Zusammenfassung
Die Schizophrenie ist eine schwere psychotische Krankheit, die relativ frühzeitig
im Lebenszyklus auftritt und häufig die Arbeitsfähigkeit so nachhaltig herabsetzt,
dass es zu einer Erwerbsunfähigkeit kommt. Die Krankheit verursacht somit nicht nur
erhebliche direkte, sondern auch indirekte Kosten, die sich insbesondere in den Ausgaben
der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) widerspiegeln. In dieser Studie werden Statistiken
der GRV zur Frühverrentung ausgewertet. Jährlich werden in Deutschland weit über 6000
Männer und Frauen mit der ersten Diagnose Schizophrenie (295 nach ICD-9) neu verrentet.
Das durchschnittliche Verrentungsalter mit dieser Diagnose liegt für Männer bei 39
und für Frauen bei 42 Jahren. Bei den Männern erfolgen 14,7 % aller Verrentungen der
unter 40-Jährigen mit der Diagnose Schizophrenie. Entsprechend hoch sind die Ausgaben
der GRV. Allein der Barwert der Rentenzahlungen für einen durchschnittlichen männlichen
Rentenfall beträgt 215 000 Euro. Werden auch die Einnahmeausfälle der gesamten Sozialversicherung
und der Einkommensteuer berücksichtigt, ergibt sich ein Barwert von 560 000 Euro.
Eine Simulation der Bestandszahlen auf Basis der Neuzugänge ergibt für das Jahr 2000
einen Rentenbestand von 125 000 Personen im Alter unter 65 Jahren in der GRV, die
ursprünglich mit der ersten Diagnose Schizophrenie verrentet wurden. Die GRV wird
hierdurch jährlich mit Rentenzahlungen in Höhe von etwa 1,3 Milliarden Euro belastet;
hinzukommen Einnahmeausfälle der Sozialversicherung und des Fiskus von nochmals etwa
2 Milliarden Euro. Da in der GRV nur ⅔ der Personen im Erwerbsalter pflichtversichert
sind, spiegeln diese Zahlen nicht die gesamten Kosten wider.
Abstract
Schizophrenia is a severe psychic disorder that occurs at young age and often leads
to a work disability. The disease not only induces direct costs in the health care
system but also indirect costs that show up in the social security system. In this
study, we apply statistics from the social security administration on early retirement
due to disability. Over 6000-males and females per year retire with the diagnosis
schizophrenia (classified as 295, ICD-9). The average retirement age is 39 for males
and 42 for females. Schizophrenia is the most important single reason for early retirement
before age 40. Of all male cases of disability retirement under the age of 40, 14.7
% are due to schizophrenia. The present discounted value of pensions paid out before
the standard retirement age of 65 is 215 000 Euro for an average male. Moreover, the
revenue loss in income taxes and payroll contributions amounts to 345 000 Euro. In
the year 2000, a total of 125 000 persons under the age of 65, who originally entered
retirement with the diagnosis schizophrenia, are estimated to be receiving a pension.
The corresponding annual expenditures of the social security system reach 1.3 Billion
Euro; the revenue loss (pay-roll plus income taxes) reaches 2 Billion Euro. Since
only two thirds of the working age population is covered by the social security system,
the costs of early retirement due to schizophrenia are underestimated by a factor
of at least one third.
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1 In den ersten sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung
einschließlich der Beiträge zur Sozialversicherung verpflichtet und trägt somit einen
Teil der Kosten.
2 Eine alternative Sichtweise auf dieses Problem ist die Theorie der externen Effekte.
Das Gesundheitswesen produziert positive externe Effekte für das Budget der GRV, die
aber nicht honoriert werden, was zu einer Unterversorgung führt. Die klassische Lösung
dieses Problems besteht in der Internalisierung - beispielsweise durch eine Pigou-Steuer.
3 Seit 1992 wird im Rentenrecht der Begriff „Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit”
zur Abgrenzung von „Altersrenten” verwendet. Der Begriff „Frührente” wird in diesem
Aufsatz der Einfachheit halber als Synonym weiterverwendet.
4 Vgl. VDR-Statistik Rentenzugang, 1999. Bis zum Jahr 1999 einschließlich wurde die
Klassifikation nach ICD-9 verwendet. Im Jahr 2000 erfolgte die Umstellung auf ICD-10,
doch wurde leider ein großer Teil der Meldungen nach ICD-9 abgegeben. Daher werden
im Folgenden nur Daten bis zum Jahr 1999 verwendet.
5 Es ist davon auszugehen, dass Schizophrenie aufgrund von Komorbidität an weiteren
Fällen von Erwerbsunfähigkeitsrenten beteiligt ist. Über die Komorbidität gibt es
jedoch bisher kein publiziertes Datenmaterial, da standardmäßig nur die „erste” Diagnose
statistisch ausgewertet wird. Außerdem können sich Abgrenzungsprobleme zu ähnlichen
Diagnosen ergeben. Die Fallzahlen des Zugangs in eine Erwerbsminderungsrente in den
Diagnosegruppen 295 - 299 betrugen 6106 Männer und 6351 Frauen.
6 Ein noch umfassenderes Maß für die volkswirtschaftlichen Kosten ist das entgangene
Bruttoarbeitsentgelt einschließlich der Arbeitgeberbeiträge. Wird das durchschnittliche
Arbeitsentgelt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Jahres 2000 zugrunde
gelegt, dann beträgt der volkswirtschaftliche Verlust über 33 750 € pro Jahr.
7 Eine Sensitivitätsanalyse zeigt, dass selbst bei einer 10fach erhöhten Sterblichkeit
immer noch mit 99 000 Bestandsrentnern zu rechnen ist.
8 Hinzu kommen noch pensionierte Beamte, die in der Regel deutlich höhere Renten beziehen.
Johannes Clouth
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