intensiv 2018; 26(03): 156
DOI: 10.1055/a-0573-4090
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Für Sie gelesen: Klaus Schäfer: Vom Koma zum Hirntod. Pflege und Begleitung auf der Intensivstation

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Publication Date:
04 May 2018 (online)

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Bereits auf den ersten Seiten des Buches wird dem Leser klar, dass das Buch eine Mission hat: Es will im wahrsten Sinn des Wortes über den Hirntod „aufklären“. Und zwar umfassend, detailgenau und unter Berücksichtigung aller möglichen Facetten des Kontexts. Und das gelingt Klaus Schäfer in hervorragender Weise auf den etwa 250 Seiten. Klaus Schäfer, der als katholischer Theologe und Mitglied des Palottiner-Ordens 15 Jahre lang als Klinikseelsorger tätig war, hat den Blick des nicht primär professionell in die Organspende Involvierten – aber mit der Erfahrung der Begleitung der Beteiligten. Gerade dieser aufklärerische Aspekt aus einem dezidiert christlichen Blickwinkel und Wertehintergrund ist ein wichtiges Korrektiv zu den gelegentlich aus diesem Bereich wenig sachdienlichen – weil fehlerhaften und missverständlichen – Kommentaren, wenn es beispielsweise in einer Handreichung der Evangelischen Kirche in Bayern heißt: „Vielmehr weist ein hirntoter Mensch eine normale Körpertemperatur auf, er atmet, … alles körperliche Anzeichen, die unserem landläufigen Todesverständnis widersprechen“ (Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 2015), und in einer Handreichung der Hessischen Diakonie wird behauptet: „Aber der hirntote Mensch ist noch nicht endgültig tot. Er empfindet Schmerzen“ (Diakonie Hessen 2015).

Klaus Schäfers Buch mit seiner Aufklärungsmission ist aus unterschiedlichen Gründen wichtig. Zum einen ist in Deutschland die Zahl der Organspender im Jahr 2017 mit 797 weiter auf ein drastisch niedriges Niveau gesunken, und die Zahl von 9,3 Organspendern auf 1 Million Einwohner ist die niedrigste in ganz Europa. In Spanien beispielsweise gibt es dreimal so viele Organspender. Zum anderen sind aber gerade in Deutschland auch beim Medizinpersonal die Vorbehalte gegen die Organspende und das „Hirntod-Konzept“ ausgeprägt, oft auch begründet durch mangelnde und fehlerhafte Informationen.

Klaus Schäfer geht in den ersten beiden großen Sachkapiteln über 60 Seiten auf den medizinischen Kontext und die Arten der Gehirn- und Nervenschädigungen ein, die mit dem Hirntod in Zusammenhang stehen, und erläutert ausführlich die Entwicklung vom Koma zum Hirntod als irreversiblem Zustand. Im dritten großen Kapitel wird dann über 120 Seiten noch genauer die Situation beim Hirntod fachlich korrekt analysiert und verständlich dargestellt. Es geht sowohl um die geschichtliche Entwicklung des Konzepts bis hin zu den Abläufen der Feststellung des Hirntodes. Im vierten Kapitel werden die kommunikativen und seelsorgerischen Aspekte in allen ihren Facetten herausgearbeitet. Hervorzuheben ist hier auch eine dezidierte Beschäftigung mit den Positionen der christlichen und anderen Religionen (Islam, Judentum, Buddhismus, Hinduismus) mit dem Hirntod und dessen Konsequenzen für die Organspende. In einem Anhang ist noch reichlich Material enthalten wie beispielsweise die Texte von Stellungnahmen der Fachgesellschaften oder eine Checkliste für die Gesprächsführung. Ein umfangreiches Literatur- und Stichwortverzeichnis wie auch ein Glossar erleichtern die Vertiefung mit dem Buch und seinem Anliegen.

Obwohl Schäfers Eintreten für die anthropologische Konzeption des Hirntods unverkennbar ist, er sie stichhaltig begründet und ihre Grundlagen transparent macht, gibt er auch den Gegenargumenten dieser Konzeption Raum.

Klaus Schäfers Buch wird seinem Anspruch der Aufklärung in hohem Maße gerecht; er bezieht die Handelnden und die Betroffenen des Hirntods in seine Perspektive ein – insbesondere auch die Pflegenden und Angehörigen. Die Mehrheit der Deutschen spricht sich in Umfragen für die Organspende aus – bei der konkreten Realisierung jedoch gibt es Unsicherheit und Skepsis bis hin zu „Verschwörungstheorien“. Daran mögen die 2012 aufgedeckten Organverteilungsunregelmäßigkeiten ihren Anteil haben. Aber die Ursachen liegen auch in den Entnahmekrankenhäusern. Dem kann nur durch unermüdliche Aufklärungsarbeit begegnet werden. Man kann die Lektüre von Klaus Schäfers Buch daher jedem Interessierten empfehlen – einschließlich der Profis, die einmal alle wesentlichen Aspekte des Themas kompakt und doch detailliert behandelt wissen wollen und sich informieren möchten. Das Buch kann aber auch vorbehaltlos jedem interessierten Laien empfohlen werden, der bereit ist, sich in die oft unvermeidbaren Details der medizinischen Fakten und die entsprechenden Termini einzudenken. Tabellen und Grafiken erleichtern dieses Verständnis. Der Preis von 35 Euro ist diesem umfassenden Aufklärungsbuch angemessen.

Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Frank Erbguth; Direktor der Universitätsklinik für Neurologie Klinikum Nürnberg – Paracelsus Medizinische Privatuniversität