Neonatologie Scan 2019; 08(02): 73-74
DOI: 10.1055/a-0891-6179
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dauerthema Atemregulation

Axel Hübler
,
Roland Hentschel
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Publication History

Publication Date:
24 June 2019 (online)

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Axel Hübler
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Roland Hentschel

Liebe Leserinnen und Leser,

bei der Vorbereitung dieses Heftes ist uns erneut deutlich geworden, wie rasch sich der Wissenszuwachs in unserem Fachgebiet vollzieht.

Wir sind sehr dankbar, dass wieder engagierte Kolleginnen und Kollegen für die Neonatologie Scan ihre Erfahrungen und Kenntnisse zur Verfügung gestellt haben. So erwartet Sie beim Lesen in der Rubrik Fortbildungen der zweite Teil von Ralf-Bodo Tröbs Beitrag „Gastrointestinale Fehlbildungen und Erkrankungen des Neugeborenen“ sowie Petra Koehnes und Hannes Salmons aktuelle Übersicht „Persistierender Ductus arteriosus des Frühgeborenen – Therapiestrategien“. In der Diskussion bewerten Philipp Henneke, Thorsten Orlikowsky und Christian Gille die kürzlich im Lancet publizierte ELFIN-Studie. Annett Bläser beurteilt Daten einer Langzeituntersuchung zu neonataler Bildgebung und neurologischer Entwicklungsprognose aus The Journal of Pediatrics.

Wie wichtig solide Informationen zur Behandlungsplanung der uns anvertrauten Patienten sind, merken wir in unserer täglichen Arbeit. Erinnern Sie sich noch an die mitunter etwas hilflose Polypragmasie der Therapie des Apnoe-Bradykardie-Syndroms, bevor die Arbeitsgruppe um Barbara Schmidt ab 2006 ihre Ergebnisse zur Coffeintherapie bei Frühgeborenen publizierte?

Bereits 1892 veröffentlichte Adalbert Czerny, später Mitbegründer der modernen Kinderheilkunde, während seiner Assistenzarztzeit bei Alois Epstein in Prag „Beobachtungen über den Schlaf im Kindesalter unter physiologischen Verhältnissen“. Er zeichnete mit dem KNOLLschen Polygraphen das in [Abb. 1] dargestellte Muster auf und beschrieb dies in folgender Weise: „Was die Pausen nach der Exspiration anbelangt, so habe ich gefunden, dass dieselben bei unbehinderter oder nur wenig gehemmter Wärmeabgabe während des Schlafes in unregelmässigen Zeitintervallen 5 bis 10 Secunden lang werden können, ohne dass die nachfolgenden Respirationen wesentlich dadurch beeinflusst erscheinen. Ich gebe hierfür ein Beispiel … welche die Athmungscurve eines 25 Tage alten Säuglings im Schlafe darstellt.“ [1]

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Abb. 1 „Athempausen eines schlafenden Säuglings“ [1].

1914 schätzte August Ritter von Reuss, seinerzeit Leiter der Neugeborenen-Station an der I. Universitätsfrauenklinik zu Wien, im Kapitel „Das frühgeborene Kind“ seines Buches „Die Krankheiten des Neugeborenen“ ein: „Die wichtigste Folgeerscheinung der mangelhaften Entwicklung der Zentralorgane ist die unvollkommene Funktion des Atemzentrums. Während das Herz des frühgeborenen Kindes im allgemeinen gut funktioniert und primär keine Gefährdung des Lebens herbeiführt, sind die Störungen der Respiration vielleicht die häufigste Ursache des Todes oder doch lebensbedrohliche Erscheinungen. Die Athmung kleiner frühgeborener Kinder erfolgt meist ganz oberflächlich und sehr unregelmäßig … Der Gasaustausch ist ein sehr mangelhafter; es kommt zur Überladung des Blutes mit Kohlensäure, die ihrerseits wieder nicht imstande ist, das schlecht erregbare Atemzentrum zu reizen. Das Kind hört schließlich bei gleichzeitiger cyanotischer Verfärbung ganz zu atmen auf, bis nach einer oft erstaunlich langen Atempause (eine Minute und länger) die Reizschwelle überschritten wird und die Atmung wieder einsetzt …“ [2]. Es erscheint bewundernswert, wie August Ritter von Reuss bereits vor reichlich hundert Jahren aus der klinischen Beobachtung der kleinen Patienten heraus pathophysiologische Mechanismen beschreibt, die auch heute noch Bestand haben.

1966 schätzte Alexander J. Schaffer in „Diseases of the newborn“ ein: „The commonest form of respiratory irregularity in the premature infant is so-called periodic respiration. Thirty to 40 per cent of all prematures are subject to it, breathing periods of ten to fifteen seconds alternating with apneic periods of six to seven seconds. Similar breathing irregularity does not affect the full-term newborn at sea level, altough it frequently does at high altitudes. High environmental oxygen puts a stop to it promptly. Its cause is not fully understood.“ [3]

Auch im vorliegenden Aktuell-Teil finden sich wieder mehrere Studien, welche sich mit Aspekten der Stabilisierung der Atmung beschäftigen. Dies korrespondiert mit der Häufigkeit, mit der das Management unterschiedlicher respiratorischer Störungen Risikoneugeborener unseren klinischen Alltag prägt. Im Gegensatz zu den zitierten Kinderärzten vorangegangener Generationen müssen wir uns jedoch heute häufig nicht mehr auf das Beschreiben der klinischen Situation beschränken, sondern haben therapeutische Optionen. Prüfen wir sie kritisch und nutzen sie sorgfältig!

Ihre Herausgeber

Prof. Dr. med. Roland Hentschel
Leiter des Funktionsbereichs Neonatologie/Intensivmedizin
Universitätsklinikum Freiburg

PD Dr. med. Axel Hübler
Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Klinikum Chemnitz gGmbH

 
  • Literatur

  • 1 Czerny A. Beobachtungen über den Schlaf im Kindesalter unter physiologischen Verhältnissen. In: Heubner O, Steffen A, Widerhofer H. , Hrsg. Jahrbuch für Kinderheilkunde und Physische Erziehung. Leipzig: B.G.Teubner; 1892: 1-28
  • 2 Reuss Rv A. Das frühgeborene Kind. In: Reuss Rv A. , Hrsg. Die Krankheiten des Neugeborenen. Berlin, Heidelberg: Springer; 1914: 127-145
  • 3 Schaffer AJ. Excessive variations in length of gestations. In: Schaffer AJ, Markowitz M, Finberg L. , eds. Diseases of the newborn. 2nd ed. Philadelphia: WB Saunders; 1966: 19-34