Laryngorhinootologie 2018; 97(12): 899-901
DOI: 10.1055/a-0652-7162
OP-Techniken
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fehlbildungschirurgie von Nase und Lippe

Rudolf Stellmach
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Publication Date:
10 December 2018 (online)

Operative Alternative

Zickzackförmiger Lippenverschluß (Dreiecksläppchenplastik nach Tennison)

Prinzip der Zickzacklappenplastik ist die Erhaltung des vorhandenen Amorbogens durch einen Einschnitt in das Lippenmittelteil vom Vermilium aus und die nachfolgende Abwärtsrotation des Lippenrandes. Der entstehende dreieckige Gewebsdefekt wird durch ein entsprechendes Dreiecksläppchen vom lateralen Lippenstumpf ersetzt.

Die Dreiecksläppchenplastik ermöglicht auch bei extremer Spaltbreite die Bildung einer ausreichenden Lippenhöhe und der natürlichen Amorbogenform, was bei der bogenförmigen Rotationsplastik schwieriger sein kann.

[ Abb. 1 ] zeigt die Ausmessung der Lippe, die Markierungspunkte und die Schnittführung.

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Abb. 1 Markierungspunkte für zickzackförmigen Lippenverschluß. A Lippenmittelpunkt am Vermilium. B Kupidobogenhöhepunkt auf der gesunden Seite. C Vorgesehener Höhepunkt des Kupidobogens auf der Spaltseite, in der gleichen Distanz wie A-B markiert. C’ Korrespondenzpunkt zu C, liegt an der Stelle des Vermiliums im lateralen Lippenstumpf, wo das Lippenrot aufwärts dünner zu werden beginnt. D Am Nasenboden 2 mm lateral vom Kolumellaansatz auf der gesunden Seite. E Am Nasenboden 2 mm lateral vom Kolumellaansatz auf der Spaltseite. E’ Korrespondenzpunkt zu E mit gleicher Entfernung zum Nasenflügelansatz wie D. F Mittelpunkt der Kolumella am Übergang in die Lippe.
DG = EC = E’K
GB = C’K
DGB = E’KC’

Maßgebend für die Länge der Lippe auf der Spaltseite ist die Streckenlänge D-B auf der gesunden Seite. Medial wird inzidiert von E nach C und von dort aus senkrecht auf die Linie F-A, die die Kolumellamitte mit der Lippenmitte verbindet. Der Einschnitt erfolgt mindestens bis an diese Linie heran. Zum Mundvorhof hin durchsetzt er senkrecht zur Lippen-rot-weiß-Grenze alle Schichten der Lippe einschließlich der Schleimhaut. Ob eine Verlängerung des Schnitts über die Strecke F-A hinaus in Richtung H, jedoch höchstens bis zur Philtrumleiste, notwendig ist, zeigt sich bei der Rotation des Amorbogens nach unten ([ Abb. 2 ]).

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Abb. 2

Am lateralen Lippenstumpf wird zunächst der Punkt K ermittelt. Er ergibt sich aus dem Zirkelschlag mit dem Radius E-C um E’ herum und dem Zirkelschlag G-B (auf der gesunden Lippenseite, [ Abb. 1 ]) um C’ herum. Der Punkt L wird gefunden durch Zirkelschlag mit dem Radius C-H jeweils um K und um C’ herum. Die Verbindung der Punkte ergibt die Inzisionslinie E’-K-L-C’. Von C’ aus führt die Inzision senkrecht zur Lippen-rot-weiß-Grenze durch die Dicke des Lippenrots auf die rückwärtige Lippe und auf der Hinterseite am Spaltrand nach oben weiter. Das von der Inzision aus medial liegende Spaltrandgewebe wird exzidiert. Die Punke C und C’ können direkt auf der Lippenrotkante angelegt werden; es ergibt sich jedoch ein noch günstigerer Schnittverlauf bei einer Plazierung 1 mm oberhalb der Lippenrotkante.

Wie die in [ Abb. 2 ] dargestellte Entfaltung der aufgeteilten Lippenstümpfe ersehen läßt, werden die Lippenzipfel C nach K und L nach H vernäht, und die Schnittlängen der Läppchen passen genau zusammen. Es folgt hieraus die zickzackförmige Verschachtelung der Lippe. Die Höhe der Lippe auf der Spaltseite kann bei dieser Ausmeßtechnik um einen minimalen Betrag geringer werden als auf der gesunden Seite. Dies ergibt sich dann, wenn der obere Teil der Zickzacknaht mehr nach außen geneigt ist, als es der Philtrumleiste auf der gesunden Seite entspricht ([ Abb. 3 ]). Eine minimale Verkürzung auf der Spaltseite ist jedoch erwünscht, da eine Vergrößerungstendenz bei Dreiecksläppchen im späteren Wachstum sicher ist. Der Nasenboden wird mit dem Zwischenkiefer-Septumschleimhaut-Lappen gebildet.

