Balint Journal 2018; 19(04): 126
DOI: 10.1055/a-0817-4852
Nachruf
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Nachruf Dieter Seiler (1931–2018)

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Publication Date:
20 December 2018 (online)

Die Schweizerische Balintgesellschaft trauert um ihr Gründungsmitglied Dieter Hunziker Seiler, der am 8. Februar 2018 im 87. Lebensjahr in Solothurn verstarb.

Dieter Seiler wurde am 31. Mai 1931 in München als erster von 2 Söhnen eines Facharztes für Innere Medizin und einer Pianistin geboren. Kindheit und Jugend waren von Verlusterlebnissen geprägt: Die Mutter verstarb 1936, die Stiefmutter und zweite Ehefrau des Vaters kam 1938 bei einem Unfall zu Tode. Vom Vater wurde der 8-jährige getrennt, als jener als Militärarzt in den Krieg einberufen wurde. Während des Krieges lebten Dieter Seiler und sein Bruder erst bei Verwandten, dann in einem Internat und ab 1944 waren sie bei Bauern auf dem Lande evakuiert.

Das Abitur macht er 1952 in Düsseldorf und nach bereits längerem Engagement in der Jugendarbeit der evangelischen Kirche studiert er von 1952 bis 1956 Theologie, Philosophie und Altphilologie in Tübingen, Göttingen und Kiel. Für seine erste Anstellung als Vikar zieht es ihn wieder nach München, wo er heiratet und eine Familie gründet mit einer Tochter und einem Sohn. 1960 wird er hier zum Gemeindepfarrer in der neu entstandenen Gemeinde in München-Fürstenried ernannt und leistet 10 Jahre lang intensive Aufbauarbeit.

Der nächste berufliche Schritt führt Dieter Seiler wieder in Deutschlands Norden: 1970 wird er zum Direktor des Prediger- und Studienseminars in Preetz berufen. Hier entwickelt er ein neues, praxisorientiertes Ausbildungsmodell, er erweitert aber auch seinen eigenen beruflichen Horizont: Er absolviert die Ausbildung in Pastoralpsychologie, und nimmt ab 1971 an einer Balintgruppe am Michael Balint-Institut in Hamburg teil. Er ist mehrere Jahre Mitglied des Vorstandes der deutschen pastoralpsychologischen Fachgesellschaft. Ab 1976 engagiert sich Dieter Seiler in einer eigenen nebenamtlichen Praxis als Berater und Therapeut.

Das Jahr 1982 stellt eine Zäsur dar: Als Dieter Seiler sich nach bereits längerer Trennung von seiner Ehefrau scheiden lässt, endet damit auch die kirchliche Anstellung in Preetz. Er wechselt nun in die Schweiz und tritt ein kleines Gemeindepfarramt in Cazis (Graubünden) an, das mit dem Pfarramt in der Psychiatrischen Klinik Beverin und dem lokalen Gefängnis verbunden ist.

Und in der Schweiz lernt Dieter Seiler auch seine zweite Ehefrau kennen, die Pfarrerin Franziska Hunziker. Sie heiraten 1986, im gleichen Jahr, in dem er die Ausbildung zum Psychoanalytiker am Freud Institut in Zürich aufnimmt.

1994 lassen sich Dieter und Franziska Seiler als Psychotherapeuten und Psychoanalytiker in eigener Praxis in Solothurn nieder; zudem sind sie seelsorgerisch in der nahen Justizvollzugsanstalt tätig. Beide bleiben aber mit ihrem vorherigen Schaffensort durch die Leitung einer bereits seit ein paar Jahren bestehenden interdisziplinären Balintgruppe in Thusis eng verbunden. Zudem gründet Dieter Seiler 1999 eine weitere Balintgruppe in Münchenbuchsee (Kt. Bern). In beiden Balintgruppen ist er bis 2017 in der Leitung engagiert und hat so eine grosse Zahl von Kolleginnen und Kollegen jahrelang in ihrer therapeutischen Tätigkeit begleitet und gefördert.

In der Schweizerischen Balintgesellschaft setzt er sich erfolgreich für die Gründung einer Psychologischen Sektion der Balintgesellschaft ein und vertritt einen interdisziplinären Ansatz, sodass die Schweizerische Balintgesellschaft neben Ärzten auch Theologen und Psychologen als Mitglieder aufnimmt und als Balintgruppenleiter anerkennt. Damit hat er der Gesellschaft eine Offenheit und Vielfalt gegeben und die schweizerische Balintlandschaft in einem wichtigen Punkt geprägt.

Gemeinsam mit seiner Frau Franziska wird er zum Kern und Motor eines interdisziplinären Arbeitskreises für Balintgruppenleiter, die sich im Juli 1999 zum ersten Mal und seitdem regelmässig in ihrem Haus in Solothurn treffen. Aus diesem Arbeitskreis heraus entsteht auch der Interdisziplinäre Balinttag in Thun, der 2018 bereits zum 14. Mal, jedoch erstmalig ohne Dieter Seiler stattfand.

Die Arbeit mit Gruppen wird auch zu seinem besonderen theoretischen Interesse. Neben seiner fundierten Kenntnis der psychoanalytischen Literatur und der Schriften von Michael Balint beschäftigt er sich vertieft mit den Arbeiten des Gruppentheoretikers Wilfred Bion. Nachdem Dieter Seiler während seines gesamten Berufslebens bereits literarisch aktiv war, entstehen noch 3 wichtige Aufsätze, die sich mit grundlegenden Themen unserer Arbeit befassen.

In seinen letzten Lebensjahren hat sich Dieter Seiler schrittweise von seinen Aktivitäten getrennt, von der Teilnahme an den Sitzungen der Balintgesellschaft, dann von der therapeutischen Tätigkeit in seiner Praxis und schliesslich 2017 von den Gruppenleitungen; schweren Herzens, war er doch unvermindert inhaltlich interessiert und lebendig beteiligt, aber zunehmend beeinträchtigt durch eine Schwerhörigkeit. Der Abschied aus unserer Intervisionsgruppe war für Ende Februar 2018 geplant; zweieinhalb Wochen davor ist er verstorben.

Dieter Seiler blieb in seiner Haltung und seinem Denken immer der Pfarrer und Seelsorger und der Psychoanalytiker zugleich: Mit seiner Offenheit und anhaltenden Begeisterung für die Arbeit, mit seiner zwischenmenschlich warmen und verbindlichen Art, seiner Fähigkeit zu integrieren und mit seinem umfangreichen Fachwissen hat er der Balintarbeit in der Schweiz nachhaltige Impulse gegeben. Uns Mitglieder des Solothurner Arbeitskreises hat er in unserer persönlichen Entwicklung als Balintgruppenleiter geprägt und unterstützt. Auf die gemeinsamen Gespräche und Begegnungen mit ihm blicken wir dankbar zurück.

Philipp Portwich (Brig), Dieter Hofer (Thun) für den Interdisziplinären Arbeitskreis für Balintarbeit