intensiv 2018; 26(05): 226-227
DOI: 10.1055/a-0641-9852
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Durch dick und dünn

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Publication Date:
07 September 2018 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

Gemeinhin wird ja behauptet, dass Hund und Hundebesitzer sich ähneln. Ich will mich in unserem Fall nicht beklagen, denn wie ich schon das ein oder andere Mal erwähnt habe, gehört zu unserer Familie eine Golden-Retriever-Hündin, und mit ihr kann ich mich durchaus überall sehen lassen. Nicht nur, dass sie eine wirkliche Schönheit ist, nein, sie hat auch ein ausgewählt gutes Betragen. Und die drei- bis fünfhundert Haare, die sie am Hosenbein anderer Leute hinterlässt – ja, was soll ich denn machen? Ist halt so! Leider hat unsere Lotte auch einen Makel: Sie neigt zum Dickwerden. Von Anfang an war ihr Markenzeichen ihr opulenter Hintern, und wir alle haben längst die Hoffnung aufgegeben, dass sich das irgendwann noch verwächst. Hätte Rubens seinerzeit üppige Hunde gemalt, wäre so eine wie unsere Lotte sein Lieblingsmodel oder seine Muse geworden.

Jetzt muss oder sollte jeder Hundebesitzer mit dem Tier regelmäßig zum Tierarzt gehen. Da gibt es dann Routineuntersuchungen und nötige Impfungen und wie in unserem Fall jedes Mal mahnende Worte über das Körpergewicht an sich. Da ist es dann wieder gut, dass Lotte „nur“ ein Hund ist. Ein Kind oder Teenager würde ernsthaft psychischen Schaden nehmen, mindestens aber mit der Totalverweigerung zukünftiger Arztbesuche reagieren, wenn es diese nicht enden wollenden Tiraden über seine Figur ertragen müsste. Selbstverständlich gibt es dann auch Ernährungsempfehlungen, und – so ein Zufall aber auch – selten liegen die Produkte im preislichen Mittelfeld. Eher ist es die gehobene Küche. Ja, unsere Lotte scheint wie ein Feinschmecker auszusehen. Am Ende des Tages läuft es immer auf Low-Fat- und Low-Carb-Produkte hinaus. Wenig Fett und wenig Kohlenhydrate, verpackt in wenig schön aussehende und riechende Pellets. Manchmal denke ich, andere heizen ihr Haus damit, und unser armer Hund muss damit und davon leben. Dann ist auch noch der Erfolg am Hund eher gering. Wenigstens ist unsere Lotte nicht mäkelig, und sie frisst mehr oder weniger leidenschaftslos oder schicksalsergeben ihre täglichen zwei Portionen. Was soll sie auch machen, wahrscheinlich treibt es der Hunger rein.

Das führt mich nun zum eigentlichen Thema. Denn ich scheine mich mit Lotte unterbewusst solidarisch zu verhalten. Im Laufe der letzten Monate musste ich, wenn auch nur sehr ungern, eine gewisse Gewichtszunahme meinerseits zur Kenntnis nehmen, die mich alles andere als froh sein lässt. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich mit Diäten beschäftigen müssen. Ich kann nur sagen, ein sehr mühsames und schon fast deprimierendes Thema.

„Er wog vielleicht ein halbes Lot, und war am fünften Tage tot.“

(aus dem „Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann (1809–1894))

Nun sehe ich nicht gerade aus wie Tine Wittler in ihren besten Tagen, und mein BMI ist mit 21 auch noch nicht besorgniserregend. Aber von der Konfektionsgröße 38 musste ich mich langsam verabschieden. Und wenn ich dann noch lese: „Mode für Mollige – ab Größe 42“, wird mir jetzt schon ein bisschen bange. Also, was muss, das muss, und ran an den Speck. Zunächst habe ich alle gesüßten Getränke wie Cola und Säfte weggelassen. Aber das ewige Wassertrinken geht mir jetzt schon auf die Nerven. Da rettet die Scheibe Zitrone oder Ingwer auch nicht mehr viel. Zucker in jeglicher Form – gestrichen. Kaffee – nur noch schwarz. Spaghetti, weiße Brötchen oder gar Kuchen – bei mir nicht mehr zu finden. Dafür Gurken, Äpfel, Knäckebrot, schlechte Laune, Antriebslosigkeit und Heißhunger. Noch nicht einmal Alkohol soll erlaubt sein. Aber bei dem Wenigen, was ich zurzeit noch esse, braucht es da auch nicht viel.

