bedeutet „Schönes Tal.”

2 rätoromanisch: bedeutet „Schöne Aussicht.”

Michael Petzoldt

Deutsches Evangelisches Klinikpfarramt, Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang

7265 Davos-Wolfgang

Schweiz

Email: michael.petzoldt@hgk.ch

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