Zusammenfassung
Versorgungsforschung muss Gesundheitspolitik anhand der Leitbegriffe ‚Objektivität’,
‚Richtigkeit’ und ‚Langfristperspektive’ beratend unterstützen. Die in der Bundesrepublik
durchgeführten Verbesserungen der Datenbasen (Routinedaten der GKV, Gesundheitsberichterstattung
des Bundes (www.gbe-bund.de) sind notwendig, aber noch nicht ausreichend, wie u. a. das Gutachten 2000/2001 des
Sachverständigenrates (www.svr-gesundheit.de) deutlich gemacht hat. Weiterentwickelt werden muss auch die Infrastruktur der Versorgungsforschung
in Deutschland. Die angestoßene Förderung durch den Bund (BMBW) und die Krankenkassen
(Spitzenverbände) ist ein notwendiger Schritt, aber bislang für die Entwicklung einer
leistungsfähigen Struktur zu schwach und zu kurzfristig finanziert. Forschungskonzeptionell
steht die Versorgungsforschung vor der Schwierigkeit, multidisziplinär zu arbeiten
und steht vor der Notwendigkeit und Schwierigkeit flächendeckender Aussagen. Solange
sie Einzeltechnologien und -verfahren untersucht, bleibt sie in HTA-förmigen, inzwischen
bewährten Unersuchungsansätzen. Will sie auch dynamische makro- und mesostrukturelle
Einflüsse auf den Versorgungsprozess untersuchen, ebenso die Effekte komplexer Versorgungsdesigns
(neue Versorgungsmodelle, DMPs) unter Alltagsbedingungen, ist die gegenwärtige reduktionistische
Wissenschaftspraxis dafür nicht hinreichend. Die dann nötigen heuristischen Interpretationen
zeigen allerdings die derzeitigen Grenzen wissenschaftlicher Politikberatung auf.
Abstract
Health services research (HSR) should support health policy decisions. Prerequisits
are ‘objectivity’, ‘validity’ and adequate long term ‘perspective’ of HSR. Necessary
but in Germany not yet sufficient in function is a nationwide routine-database and
a adequate HSR-infrastructure itself. Federal ministry of research and the federal
association of legal sickness funds have started a small and short time grant programme
for HSR. HSR has specific difficulties as a multi-disciplinary task and with their
often country- or nationwide approach. As long as HSR investigates simple health technologies
or measures it follows the proven pattern of HTA (health technology assessment) research.
Investigating complex patterns of care or interactions with the (even dynamic) meso-
and macro-structures of the health system the reductionism of science makes heuristic
interpretation uninevitable. This indicates the limitation of scientific consulting
for health policy and politics.
Schlüsselwörter
Versorgungsforschung - Gesundheitspolitik - wissenschaftliche Politikberatung
Key words
Health services research - scientific consulting - health policy
Literatur
- 1
Schwartz F W.
Sachliche Unabhängigkeit versus Politiknähe. Bemerkungen zur politischen Funktion
unabhängiger wissenschaftlicher Beratung.
Forum für Gesundheitspolitik.
Januar/Februar 2003;
6-9
- 2 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR) .Gutachten
2000/2001. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Bände I bis III. Baden-Baden;
Nomos 2002
- 3
www.gbe-bund.de.
- 4
Scriba P C.
Versorgungsforschung tut not!.
Dtsch Med Wochenschr.
2003;
128
2631
- 5 Ständige Kongresskommission Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (Hrsg).
Memorandum zur Versorgungsforschung in Deutschland. Hamburg 28.09.2003; als Manuskript
gedruckt; www.zvfk.de.
- 6 Standl E, Stiegler H. Mangelnder Erfolg bei der Reduktion von Amputationen bei Diabetikern
in Deutschland. Ergebnisse zweier Erhebungen 1990 und 1995. Berger M, Trautner C Die
Forderungen von St. Vincent - Stand 1996 in Deutschland Mainz; 1996: 73-79
- 7
Trautner C, Standl E, Haastert B. et al .
Geschätzte Zahl von Amputationen in Deutschland.
Diab Stoffw.
1997;
6
199-202
- 8
Hons J.
Fragwürdiger Umgang mit Zahlen.
Ärztezeitung v. 10.02.2003 a.
- 9
Hons J.
Überraschende Ergebnisse beim Diabetes-TÜV - Versorgung der Patienten ist besser als
angenommen.
Ärztezeitung v. 10.02.2003 b.
- 10
Heller C, Günster G, Schellschmidt H.
Wie häufig sind Diabetesbedingte Amputationen unterer Extremitäten in Deutschland?.
Dtsch Med Wochenschr.
2004;
129
429-433
- 11
World Health Organization (WHO) .
International Diabetes Federation. Diabetes care and research in Europe. The Saint
Vincent Declaration.
Diabet Med.
1990;
7
360-362
- 12
Hiatt H, Goldman L.
Making medicine more scientific.
Nature.
1994;
371
100
- 13
Raspe H.
Klinische Medizin, klinische Forschung und klinische Epidemiologie.
Med Klin.
2004;
99
97-103
- 14
Perleth M, Schwartz F W.
Health Technology Assessment (HTA), evidenzbasierte Medizin (EbM). Alter Wein in neuen
Schläuchen?.
Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz.
2001;
44
857-864
- 15 Gethmann C F. Methodological Problems of Integration Research. Europäische Akademie
zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen. Newsletter-Akademie-Brief
45 (March 2004). Bad Neuenahr-Ahrweiler; 2004: 1-3
1 „… Um ein guter Ratgeber zu sein, muss man nicht … die richtigen Auffassungen besitzen
…” (Quelle: Maurice Joly: Das Handbuch eines Aufsteigers, erstmals 1868; Übersetzung:
Frankfurt, 2001); rein politische Beratung muss sich nicht nach faktischer oder sachlogischer
Richtigkeit richten, sondern folgt Interessenlagen und intendierten Wirkungen im politischen
Diskurs und im politischen Wirkungsfeld.
3 Herrn Prof. Dr. Benno Ure, Medizinische Hochschule Hannover, Februar 2004, danken
die Verfasser für die Mitteilung.
4 Vgl. Arbeitspapier „Versorgungsforschung” BÄK, Stand 29.04.2003
Friedrich Wilhelm Schwartz
Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
eMail: schwartz.fw@mh-hannover.de