Zeitschrift für Palliativmedizin 2018; 19(05): 241-245
DOI: 10.1055/a-0662-1491
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Doppelkopf: Christina Müller und Thomas Montag

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Publication Date:
20 August 2018 (online)

Christina Müller

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Zur Person

Jahrgang 1945, immer Erfurt, verheiratet, eine Tochter, Enkelsohn (24), Enkeltochter (15) Down-Syndrom

Abitur 1964 (altsprachlich)

Praktisches Jahr als Hilfsschwester 1964/65 in der Nervenklinik der Med. Akademie Erfurt

Medizinstudium 1965 – 1971 in Leipzig und Erfurt

Lenkung durch die damalige Bezirksärztin in die sogenannte Grundversorgung (Allgemeinmedizin), trotz des Berufswunsches Innere Medizin („Leute wie Sie gehören nicht an eine sozialistische Hochschule“)

Facharzt für Allgemeinmedizin 1976

Dipl. Med. 1973 zu einem Thema aus der Pharmakologie

Dr. med. 1976 ebenfalls Thema aus der Pharmakologie

Immer wieder Anträge an die Bezirksärztin auf zweite Facharztausbildung im Fach Innere Medizin – immer wieder Ablehnung, erst im Dezember 1989! Bewilligung des Antrages

Facharzt für Innere Medizin 1991

Hauptarbeitsgebiet seitdem Onkologie, Palliativmedizin

Als Oberärztin in der Klinik für Innere Medizin des Katholischen Krankenhauses in Erfurt Aufbau der ersten Palliativstation in Thüringen 1996 gemeinsam mit Thomas Montag

Aufbau einer eigenständigen Klinik für Palliativmedizin in der Zentralklinik Bad Berka 2004 und deren Chefärztin

Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin 1996 bis 1998

Vorstandsmitglied im Tumorzentrum Erfurt von 2004 – 2011

Aufbau und Leitung der Sektion Palliativmedizin der Akademie für Ärztliche Fortbildung der Landesärztekammer Thüringen (Projektarbeit mit Thomas Montag)

Erlangung der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin im Juli 2005

Gründung des Runden Tisches Palliativmedizin und Hospizarbeit Thüringen gemeinsam mit Dr. Birgitt van Orschot, damals Jena, jetzt Würzburg und Prof. Dr. Winfried Meissner, Jena, Sommer 2005

Kursleitung für Basiskurse und Fallseminare zur Erlangung der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin für Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen (bis 2011)

Mitglied im Prüfungsausschuss bei der LÄKT

Zahlreiche Vorträge auf dem Gebiet Palliativmedizin, Veröffentlichungen in diversen Fachzeitschriften, Organisation der jährlich stattfindenden Symposien Palliativmedizin in der Zentralklinik Bad Berka von 2005 – 2011

Ruhestand seit 1.4.2011

Mitarbeit im SAPV-Team „Palliatus“ in Weimar seit 2012

2010 Ludwig-Pfeiffer-Medaille der Landesärztekammer Thüringen

2012 Bundesverdienstkreuz

Interessengebiete neben der Medizin:

Enkeltochter Tanja, Literatur (auch Krimis), Bildende Kunst mit der Neigung zu Käufen „über die Verhältnisse“, Musik, Skifahren, Radfahren, Reisen.

Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld?

