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DOI: 10.1055/s-2005-915501
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Zersetzung: Machtmittel des Ministeriums für Staatssicherheit in der ehemaligen DDR
Dissolution: Power Tool of the Ministery of State Security in the Former GDRPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
23. August 2005 (online)
Einleitung
In diesem Diskussionsbeitrag stelle ich für mich wichtige Veröffentlichungen über die "Zersetzung" genannte Methode der Machtausübung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor.
Der Wahrig [1] versteht zum einen unter zersetzen das lösen und spalten chemischer Verbindungen. Zum anderen wird dem Verb in einem weiteren Gebrauch eine übertragene Bedeutung gegeben: man nutzt es, um die (Zer-)Störung einer Moral zu benennen.
So sprachen und urteilten die Nationalsozialisten über die Zersetzung der "Wehrkraft". Für viele Betroffene war ein solcher Vorwurf eine Tod bringende Gefahr.
Die Störung oder Zerstörung von Persönlichkeiten in ihren Lebenskreisen mit Hilfe psychologischer und psychiatrischer Kenntnisse "Zersetzung" zu nennen ist eine sprachliche Schöpfung des MfS. Die Wortwahl des Staatssicherheitsdienstes übertrug eine auf Sach- (oder Moral-)veränderungen gerichtete Beschreibung auf die gezielte Kränkung von Menschen. Die Verdinglichung von Menschen ist ein Charakteristikum der Sprache des Staatssicherheitsdienstes [2].
"Zersetzung" ist zum dritten das von MfS-Mitarbeitern genutzte Wort, um ihr Eindringen in das Leben politisch missliebiger Menschen zu beschreiben. Das MfS wollte mit diesem Vorgehen, Bürgern, die sich um Selbstbestimmung bemühten, Misserfolge in möglichst vielen Lebensbereichen bereiten. Ein wichtiger Teilerfolg solcher Bemühungen des MfS bestand darin, die Moral von Opponenten durch Enttäuschungen zu verstören und schließlich "umzudrehen". Derartige Misserfolge wurden u.a. folgendermaßen angestrebt: das MfS setzte den öffentliche Ruf oppositioneller Menschen durch Gerüchte herab, ihr finanzieller Ruin wurde angestrebt, deren Freundschaften und Familien möglichst weit gehend beschädigt, Psychoterror wurde ausgeübt, Misserfolge im Beruf organisiert, Kriminalisierungen eingefädelt und Mitglieder oppositioneller Gruppen wurden zum Schweigen gebracht [3]-[9].
Ca. 1960 begann in der Amtszeit von Nikita Chruschtschow in der Sowjetunion eine Ausweitung der Politik der Psychiatrisierung von politisch oder religiös eigenständigen und gesunden Menschen. Der als antistalinistischer Reformer bekannte Parteichef wollte mit dieser Politik die Anzahl Aufsehen erregender politischer Prozesse im Lande reduzieren [10]. Ähnliche Motive waren auch die Voraussetzung für die Politik mit heimlichen "Zersetzungsaktivitäten", die die damals regierende SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschland) zu verantworten hat [3],[4].
Eine öffentliche Diskussion der psychischen Misshandlungsmethoden in Deutschland begann nach der Besetzung der Archive des Staatssicherheitsdienstes durch Bürger im Jahre 1990 [11]-[13].
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Dr. Hartmut Holz
Vivantes GmbH
Örtlicher Bereich
Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik
NBH
Oranienburgerstraße 285
13437 Berlin