Der Nächste, bitte (nicht)!

Ich kann es nicht mehr vor mir und meinen Mitarbeitern leugnen: Houston, wir haben ein Problem! Der Fachkräftemangel hat auch bei uns an der Charité Einzug gehalten, und wir können uns unsere Bewerber schon lange nicht mehr aussuchen. Mein Posteingang mit möglichen Anwärtern bleibt verwaist. Und wenn sich doch mal eine einsame Bewerbung verirrt, weiß der Absender meist genau, was er von seinem neuen Arbeitgeber erwartet: „Ich suche keinen Arbeitgeber, sondern einen Partner, Coach und Berater. Zudem wünsche ich mir interessante Patienten, eine hohe Transparenz und Kommunikation, schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, eine gute Work-Life-Balance und auf meine Bedürfnisse flexibilisierte Arbeitszeiten.“ Aha.

Doch das ist erst der Anfang. Letztens bewarb sich Max Mustermann. Er absolvierte von 2014–2017 das Musterstudium an der Musteruniversität und erlangte den Abschluss: „Beispielabschluss hier einfügen“. Richtig sympathisch wurde er mir dann in seinem Anschreiben: „Ich kann ausschließlich von 9–12 Uhr und auf keinen Fall am Wochenende arbeiten. Mein Partner ist Hauptverdiener, daher hat das Familienleben bei mir Vorrang. Zudem möchte ich bitte nur in dem von mir gewünschten Fachgebiet arbeiten.“ Ehrlich war er ja, aber für einen Klinikeinsatz doch sehr schwierig umsetzbar.

„Wenn Bewerber Bedingungen stellen, wird der Fachkräftemangel Wirklichkeit.“

Zu guter Letzt kam nun gestern der Masterabsolvent. Mitte dreißig. Dem Lebenslauf ist zu entnehmen, dass er die vergangenen anderthalb Jahrzehnte so dies und das getan hat. Jetzt ist er fertiger Physiotherapeut. Nach den Strapazen möchte er es erst mal ruhig angehen lassen und kann sich nicht mehr als 20 Stunden vorstellen. Ich mir auch nicht.

Den Luxus, einen Bewerber nicht zum Gespräch einzuladen, können wir uns aber leider nicht mehr leisten. Also haben wir uns für Max Mustermann entschieden – und wir hatten Glück: Er ist nun seit einigen Wochen bei uns und ein toller Mitarbeiter.

Herzlichst Ihre
Andrea Wilck

Andrea Wilck
Leitung Charité Physiotherapie- und Präventionszentrum, Campus Virchow