Endo-Praxis 2006; 1(3): 5
DOI: 10.1055/s-2007-982014
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Virtuelle Koloskopie - Verbesserung der Versorgung oder Marketinginstrument?

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Publication Date:
25 May 2007 (online)

Die virtuelle Koloskopie ist auf dem Vormarsch, so suggerieren einschlägig berufene Kreise immer wieder. Wir wissen jedoch, alleine die Wiederholung einer Nachricht erhöht nicht alleine deren Wahrheitsgehalt.

Wenn man zusätzlich noch für einen Patienten, wie kürzlich in der eigenen Klinik geschehen, nach einer auswärtig erhobenen „virtuellen Koloskopie” mit dem Nebenbefund einer verdickten Magenwand als Empfehlung eine „virtuelle Gastroskopie” in der Beurteilung findet, ist die Erwähnung von Fakten für die aktuelle und zukünftige Beurteilung dieser Methode sicher hilfreich und mehr als notwendig.

Die flächendeckende Versorgung mit entsprechend ausgerüsteten Tomographen zur Durchführung von Vorsorgekoloskopien mag der Wunsch vieler Kollegen sein, indes wird dies bisher nicht durch die Datenlage der vorliegenden Studien gestützt und eine voreilige Etablierung entsprechender Versorgungsstrukturen schafft nur Voraussetzungen, die eventuell unnütz, um nicht zu sagen schädlich sind. Dies erzeugt einen Park von Großgeräten, der als Resultat selbstpertuierend seine Nachfrager (Patienten) sucht!

Dies ist dann sicher keine Evidenz basierte Medizin mehr. Auch über Kosten-Effektivitäts-Analysen solcher Strukturen darf man dann gespannt sein, die z. B. für die Stuhltestung auf okkultes Blut und die Koloskopie bereits wissenschaftlich gesichert bestehen.

Während sich für die diagnostische Darstellung von Gallen- und Pankreasgängen die MCRP als alternatives Verfahren etabliert hat und die Gefahr der Pankreatitis nach einer diagnostischen ERCP reduziert werden kann, sind andere virtuelle Verfahren des Gastrointestinaltraktes häufig experimentell oder nur in den Händen des Erfahrenen oder an den für die Studie genutzten Geräten vergleichbar.

Hier ist auch die virtuelle Koloskopie ganz am Beginn und weisst noch gravierende Nachteile auf. So sind z. B. flache Polypen genauso wenig nachzuweisen wie kleine Polypen unter 10mm oder Befunde wie Angiodysplasien, Pseudomembranen oder Ulzerationen. Hier zu argumentieren, dass kleine Befunde auch eine geringe pathogene Potenz besitzen würden, würde die Akzeptierung einer bestimmten Schwelle einer Läsion bedeuten und damit auch die Sicherheit für den Patienten unterhalb der Grenze voraussetzen. Dies ist aber z. B. insbesondere bei flachen Polypen eine falsche Sicherheit. Ganz zu schweigen von der übersehenen Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung oder einer Angiodysplasie bei intestinaler Blutung.

Natürlich ist der Vergleich, die Konkurrenz verschiedener Untersuchungsverfahren und der damit entstehende Entwicklungsdruck potentiell zum Vorteil der Patienten. Dies gilt aber nur unter Berücksichtigung wissenschaftlich interpretierter Daten und deren nachfolgender Überprüfung im praktischen Alltag. Alleine ein fortschrittliches Marketing generiert keinen Fortschritt der Methode und keinen Benefit für den Patienten.

Das parallele Vorhalten gleichwertiger Verfahren macht zudem auch grundsätzlich keinen Sinn und muss über kurz oder lang zum berechtigten Verschwinden einer der Methoden führen. Viel mehr noch muss das für zwei Methoden gelten, deren Wertigkeit aktuell weit zugunsten einer der Methoden ausschlägt.

Durch ausreichende Sedierung während der Koloskopie ist heute die am meisten von den Patienten geäußerte Beschwerde die subjektiv belastende Darmreinigung, die natürlich auch bei der virtuellen Koloskopie anfällt. Die Häufigkeit von Polypen, die im Rahmen der in Deutschland etablierten Daten der Vorsorgekoloskopie in den letzten 4 Jahren generiert wurden, liegen bei bis zu 20 %.

Alle diese Patienten wären nach einer primär durchgeführten virtuellen Koloskopie dann zur Polypektomie erneut und damit doppelt zu untersuchen. Dies wäre ein Vorgehen, dass wir und Berücksichtigung der Patientenbelastung, aber auch der ökonomischen Ressourcen keinesfalls akzeptieren können.

Selbstverständlich ist auch die Methode der aktuellen endoskopischen Koloskopie zu überprüfen und befindet sich nicht nur unter dem Druck der virtuellen Koloskopie. Nicht-invasive Verfahren wie Stuhlbluttests der neueren Generation, neue Suchverfahren für Tumormarker mit Hilfe der Proteomanalyse sollten hier genauso erwähnt werden wie neue Generation der Kapselendoskopie inkl. Kolonkapsel und neuester Auswertesoftware.

Aber auch die eigentliche Koloskopie ist zu hinterfragen, da sie letztendlich ein mechanisches Verfahren mit über 30 Jahren statischer Untersuchungstechnik verkörpert, obwohl sich die Ausstattung der Geräte überaus dynamisch verändert hat.

Ein Patient profitiert aber nun einmal subjektiv nicht vom neuesten Chip und der Auflösung des Endoskops, sondern von der Reduktion der Beschwerden während der Untersuchung, einer geringeren mechanischen Darmbelastung oder sogar von einer nicht mehr notwendigen Sedierung durch alternative endoskopische Koloskopieverfahren.

Hier sind neue Verfahren und Endoskoptypen in verschiedenen Entwicklungsstadien, sodass auch aus diesem Bereich heraus innovative Neuerungen zu erwarten sind.

Grundsätzlich ist zu fordern, dass neue zukünftige Untersuchungstechniken durch Zusammenarbeit der beteiligten Fachrichtungen gemeinsam entwickelt und etabliert werden. Systematische, wissenschaftlich definierte und dann auch umsetzbare Kriterien müssen Vorrang vor kurzfristigen und monetär attraktiven Ansätzen haben. In Zeiten, in denen Negativ-Studien nur ungern publiziert werden, bleibt dies ein unveränderter Anspruch an den Fortschritt auch endoskopischer Untersuchungstechniken.

Prof. Dr. med. S. Rossol M. Sc.

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