Dtsch Med Wochenschr 2018; 143(14): 993
DOI: 10.1055/a-0549-6862
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Immuntherapie in der Onkologie: Stehen wir vor dem Durchbruch?

Immune Therapy in Oncology: Are we Approaching the Breakthrough?
Michael von Bergwelt-Baildon
,
Wolfgang Hiddemann
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Publication Date:
13 July 2018 (online)

Seit über 100 Jahren versucht die Medizin Anti-Tumorantworten des Immunsystems therapeutisch zu nutzen. Erst in den letzten 5 Jahren kam es zu einem wirklichen Durchbruch, also der klaren Demonstration statistisch signifikanter Überlebensvorteile. Zwei Vorgehensweisen waren hier erfolgreich:

  • „inhibit the inhibitor“: das Durchbrechen tumorvermittelter Immunsuppression

  • „activate the activator“: die Verstärkung von präexistierenden Immunantworten durch Verbesserung der Zielerkennung

Die neuen Immuntherapien haben bei manchen Tumorerkrankungen zu einem Quantensprung geführt. Unheilbare Erkrankungen wie das metastasierte Melanom zeigen unter dualer Checkpointblockade ein Plateau der Überlebenskurven bei über 50 %. Bei Patienten mit mehrfach rezidivierten akuten lymphatischen Leukämien kam es nach Gabe von T-Zellen, die mit dem „chimeric antigen receptor“ (CAR) versehen waren, zu Ansprechraten von 80 % und ein 2-Jahres-Überleben von 40 – 50 %. Solche Erfolge waren noch vor wenigen Jahren unvorstellbar!

Wie kam es zu dieser Entwicklung, was ist neu? Zum einen verstehen wir die tumorimmunologischen Mechanismen insgesamt besser, zum anderen liegt der Fokus inzwischen vermehrt darauf, tumorbedingte Blockaden zu durchbrechen. In der Vergangenheit dagegen stand das Aktivieren von Immunantworten im Vordergrund – ohne Blick auf die tumorbedingte Immunsuppression. Die zugrundeliegenden Mechanismen werden von einer Reihe von Tumorarten genutzt und sind daher mit denselben Medikamenten in einer Reihe von Entitäten adressierbar. Bedingt durch Anfangserfolge (z. B. Ipilimumab im Melanom) und die Erkenntnis der horizontalen Übertragbarkeit wird die Entwicklung durch die Industrie deutlich stärker vorangetrieben, erheblich mehr Ressourcen werden bereitgestellt und die Zulassung durch sogenannte Fast-Track-Verfahren wird beschleunigt.

Derzeit befinden sich über 950 immunonkologische Medikamente in der Testung, häufig in Kombinationsansätzen. Diese Entwicklung gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich die Ansprech- und Überlebensraten weiter verbessern werden. Zugleich sind wir aber bereits mit erheblichen Nebenwirkungen konfrontiert, v. a. aus dem Bereich der Autoimmunität und anderer überschießender Immunreaktionen wie dem „Zytokinsturm“. Die Weiterentwicklung der immunonkologischen Ansätze wird bei Tumorkontrollraten von 30 – 60 % in vielen Entitäten zunächst auf die Verstärkung der Effektivität und erst sekundär auf die Verbesserung der Verträglichkeit gesetzt werden. Daher ist mit einem „Zeitalter der Immuntoxizität“ zu rechnen – bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die therapeutischen Fortschritte verringern und das Augenmerk primär der besseren Verträglichkeit gelten wird. Ähnliche Erfahrungen haben wir in der Vergangenheit beim Hodgkin-Lymphom gemacht.

Bis dahin werden alle Fachdisziplinen, darunter v. a. auch viele niedergelassene Internisten und Hausärzte, sowohl mit den Erfolgen als auch mit den Toxizitäten konfrontiert sein. Viele Symptome werden vom Patienten fehlgedeutet und nicht dem behandelnden Onkologen vorgestellt. Hier liegt die besondere Verantwortung, aber auch eine große Chance, gemeinsam zum Gelingen der neuen Immuntherapien beizutragen. Wir haben uns deshalb entschlossen, diesem Thema ein DMW-Dossier zu widmen und hoffen, dass die Inhalte informativ sind und in der täglichen Praxis helfen, unsere Patienten besser zu behandeln.

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Prof. Dr. med. Michael von Bergwelt-Baildon
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Prof. Dr. med. Wolfgang Hiddemann