Der Nuklearmediziner 2019; 42(01): 13-14
DOI: 10.1055/a-0807-3338
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Theranostik

Theranostics
Wolfgang A. Weber
Nuklearmedizinische Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, München
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
25 April 2019 (online)

Theranostik (oder auch Theragnostik) bezeichnet eine enge Verknüpfung von Diagnostik und daraus folgender Therapie. Prinzipiell kann damit jede Kombination von Diagnostik und Therapie z. B. ein Laborwert und sich daraus ergebende Konsequenzen für eine medikamentöse Therapie, bezeichnet werden. Zunehmend wird der Begriff Theranostik aber spezifisch für die nuklearmedizinische Bildgebung und Therapie mit demselben oder zwei sehr ähnlichen Radiopharmaka bezeichnet.

Dieses Konzept ist für die Nuklearmedizin natürlich nicht neu. Es wird vielmehr seit Jahrzehnten für die Therapie von Schilddrüsenerkrankungen angewandt. In den letzten Jahren konnte jedoch die Theranostik für eine ganze Reihe weiterer Tumorerkrankungen erfolgreich angewandt werden. Dazu gehören vor allem die neuroendokrinen Tumore und das Prostatakarzinom. Die Wirksamkeit der Therapie von neuroendokrinen Tumoren mit radioaktiv markierten Analoga des Peptidhormons Somatostatin konnte in der randomisierten NETTER-1 Studie definitiv nachgewiesen werden. Diese Studie führte zur Zulassung des Liganden 177Lu-DOTA-TATE in Europa und den USA. Parallel dazu wurden 68Ga-DOTA-TATE und 68Ga-DOTA-TOC für die Bildgebung von neuroendokrinen Tumoren und die Patientenselektion für die Radionuklidtherapie zugelassen. Eine Phase-III-Studie mit dem Ziel der Zulassung eines radioaktiv markierten PSMA-Liganden für die Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms soll in 2020 abgeschlossen werden. Phase-III-Studien zur Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms mittels PET/CT und radioaktiv markierten PSMA-Liganden rekrutieren ebenfalls Patienten.

Wenn diese Studien erfolgreich sind, bestehen wenig Zweifel, dass aufgrund der Häufigkeit des Prostatakarzinoms die Radionuklidtherapie ein zentraler Bestandteil der klinischen Nuklearmedizin werden wird. Parallel dazu wird sehr wahrscheinlich auch die PET-Bildgebung für die Patientenselektion und Verlaufskontrolle weiter zunehmen.

Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen und für die klinische Praxis relevanten Entwicklungen soll diese Ausgabe des Nuklearmediziners ein Update zum aktuellen Stand der klinischen Anwendung von theranostischen Verfahren geben und über weitere Entwicklungen informieren. Ein besonderes Ziel dieses Heftes ist es dabei die Radionuklidtherapien im Kontext der anderen verfügbaren Therapien darzustellen.

Nagarajah et al. berichten über neue Entwicklungen zur Behandlung des metastasierten Schilddrüsenkarzinoms. Hier haben Erkenntnisse zur Regulation der Expression des Natrium-Jodid-Symporters (NIS) zu Therapieverfahren geführt, mit denen erstmals die Radiojodspeicherung von Schilddrüsenkarzinomen bei einer relevanten Zahl von Patienten substanziell gesteigert werden konnte. Dies ermöglicht im Rahmen von klinischen Studien neue Therapieoptionen für Patienten mit metastasierten Schilddrüsenkarzinomen, die nicht oder nicht mehr Radiojod speichern.

Paprottka beschreibt die Anwendung der Radioembolisation bei Lebertumoren und insbesondere neue 168Holmium-Partikel, die für Bildgebung und Therapie eingesetzt werden. Dadurch kann wahrscheinlich die Verteilung der Partikel und die erzielte Strahlendosis besser bestimmt werden.

Kreissl et al. beschreiben die Anwendung von nuklearmedizinischen Verfahren zur Therapie von Tumoren des Nebennierenmarks und der Nebennierenrinde. Neben der etablierten 131I-MIBG-Therapie für Tumoren des Nebennierenmarks stehen mit radioaktiven Inhibitoren des in der Steroidsynthese beteiligten Enzyms 11-beta-Hydroxylase Therapiemöglichkeiten für Nebennierenrindenkarzinome. Einer seltenen, aber sehr aggressiven Erkrankung mit schlechter Prognose und nur wenigen Therapieoptionen.

Lapa et al. berichten über die ersten klinischen Ergebnisse in der Therapie von hämatologischen Erkrankungen, vor allem multiplen Myelomen, mit einem radioaktiv markierten Liganden des Chemokinrezeptors CXCR4. Diese Daten zeigen, dass mit dieser Therapie auch bei sehr fortgeschrittenen Erkrankungen Remissionen erzielt werden können.

Bodei und Weber stellen die Therapie von neuroendokrinen Tumoren und insbesondere die Anwendung von radioaktiv markierten Somatostatinrezeptor-Liganden dar. Aufgrund ihrer im Vergleich zur medikamentösen Therapie besseren Verträglichkeit und höheren Effektivität wird die Radionuklidtherapie nach der erfolgten Zulassung von 177Lu-DOTA-TATE in der Zukunft wahrscheinlich zunehmend für die Behandlung von metastasierten neuroendokrinen Tumoren angewandt werden.

Kroenke et al. geben einen Überblick über die rasante Entwicklung der Radionuklidtherapie des Prostatakarzinoms. Innerhalb weniger Jahre wurden auf diesem Gebiet Liganden von der ersten Synthese bis zu Phase-III-Studien gebracht. Die klinischen Ergebnisse der Therapie mit PSMA-Liganden machen es wahrscheinlich, dass bei bis zu 50 % der Patienten mit keinen anderen Therapiemöglichkeiten eine klinisch relevante Remission erzielt werden kann.

Zum Abschluss berichtet Weber über aktuelle Entwicklungen von theranostischen Radiopharmaka, die in ersten klinischen Studien getestet werden.

Die Vielzahl der Entwicklungen auf dem Gebiet der Theranostik werden unser Fach in den nächsten Jahren verändern. Mit der Einführung der PET/CT vor fast 20 Jahren hat sich der Schwerpunkt der Nuklearmedizin auf die multimodale Bildgebung verschoben. Durch die neuen theranostischen Radiopharmaka wird die nuklearmedizinische Therapie und der Kontakt mit Patienten bei der Planung, Durchführung und Nachsorge von Therapien wieder gestärkt werden. Parallel dazu wird auch die Bedeutung der Hybridbildgebung für die Patientenselektion, Dosimetrie und Therapiekontrolle weiter zunehmen.