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Abb. 3

Bezugs- und Gefahrenpunkte

Bei allen plastischen Operationen werden die Bezugspunkte auf der Haut durch Farbpunkte markiert.

Bei den Totalspalten ist es entscheidend, daß die richtigen Bezugspunkte im Bereich der Knochenspalte miteinander verbunden werden. Wenn dies erfolgt, erfüllt die Operation funktionelle Ansprüche und führt von sich aus dazu, daß die postoperative Narbenschrumpfung die richtigen Bezugspunkte zueinander bringt.

  • Wichtigste Bezugspunkte bei Totalspalten sind die Pole des Alveolarfortsatzes am medialen und lateralen Kieferstumpf.

Die Vereinigung eben dieser Teile ([ Abb. 4 ] oben) wird realisiert durch das operative Vorgehen entsprechend [ Abb. 3 ] aus LRO 10/2018. Der längere Verschluß des Nasenbodens bis zum Hinterrand des harten Gaumens zugleich mit der Lippenoperation durch eine Vomerlappen-Plastik verursacht dagegen eine Narbenschrumpfung, bei der der kleine Kieferstumpf in eine sekundäre Fehlstellung hinter den Zwischenkiefer gezogen wird ([ Abb. 4 ] unten). Diese Gefahr besteht nicht mehr, wenn der harte Gaumen zeitlich erst später geschlossen wird, nachdem die Kieferstümpfe miteinander vereinigt und in ihre korrekte Bogenform eingestellt worden sind ([ Abb. 4 ] oben rechts).

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Abb. 4 Auswirkung der unterschiedlich weiten Nasenbodenbildung auf das Zusammentreten der Kieferstümpfe.

Gefahren können durch Blutungen entstehen, sind aber bei zusätzlicher Vasokonstriktion durch Lokalanästhesie gering. Spritzende Blutung entsteht beim Durchtrennen der Lippenarterie, Blutstillung erfolgt am besten durch Elektrokoagulation.


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Regeln, Tricks und typische Fehler

  1. Ausmessung und Anzeichnung der Lippe immer vor der Lokalanästhesie, da sonst durch Aufquellen Ungenauigkeiten entstehen.

  2. Vasokonstriktion wird erst nach 10 Min. wirksam, nach der Injektion abwarten.

  3. Markierungspunkte bei der Inzision nicht wegschneiden, sondern am Rande bleiben; an der Lippen-rotweiß-Grenze doppelte Punkte stechen, sie ist am Ende der Operation oft nicht mehr sicher zu erkennen.

  4. Zu kurze Lippenhöhe bei der bogenförmigen Rotationsplastik kann mit erweiterter Rotation durch „backcut“ und umfassende muskuläre Mobilisierung vermieden werden.

  5. Bei der Dreiecksläppchenplastik mit den Inzisionen zur Bildung des Dreiecksläppchens beginnen, dabei die Lippe zwischen zwei Fingern oder durch einen unterlegten Tupfer feststellen.

  6. Während des Lippenverschlusses den Amorbogen durch eine Haltenaht in der gewünschten Stellung fixieren.

  7. Vor der Naht im Lippenrot Rollränder wegschneiden.

  8. Bei den Muskelnähten die Knoten nach hinten zur Schleimhautseite legen.


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Nachbehandlung

  • Operierte Lippe durch Steristripverband fixieren.

  • Durch Logan-Bogen ruhigstellen.

  • Magensonde durch das Nasenloch auf der nichtoperierten Seite einführen.

  • Arme durch Armmanschetten festlegen.

  • Kaltvernebler zur Bronchitisprophylaxe.

  • Eine Woche lang Antibiotikaschutz, fakultativ.

  • Ausreichende Sedierung.

  • Nähte aus der Lippe am 4. Tag entfernen, die Lippe wieder mit Steristrips abkleben.

  • Entlassung zwischen 8. und 10. Tag.


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Funktionelle Folgezustände

Bei einseitigen Totalspalten entsteht regelmäßig eine Schiefnase zur gesunden Seite hin. Operative Geradestellung durch Septorhinoplastik soll erst nach Auswachsen der Nase im Alter von 17–18 Jahren erfolgen.

Bei doppelseitigen Lippenspalten verursacht die zu kurze Kolumella eine ungenügende Nasenspitzenprominenz bis hin zur Schafsnase mit queren Nasenlöchern. Die operative Verlängerung der Kolumella ist regelmäßig notwendig, Zeitpunkt der Wahl ist das 5. Lebensjahr.

Unzweckmäßige Operationstechniken und falsch gewählte Operationszeitpunkte verursachen sekundäre Fehlstellungen der Kieferstümpfe. Eine Intervention am knöchernen und knorpeligen Stützgerüst bereits in den ersten Lebensjahren und traumatisches Operieren führen zu postoperativen Wachstumsstörungen und zur Kieferverkrüppelung.

Aus: Kastenbauer E. R., Tardy jr., Eugene M. Ästhetische und Plastische Chirurgie an Nase, Gesicht und Ohrmuschel. 3., unveränd. Aufl. 2005.


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