GGP - Fachzeitschrift für Geriatrische und Gerontologische Pflege 2018; 02(04): 150-151
DOI: 10.1055/a-0637-4551
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Man spricht über uns!

Sabine Hindrichs
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 August 2018 (online)

Nicht reden, sondern handeln!

Pflege und Betreuung sind zu einem Politikum und zum gesamtgesellschaftlichen Thema geworden, wohl weil es jeden irgendwann betrifft: persönlich, bei Angehörigen, im Freundeskreis oder beruflich. Man könnte denken: „Endlich hat die Pflege den Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung, der ihr zusteht!“, und sich zufrieden zurücklehnen. Gefühlt geht es aber aktuell überhaupt nicht darum, sondern es ist schick, es liegt im Trend, über die Pflege zu berichten, sich einzumischen und vor allem sich aufzuregen, zu fordern und anzuklagen. Die unterschiedlichsten Personen fühlen sich berufen, mitzureden und ich frage mich immer öfter, was die Motive so einiger Personen sind, diese Statements lautstark, aber bei näherer Betrachtung ziemlich unqualifiziert und einseitig von sich zu geben.

Ich liebe diesen Beruf, in dem ich seit mehr als 30 Jahren ununterbrochen tätig bin. Damit gehöre ich angeblich, wenn man diesen selbsternannten „Lautsprechern für die Pflege“ folgt, zu einer Spezies, zu einem Berufstand, den es in Kürze gar nicht mehr geben wird, da wir alle aufgrund der schrecklichen Verhältnisse massenhaft das Berufsfeld verlassen. Bin ich damit ein Pflegedinosaurier, der irgendwie übriggeblieben ist, da es zum Aussterben der Spezies der „professionell Pflegenden“ gekommen ist?

Dabei will ich nicht wegdiskutieren, dass viele von uns wegen der Arbeitsbelastung im Beruf viel zu früh aus gesundheitlichen Gründen aussteigen müssen und Pflegefachkräfte nach ihrem Examen viel zu kurz im Beruf verbleiben. Nein, ich bin nicht der letzte Mohikaner, wir sind nicht ausgestorben, wir sind da, wir üben unseren erlernten Beruf an den unterschiedlichsten Stellen mit Fachkenntnis, Engagement und Tatkraft aus. Wie gerne würde ich hier die Worte Herzblut und Empathie hinzufügen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass sie zu unserem Beruf dazugehören. Mittlerweile wird unser Beruf jedoch auf Herzenswärme und Zugewandtheit reduziert.

In einem Statement des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Ingo Kramer, kommentiert dieser die neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung der künftigen Pflegeausbildung mit den Worten, dass ein zu hohes Zugangsniveau zur Ausbildung zu einer Halbierung der Auszubildendenzahl führen würde, wörtlich äußerte er sich öffentlich: „Wir brauchen junge Menschen mit normalen Schulnoten, aber viel Herzenswärme und Geduld. Wenn wir sie mit Anforderungen eines Studiums ‚Medizin light‘ abschrecken und überfordern, verschärfen wir den Pflegenotstand!“

Das heißt im Klartext:

  • pflegen kann jeder

  • Bildung ist nicht erwünscht

  • Professionalität ist nicht erforderlich

  • Hauptsache irgendjemand kümmert sich um das PROBLEM „pflegebedürftige Person“

Und nicht zu vergessen: Es darf auch bitte nicht so viel kosten.

Pflege und Betreuung sind ein sehr vielseitiges Berufsfeld, das nur leben und funktionieren kann, wenn die Menschen, die dort arbeiten, ein breites Portfolio an Fähigkeiten und Fertigkeiten haben, um das zu tun, wofür sie angetreten sind. Das Jammern und Klagen darüber, dass es keine Fachkräfte gibt und dass die vorhandenen Mitarbeiter so schlecht qualifiziert und unmotiviert sind, folgt uns wie eine schwarze Wolke, aus der es beständig regnet. Es wird damit die Botschaft vermittelt, dass dort kein Mensch arbeiten will, geschweige denn in einer Pflegeeinrichtung leben will.

Als kommunikative Rheinländerin, die redet und mitunter auch handelt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, kann ich nur sagen: Ich habe wirklich die Schnauze voll, dass alle über uns reden und nicht mit uns. Mit uns meine ich ausdrücklich nicht nur die professionell Pflegenden, sondern ebenso die betroffenen pflegebedürftigen Menschen. In der Regel kommen diese beiden Personengruppen gut miteinander zurecht, sie verbringen sehr viel Zeit zusammen, sie kommunizieren auf die unterschiedlichsten Arten miteinander, sie teilen ihren Lebensalltag, sie kommen sich sehr nahe und haben somit die vielfältigsten Beziehungen zueinander.

Hört man sich die aktuellen Diskussionen an, haben sie noch etwas gemeinsam: Alle reden über die beiden Personengruppen, aber keiner will mit ihnen reden und schon gar nicht hören, was sie wirklich zu sagen bzw. zu berichten haben. Dabei ist die Gruppe der pflegebedürftigen Personen, um die es ja primär geht, ungehört, unvertreten und meilenweit von Selbstbestimmung entfernt. Denn die Klagen von Angehörigen und zumeist selbsternannten „Patientenschützern“, wie schlimm es ihnen mit der Situation ergeht, stimmen oftmals mit der Wirklichkeit nicht überein und ersetzen schon gar nicht den Dialog mit den betroffenen pflegebedürftigen Menschen. Zu einem selbstbestimmten Leben – insbesondere im Alter –, gehört auch, respektiert zu werden und nicht den Normen und Vorstellungen anderer entsprechen zu müssen, auch wenn es sich dabei um die eigene Familie handelt.

Es wird mehr als Zeit, dass die Politik und die Gesellschaft ernsthaft mit uns reden, weil sie an einer wirklichen und ehrlichen Verbesserung interessiert sind und nicht weil es aktuell so schick ist, darüber zu reden. Was Pflegebedürftige und Pflegende benötigen, sind direkte unbürokratische Hilfestellungen und Unterstützungen vor Ort in der Praxis, um diese gezielt einsetzen zu können, und nicht weitere Bürokratiemonster und Hürden, die letztlich das System bedienen, aber uns kein Stück weiterbringen!

Ihre

Sabine Hindrichs
sabine@hindrichs-pflegeberatung.de