Dtsch Med Wochenschr 2007; 132(46): 2429
DOI: 10.1055/s-2007-991667
Editorial
Hypertensiologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hypertonie - was hat sich seit Molière und Hemingway geändert?

Hypertension - what has changed since Molière and Hemingway?L. C. Rump1
  • 1Klinik für Nephrologie der Universitätsklinik Düsseldorf
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Publication Date:
07 November 2007 (online)

„Die meisten Menschen sterben an ihren Medikamenten und nicht an ihren Krankheiten” hatte Jean-Baptiste Molière (1622 - 1673) formuliert. Das mag zu seiner Zeit auch der Fall gewesen sein. Medikamente für Bluthochdruck gab es allerdings noch nicht, und der Aderlass zur Blutdrucksenkung macht auch nur begrenzt Sinn. Erst ab Mitte des letzten Jahrhunderts wurden Medikamente entwickelt, die sich zur Behandlung des Bluthochdrucks eigneten. Zum Teil waren diese Antihypertensiva aber mit erheblichen Nebenwirkungen assoziiert. Ernest Hemingway beispielsweise litt an einer schwer therapierbaren Hypertonie. Er war übergewichtig, trank zu viel Alkohol und war vermutlich auch kein Verehrer der DASH-Diet. Vielleicht hat ihm seine Jagdleidenschaft wenigstens etwas Bewegung verschafft. Wie dem auch gewesen sein mag - er wurde mit Reserpin, wohl hochdosiert, behandelt, litt in Folge an Depressionen und brachte sich um. Mit dem Jagdgewehr versteht sich.

Heute wissen und lesen wir in diesem Schwerpunktheft anlässlich der 31. Jahrestagung der Deutschen Hochdruckliga in Bochum, was man alles besser machen könnte. Ja, könnte! Immer noch ist keine andere Erkrankung für mehr Todesfälle weltweit verantwortlich als der Bluthochdruck. Warum ist die Blutdruckkontrolle immer noch unzureichend und warum schneidet Deutschland im internationalen Vergleich nur bescheiden ab? Nun - ich weiß es nicht genau, habe aber dazu folgende zugegebenermaßen etwas pointierte Überlegungen angestellt:

1. Die Beschäftigung mit dem Bluthochdruck ist „unsexy” geworden: Hat eh’ jeder, man kann doch nur Tabletten geben. Außerdem ist Blutdruckmessen eine antiquierte Art der Diagnostik, und kaum ein Arzt macht es noch selbst. Sind die gemessenen Werte dann zu hoch, kommen Zweifel auf, ob der Blutdruck nicht nur situativ erhöht war. Leider, da bin ich sicher, wird die Langzeitblutdruckmessung (ABDM) zur Diagnosestellung viel zu selten eingesetzt. Deshalb ist es zu begrüßen, dass auf dem Kongress der Deutschen Hochdruckliga ein ABDM-Kurs als Voraussetzung zur Erlangung der Bezeichnung Hypertensiologe angeboten wird und damit die besondere Bedeutung dieser Diagnostik untermauert.

2. Sekundäre Hypertonieformen werden zu selten entdeckt. Der Stempel Volkskrankheit, der eigentlich geeignet wäre, der Diagnostik der Hypertonie besonderen Stellenwert zu geben, hat genau den gegenteiligen Effekt. Schätzungen von 15 - 20 % sogenannter sekundärer Hypertonieformen sind aus meiner Sicht noch als konservativ zu erachten, wenn man die Prävalenz von primären Hyperaldosteronismus, Schlafapnoe, renoparenchymatösen und renovaskulären Niererkrankungen zusammenzählt. Dennoch ist die Meinung weit verbreitet, es lohnt sich nicht oder es ist nicht finanzierbar, nach sekundären Hypertonieformen zu suchen. Bedauerlich, wie ich finde, da in diesen Bereich die Hypertonie besonders spannend wird und Therapieerfolge durch Interventionen möglich werden. Allein an einem primären Hyperaldosteronismus leiden zwischen 20 und 45 % der Patienten mit therapierefraktärer Hypertonie!

3. Schluss mit der Diskussion, welches das beste First-line-Medikament ist. Diuretika sind unentbehrliche, preisgünstige Antihypertensiva. Aber auf die Therapieadhärenz kommt es an, und nicht darauf, ob vordergründig Kosten bei der Verschreibung gespart werden. Eine Kosten-Nutzen-Analyse der antihypertensiven Therapie ist zwingend erforderlich. Solange diese nicht angewandt und von Kostenträgern akzeptiert wird, bleibt der niedergelassene Arzt mit seinem Budget in der Kostenfalle. Selbstverständlich gibt es zwingende Indikationen für den Einsatz von bestimmten Antihypertensiva als Mittel der ersten Wahl, aber in der Breite führt diese Diskussion in die Sackgasse, denn die meisten Patienten brauchen sowieso Kombinationen.

Die Deutsche Hochdruckliga hat unter dem jetzigen Vorstand die Verbandsbezeichnung Hypertensiologe DHL® eingeführt. Das Führen dieser Bezeichnung setzt eine regelmäßige Weiter- und Fortbildung voraus, die von der neu gegründeten Hypertonie-Akademie gestaltet und organisiert wurde. Das ist ein Weg in die richtige Richtung, aber der Erfolg dieses Programms wird wesentlich von der Qualität und Aktualität der Fortbildungsinhalte abhängen. Verdiente Hypertensiologen, wie in verantwortlicher Funktion die Professoren Bönner, Luft und Rahn, konnten für diese Aufgabe gewonnen werden. Die Hypertonie als interdisziplinäre Herausforderung muss wieder in den Mittelpunkt des medizinischen Interesses gerückt werden. Spannende Entwicklungen gibt es genug! Davon kann man sich auf dem Kongress für Hypertonie in Bochum überzeugen.

Was hat sich nun seit Molière und Hemingway geändert? Nun - eigentlich würden heute die meisten Menschen nicht an ihren Medikamenten sterben, sondern könnten länger und besser leben, wenn die zur Verfügung stehenden Antihypertensiva konsequent eingesetzt würden. Und wer weiß: vielleicht litt ja Hemingway nur an einer Schlafapnoe, und Molière war nicht eingebildet, sondern hypertensiv und nierenkrank - und keiner hat’s gemerkt! Ich wünsche eine spannende Lektüre.

Prof. Dr. Lars Christian Rump

Klinik für Nephrologie der Universitätsklinik Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

Email: Christian.Rump@med.uni-duesseldorf.de

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