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DOI: 10.1055/s-2005-865105
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Integritätsschutz und Patientenautonomie am Lebensende
Integrity and autonomy at the end of lifePublikationsverlauf
eingereicht: 15.11.2004
akzeptiert: 18.2.2005
Publikationsdatum:
30. März 2005 (online)

Die öffentliche und fachöffentliche Diskussion über das Recht der Sterbehilfe und Sterbebegleitung ist in Bewegung geraten. Die Patientenautonomie am Lebensende hat Hochkonjunktur: Nach einer umstrittenen Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. März 2003 [1] hat die Bundesjustizministerin inzwischen auf der Grundlage des Berichtes einer interdisziplinären Arbeitsgruppe einen Referentenentwurf vorgelegt [13] und Verbände und Organisationen zu Stellungnahmen aufgefordert. Bereits zuvor hatte die Bundesärztekammer ihre Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung überarbeitet und die Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin” des deutschen Bundestages nach langen Beratungen ihren Zwischenbericht präsentiert [14]. Namentlich in der Einschätzung der Patientenverfügung als Instrument zur Realisierung von Patientenautonomie am Lebensende offenbaren sich dabei tiefgreifende Unterschiede zwischen den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums und dem Mehrheitsvotum der Enquete-Kommission: Die Enquete-Kommision plädiert für eine Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen auf Fälle, in denen ein Grundleiden irreversibel ist und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Einschätzung zum Tode führen wird; ferner spricht sie sich für eine weitreichende Kontrolle der Entscheidungsprozesse durch die Vormundschaftsgerichte aus. Dagegen möchte die Bundesjustizministerin sogar mündliche Patientenverfügungen als verbindliche Handlungsanweisungen für alle Lebensphasen anerkennen und die gerichtliche Überprüfung auf Konfliktfälle beschränken [9].
Die überaus kontrovers geführte Auseinandersetzung hat zu einer erheblichen Verunsicherung bei allen Beteiligten, vor allem aber auch in der Ärzteschaft geführt. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf wird deshalb allenthalben geltend gemacht. In dieser Situation erscheint allerdings zunächst eine Rückbesinnung auf die Eckpfeiler eines verfassungskonformen Sterbehilferechts angebracht, um den grundrechtlichen Spannungslagen am Lebensende wenigsten annähernd gerecht zu werden.
kurzgefasst: Die öffentliche und fachöffentliche Diskussion über das Recht der Sterbehilfe und Sterbebegleitung, nicht zuletzt aber auch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland haben zu einer tiefen Verunsicherung von Ärzten, Pflegepersonal und Betroffenen, aber auch unter Juristen geführt. Der Gesetzgeber muss sich bei den anstehenden Beratungen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben - dem Integritätsschutz einerseits und der Patientenautonomie andererseits orientieren.
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- 13 www.bmj.bund.de
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- 14 www.bundestag.de/parlament/kommission/ethik-med/berichte-stellg/04-09-013-zwischenbericht-patientenverfuegungen.pdf
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Prof. Dr. Wolfram Höfling
Institut für Staatsrecht
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