Intensivmedizin up2date 2010; 6(2): 85-103
DOI: 10.1055/s-0029-1243956
Allgemeine Prinzipien der Intensivmedizin

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lernen aus kritischen Ereignissen auf der Intensivstation

Marcus  Rall, und Team TüPASS 
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
23. April 2010 (online)

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Kernaussagen

Bedeutung. Meldesysteme zur Erfassung und Analyse kritischer Ereignisse in der Medizin sind unverzichtbarer Bestandteil jeder ernst gemeinten Strategie zur Erhöhung der Patientensicherheit. Die Erhöhung der Patientensicherheit ist dringend notwendig, da „Fehler in der Medizin” nach wie vor zu den 10 häufigsten Todesursachen in Deutschland zählen. Inzwischen stehen hierfür zahlreiche international bewährte Methoden zur Verfügung. Neben dem Einsatz effektiver Incident Reporting Systeme (IRC) sind der Einsatz realitätsnaher Simulations-Team-Trainings und die Schulung in „human factors” und „crisis ressource management” (CRM) zu nennen.

Wichtige Charakteristika. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für ein effektives IRS zählen: klare Unterstützung durch die Geschäftsleitung, Zusicherung von Sanktionsfreiheit und anonyme Meldemöglichkeit, schnelles Feedback an die Mitarbeiter über eingegangene Meldungen und geplante Maßnahmen, systemorientierte Analyse der Ereignisse und überlegte Planung und Durchführung von Verbesserungen unter Einbeziehung aller beteiligten Mitarbeiter. Ein sinnvolles und an den Ablauf des Melde- und Bearbeitungsvorgangs angepasstes Meldesystem kann hierbei wichtige Hilfe leisten. Die Schulung der Mitarbeiter hinsichtlich der Fehlerentstehung und möglichen Prävention sowie die regelmäßige Vorstellung von Fallberichten in Besprechungen und vor Fortbildungen optimiert die Wirksamkeit von IRS zusätzlich und nachhaltig.

Bitte nicht! Suchen Sie nicht nach den „Schuldigen”, suchen Sie nach den Ursachen. Achten Sie auch darauf, dass Oberärzte oder Stationsleiter sich von der „Schuld-Kultur” verabschiedet haben. Beginnen Sie nicht, bevor Sie die Rahmenbedingungen nicht erfüllen können und bereit sind, die ersten Fälle schnell zu bearbeiten und effektive Maßnahmen umzusetzen. Achten Sie darauf, wem Sie die sensiblen Daten anvertrauen. Schließen Sie nicht von den gemeldeten Ereignissen auf die Grundgesamtheit – IRS liefern hierfür keine Datenbasis. Ziehen Sie keine vorschnellen Schlüsse, führen Sie sorgfältige Ursachenanalysen durch und planen Sie auch Verbesserungen, basierend auf dem Fehlerentstehungs- und Präventionsmodell. Spielen Sie die Relevanz der gemeldeten Ereignisse nicht herunter – der Beginn schwerster Zwischenfälle ist oft nur eine kleine Abweichung, eine verwechselte Spritze oder falsch eingestellte Spritzenpumpe.

Was ist zu tun? Beginnen Sie jetzt mit der Planung eines effektiven IRS. Falls sie schon ein IRS haben, überprüfen Sie es sorgfältig auf die Erfüllung der Rahmenbedingungen und optimieren sie es gegebenenfalls. Kündigen Sie die „Renovierung” bei den Mitarbeitern an. Alle Mitarbeiter in der Patientenversorgung müssen sich erst an IRS und Systemsicherheit gewöhnen. Dazu ist ein Kulturwechsel erforderlich – das geht nicht von heute auf morgen. Haben Sie Geduld, aber seien Sie beharrlich. Der Aufwand zur Erhöhung der Sicherheit durch IRS übersteigt denjenigen für viele Maßnahmen, auf die wir viel mehr Zeit verwenden. Der Weg von der Meldung zur konkreten Optimierung sollte klar sein, einschließlich der Entscheidungswege, -befugnisse und Budgetaspekte. Nutzen Sie Ereignisberichte als „Fenster zum System” und optimieren Sie Ihr Versorgungssystem systematisch und auf die Ursachen ausgerichtet.

Die Motivation aller Mitarbeiter zur aktiven Erhöhung der Patientensicherheit ist hoch. Für die meisten ist die Sicherheit ihrer Patienten das höchste Ziel im Beruf. Wir wollen alle nach der Schicht nach Hause kommen und das Gefühl haben, gute Arbeit im Sinne unserer Patienten geleistet zu haben. Und jeder kennt das schlechte Gefühl, wenn man weiß, man selbst und das System hätte besser sein können. Moderne, effektive IRS haben das Potenzial, dazu beizutragen, dieses schlechte Gefühl zu vermindern und unsere Patienten und damit uns selbst jeden Tag ein Stückchen sicherer zu machen.

Literatur

Dr. med. Marcus Rall

Tübinger Patientensicherheits- und Simulationszentrum TüPASS
Universitätsklinik für Anaesthesiologie und Intensivmedizin
Universitätsklinikum Tübingen

Silcher-Str.7
72076 Tübingen

Telefon: 07071 298-6733

Fax: 07071 29-4943

eMail: marcus.rall@med.uni-tuebingen.de

URL: http://www.tupass.de

Silke Peddersen
Pathy Hirsch
Eric Stricker

Team TüPASS