Ich würde es lieber strukturierter und professioneller angehen. Aber mit der Flut der möglichen Diäten komme ich als Newcomer auf diesem Gebiet nicht klar. Das ist offensichtlich eine Wissenschaft für sich und bedarf eines qualifizierten Abschlusses mindestens als Ernährungsberaterin. Ich lese von „Ernährungssünden“ und „Fettfallen“, die für meine Gewichtszunahme verantwortlich sind. Na, wenigstens bin ich nicht schuld. Es gibt Unmengen von Ratgebern und Handbüchern mit Fettspartipps und Bewegungsplanern. Und dann der zu erwartende Jo-Jo-Effekt! Das macht mich jetzt schon fertig. Als innovativ zu bezeichnen sind allerdings die lustigen und oft auch verstörenden Namen, die für die verschiedensten Diäten gefunden wurden. „Kohlsuppen-Diät“ oder „Schroth-Kur“ hört sich jetzt nicht so appetitlich an. Bei „Apfelessig-Diät“ zieht sich schon beim Lesen alles in mir zusammen, und um mit der „Vollweib-Diät“ anzufangen, ist es bei mir noch nicht schlimm genug. Ein bisschen Angst macht mir die „Paleo- oder Steinzeit-Diät“ mit dem hübschen Untertitel „Essen wie die Höhlenmenschen“. Kein Wunder, dass die Lebenserwartung vor 20.000 Jahren nur bei 25 Jahren lag. Das konnte ja nicht gut gehen. Ansprechend finde ich hingegen Diäten wie „South-Beach“- oder „Mittelmeer-Diät“. Das klingt dann wenigstens nach Urlaub, Leichtigkeit, Strand und Sonne. Und wenn das auch nicht erfolgreich sein sollte, schreite ich zum Äußersten und wechsle zur „Fit-for-Fun-Diät“.

Unterm Strich wird es wohl FdH und eine Runde mehr am Tag mit unserer Lotte werden. Da haben wir dann beide was davon, und eigentlich ist es alles auch Jammern auf hohem Niveau. Erstaunlich aber ist, wie schnell ich in den wenigen Wochen in bestimmte Muster und Klischees verfallen bin, die uns ja allen nicht fremd sind. Schlank assoziiert gesund, aktiv und frisch. Dabei gab es durchaus Zeiten, in denen dickere Menschen, besonders Männer, als die attraktiveren, erfolgreicheren und wohlhabenderen galten. Mollige Frauen waren begehrter als dünnere. Demonstrierte ihre Fülle doch Gesundheit und Fruchtbarkeit. Aber seit Twiggy in den Sechzigerjahren über den Laufsteg stolzierte, war es vorbei mit mollig und schön.

Wahrscheinlich bin ich auch nur ein bisschen traumatisiert. Arbeite ich doch auf einer Station, auf der übergewichtige Patienten mit all ihren Befindlichkeiten zu unserem Alltag gehören. Und, ehrlich gesagt: Das will zumindest ich nicht. Erstaunlicherweise scheinen diese Männer und Frauen sich oft mit ihrem Status umfänglich (Wortwitz!) arrangiert zu haben oder nehmen nur bedingt zur Kenntnis, um wie viel schwerer die Arbeit mit und an ihnen für uns ist. Da gibt es oft Situationen, die eine junge zierliche Pflegekraft nur mit sehr viel Toleranz, Humor und vor allen Dingen Kraft ertragen kann. Zum Glück gibt es ja heutzutage schon Pflegehilfsmittel, die genau auf diese Patienten abgestimmt sind, und am Ende der stationären Behandlung bringt sie der Schwerlasttransport der Bayerischen Feuerwehr auch immer gut nach Hause.

In diesem Sinne
Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de