Seit den Vorlesungen zur Differenzialdiagnose in der Inneren Medizin von Prof. August Sundermann, einem hervorragenden Hochschullehrer und Arzt an der Medizinischen Akademie Erfurt, wollte ich als Internistin dem Geheimnis der Diagnose auf die Spur kommen. In der Spurensuche also lag für mich die Faszination des Fachgebietes Innere Medizin. Wie schon erwähnt, wurde mir das trotz der Möglichkeit, eine Facharztweiterbildung an der Medizinischen Akademie in Erfurt machen zu können, aus politischen Gründen verwehrt. Den Traum, Internistin zu werden, gab ich jedoch nie auf.Meine Tätigkeit als Allgemeinmedizinerin zunächst in einer städtischen Poliklinik und dann in der Inneren Ambulanz des Katholischen Krankenhauses möchte ich jedoch keinesfalls missen. Hier sammelte ich wertvolle Erfahrungen für meine Tätigkeit als Arzt. Hier lernte ich, dass es nicht nur die faszinierende Spurenfindung mit dem Ziel der Diagnose gibt, sondern danach eine Therapie erfolgen muss. Hier erst und nicht im Studium lernte ich die Möglichkeiten und vor allem die Grenzen von kurativer Therapie kennen. Auf den Hausbesuchsrunden in der Poliklinik (Spritzendienst) erlebte ich menschliches Leid, nicht beeinflussbare Schmerzen, Sterben und Tod erstmals hautnah. Hier erlebte ich eigene Grenzen und defizitäre Versorgung unheilbar kranker Menschen und spürte die Last einer Verantwortung, der ich nicht wirklich gerecht werden konnte. Die schmerzgeplagten, schwerkranken Menschen erhielten 2-mal am Tag eine „Ampulle M“. Manchmal hörte ich die Schreie schon auf der Straße.Im Zuge der politischen Wende konnte ich dann Internistin werden. Auf der ersten Demonstration in Erfurt trug ich ein selbst gemaltes Plakat mit der Aufschrift „Frau Bezirksärztin K. in die Grundversorgung!“ Bei den folgenden Demonstrationen in Erfurt, Weimar und Leipzig trug ich dann eine Kerze.Anfang der 90er-Jahre erkrankte meine Freundin an einem rasch progredienten, multipel metastasierten und mit quälenden Symptomen verbundenen Rhabdomyosarkom. Sie wurde zum Sterben auf die Intensivstation unseres Krankenhauses gelegt, wo zu diesem Zeitpunkt die Schmerzsituation am besten kontrolliert werden konnte und die pflegerische Versorgung individualisiert und zugewandt war. Die ärztliche Leitung der Intensivstation hatte mein Mann. Die pflegerische Leitung hatte Thomas Montag.Ich selbst arbeitete als Oberärztin auf einer 42- bis 45-Bettenstation, auf der sowohl allgemein-internistische Patienten, als auch zunehmend onkologische Patienten behandelt wurden.Auch hier machte ich wieder die Erfahrung, dass es Situationen gibt, in denen andere Dinge gefragt sind, als die, die wir zu bieten hatten.Als dann 1994 die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin gegründet wurde, trat ich ihr umgehend bei, machte zahlreiche Kurse. auch mit Thomas Montag gemeinsam und überwiegend in Bonn. Ich hatte meinen Weg gefunden. Wegweisend waren der Spritzendienst in der Poliklinik, das Erleben von Krankheit, Leid und Tod meiner Freundin Ute und die Situation der Krebskranken, denen man keine kurative oder palliative tumorspezifische Therapie mehr anbieten konnte.Mein Leitspruch wurde ein Zitat von I. D. Yalom aus „Meine Reise mit Paula“:„Warum können die Ärzte nicht erkennen, dass der Augenblick, in dem sie sonst nichts mehr zu bieten haben, der Augenblick ist, in dem man sie am nötigsten braucht?“

Was wäre für Sie eine berufliche Alternative?

Zu DDR-Zeiten hätte es vermutlich keine gegeben, da für mich interessante Berufe zu systemnah und ideologisch besetzt gewesen wären. Unter den heutigen Bedingungen bin ich mir, ehrlich gesagt, nicht mehr ganz sicher, ob mich nicht vielleicht Berufe wie Journalistin, Kunsthistorikerin bzw. Kunstwissenschaftlerin, Galeristin o. Ä. durchaus auch gereizt hätten.

Wie beginnt für Sie der Tag?

MDR-Kultur anstellen, 10 Minuten Frühsport, kalt duschen, Frühstück mit Ehemann und Kerzenlicht – alles seit Jahren ritualisiert.

Leben bedeutet für mich?

Ein großes, nicht selbstverständliches und eigentlich unverdientes, kostbares Geschenk.

Sterben bedeutet für mich?

Das Ende dieses wunderbaren Lebens, was diesem jedoch auch seinen Wert verleiht. Ewiges Leben? – ich bin mir nicht sicher, ob ich das wollte. Aber Sterben ist ja auch keine Option, sondern eine Zwangsläufigkeit. Und das finde ich gut. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist J. Saramagos Buch „Eine Zeit ohne Tod“.

Welches Ziel möchten Sie unbedingt noch erreichen?

