Neonatologie Scan 2020; 09(01): 51-64
DOI: 10.1055/a-0748-6626
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Recht in der Prä- und Perinatalmedizin

Zur rechtlichen Position der Eltern bei schwierigen Therapieentscheidungen
Georg Rellensmann
,
Thomas Gutmann

Subject Editor: Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Georg Rellensmann, Datteln.
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Publication Date:
27 February 2020 (online)

Bei der Diagnostik und Therapie vital bedrohter Feten, Früh- und Neugeborener müssen Eltern und behandelnde Ärzte oft schwierige Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen treffen. In Grenzbereichen ist es wichtig, dass Neonatologen und Geburtshelfer mit dem rechtlichen Rahmen ihrer Tätigkeit vertraut sind und die Rechte und Pflichten von Ärzten, ihren Patienten und deren Eltern kennen und achten. Der Beitrag gibt einen Überblick über den rechtlichen Rahmen in klinisch und juristisch relevanten Handlungsfeldern der Prä- und Perinatalmedizin.

Kernaussagen
  • Jeder diagnostische oder therapeutische Eingriff bedarf der Aufklärung und Einwilligung des Patienten bzw. seines Vertreters. Nur unaufschiebbare Notfallmaßnahmen sind hiervon ausgenommen.

  • Eltern sind die Vertreter ihrer Kinder. Sie sind über medizinische Maßnahmen aufzuklären und können rechtswirksam in einen Eingriff einwilligen oder ihn ablehnen.

  • Das elterliche Recht der Personensorge umfasst nicht „schlechthin unvertretbare Entscheidungen“ zum Nachteil des Kindes; ggf. ist ein Familiengericht einzuschalten.

  • Wenn eine lebenserhaltende Intensivtherapie ihr Ziel nicht (mehr) erreichen kann oder aus nachvollziehbaren Gründen vom Vertreter des Kinds abgelehnt wird, ist es ethisch und rechtlich geboten, eine solche Therapie weder zu beginnen noch fortzusetzen. Eine symptomlindernde palliative Therapie ist immer indiziert.

  • Für Eingriffe in der Pränatalmedizin ist die Schwangere Adressat von Aufklärung und Einwilligung. Sie trifft eine verantwortliche Entscheidung für sich und das ungeborene Kind.

  • Schriftlich fixierte „Empfehlungen zum Vorgehen in Notfallsituationen“ können dazu beitragen, dass Kinder mit begrenzter Lebenserwartung in einem unerwarteten Notfall eine angemessene Therapie erhalten. Rechtliche Verbindlichkeit kommt solchen Empfehlungen nicht zu.

  • Eine familienzentrierte Therapie mit offener Kommunikation und proaktiver Mediation von Konflikten erleichtert tragfähige Therapieentscheidungen und hilft, juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden.

 
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