Ich möchte erleben und dazu beitragen, dass meine Enkeltochter Tanja ihren Platz in ihrem Leben findet. Sie ist ein ganz besonderer Mensch mit ganz besonderen Möglichkeiten, die es wahrzunehmen und zu entwickeln gilt. Leicht haben es diese Kinder nicht. Insbesondere nicht unter Gleichaltrigen ohne Handicap. Inklusion ist ein Traum, dem die Akteure fehlen.

Meine bisher wichtigste Lernerfahrung im Leben ist:

Dass zu Lebensqualität nicht nur die Selbstverwirklichung, sondern auch die Selbstbeschränkung gehört, dass es keine letzte Sicherheit gibt, dass kein Ding so schlecht ist, als dass es nicht auch eine gute Seite hätte, wie mein Vater immer sagte …

Was würden Sie gern noch lernen?

Richtig gut zu kochen – wie meine Freundin Angelika Mücke.

Woraus schöpfen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?

Aus der Freude an ihr. Aus der Neugierde auf die Menschen und ihre Geschichten. Aus meinem Morgenritual. Aus dem Hören von J. S. Bachs Musik egal wo und wie. Aus der Begegnung mit Tanja und Martin Oskar, meinem Enkelsohn. Aus Büchern und Filmen. Aus dem Erleben von Natur zu Fuß, zu Fahrrad oder auf Skiern gemeinsam mit meinem Mann Heile. Aus den Gesprächen mit Freunden oder meiner Familie bei gutem Essen und gutem Wein. Beim Betrachten von Bildern. Beim Erkunden mir bisher unbekannter Orte …

Mit wem aus der Welt- oder Medizingeschichte würden Sie gern einmal einen Abend verbringen?

Mit Herrn Prof. Pichlmaier, der mir geholfen hat, mich auf dem mir unbekannten Parkett des durchweg westlich besetzten Vorstandes der DGP halbwegs sicher zu bewegen.

Wenn ich einen Tag unsichtbar wäre, würde ich …

meine Enkeltochter Tanja begleiten und sie erleben wollen in Situationen, in denen wir sie nie erleben können.

Wie können Sie Thomas Montag beschreiben?

Thomas war mein wichtigster Partner beim Aufbau der Erfurter Palliativstation und bei der Entwicklung von Weiterbildungsstrukturen in Palliative Care für Pflegende und Ärzte in Thüringen.Wie aus meinem Lebenslauf ersichtlich ist, gab es schon in den frühen 90er-Jahren eine erste Begegnung in einer nicht nur hochpalliativen, sondern terminalen Situation am Sterbebett meiner Freundin auf der Intensivstation. Als dann einige Jahre später das Projekt Palliativstation diskutiert und im Verlauf auch umgesetzt wurde, war ich hocherfreut über das Interesse auf Thomas Seite und völlig skrupellos, meinem Ehemann seinen besten Mann abwerben zu können. So wurde aus dem leitenden Pfleger der renommierten Intensivstation der leitende Pfleger der Palliativstation, die nicht durchgehend gewollt wurde, vor allem von einer Gruppe streng kurativ ausgerichteter Ärzte. Wir haben uns gemeinsam auf ein Unterfangen eingelassen, von dem wir nicht wussten, wie es ausgehen wird. Und wir haben sowohl die Anfangsschwierigkeiten als auch die Mühen der Ebene miteinander gut meistern können.Ich schätzte und schätze bei Thomas sein von Sentimentalität freies Engagement, seine kitschfreie Empathie, seine warmherzige Sachlichkeit, sein wirkliches Interesse am Menschen, seine Sorgfalt und seinen Humor am Patienten, seine Selbstironie, seine Fähigkeit, mit Sprache umgehen zu können, seine kritische Intelligenz und seinen Pragmatismus. Das wäre jetzt alles ausbaufähig, wird dann aber zu lang.Jedenfalls haben wir tolle Zeiten miteinander verlebt, viele Ziele erreicht und ich habe Thomas Montag nach unserem Weggang aus dem KKH (ich nach Bad Berka, er nach Köln) nicht selten ziemlich vermisst.

Wie beenden Sie ihren Tag?

Lesen, Musik hören, draußen sitzen an einem warmen Sommerabend und mich einfach meines Lebens freuen ohne irgendetwas zu tun.

Gibt es etwas, das Sie gern gefragt worden wären, aber noch nie gefragt worden sind?

Was möchtest Du denn heute essen? Was soll ich kochen für uns beide mein Schatz?