Dtsch Med Wochenschr 2020; 145(02): 65
DOI: 10.1055/a-0952-9418
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arterielle Hypertonie

Arterial Hypertension
Martin Middeke
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Publication Date:
20 January 2020 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

unser Dossier Hypertonie befasst sich mit den extremen Schweregraden: der milden Hypertonie mit nur geringem Risiko einerseits und der schweren bzw. resistenten Hypertonie andererseits. Die antihypertensive Therapie ist wohl die erfolgreichste präventive Behandlung in der Medizin überhaupt. Ein Problem ist jedoch, dass Menschen mit erhöhtem Blutdruck ohne großen Leidensdruck eine langfristige und regelmäßige Behandlung durchführen müssen, um viel später eventuell zu profitieren. Dieser Profit kann z. B. bei der milden Hypertonie in weiter Ferne liegen. Epidemiologisch liegt er jenseits der 10-Jahres-Grenze, und für den einzelnen Patienten kann er noch weiter in der Zukunft liegen. Die Datenlage dazu wird im Beitrag von van der Giet sehr differenziert dargestellt (S. 79).

Eine therapeutische Herausforderung ist die Behandlung der sogenannten resistenten Hypertonie. Zunächst eine diagnostische Herausforderung, die in der Identifizierung der Patienten mit wirklicher Therapieresistenz und dem Nachweis bzw. Ausschluss einer sekundären Hypertonieform besteht. Düsing stellt dazu einen klinisch relevanten Entscheidungsbaum vor (S. 87). Dann kann die optimale medikamentöse Therapie auch bei diesen Patienten den Blutdruck in den Zielbereich senken. Unser Arsenal an wirkungsvollen Antihypertensiva ist sehr breit – und ausreichend, um alle Patienten zu behandeln. Die renale Denervation scheint nach wie vor keine adäquate Alternative zur optimalen Pharmakotherapie zu sein und erst recht nicht zur Lösung des Problems beizutragen. Der Evidenzgrad ist nach wie vor sehr niedrig und die Methode zu Recht aus der breiten klinischen Anwendung verschwunden.

Auch Patienten mit resistenter Hypertonie haben in der Mehrzahl eine primäre Hypertonie. Zur Aufdeckung sekundärer Hypertonieformen ist es nicht zielführend, stets eine breite Palette von Screening-Untersuchungen anzufordern. Die sinnvolle Selektion potenziell betroffener Patienten, wie z. B. jener mit nachgewiesener resistenter Hypertonie, muss vorab erfolgen. Die häufigsten Formen der sekundären Hypertonie, die zielführende Diagnostik sowie deren Therapie werden von Vonend dargestellt (S. 92). Sehr hilfreich ist dabei der Entscheidungsbaum beim Nachweis und zur möglichen interventionellen Behandlung einer Nierenarterienstenose. Der Reflex „wo Stenose – da Dilatation“ sollte Vergangenheit sein, nur in sehr differenzierten Fällen sollte dilatiert werden.

Gestatten Sie mir zuletzt noch ein Statement zur primären Hypertonie und zur Blutdruckmessung – wenn diese Themen auch nicht Gegenstand dieses Dossiers sind.

Die primäre Hypertonie ist eine multifaktorielle und polygenetische Regulationsstörung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es bisher nicht gelungen ist ein „Hypertonie-Gen“ zu detektieren. Lebensstilfaktoren spielen die überragende Rolle bei der Manifestation der arteriellen Hypertonie, und Lebensstilmaßnahmen sind daher sehr wirkungsvoll bei der nichtmedikamentösen Behandlung des erhöhten Blutdrucks, z. B. bei milder Hypertonie, bevor eine Medikation eingeführt wird.

Basis jeder Diagnostik bei arterieller Hypertonie ist die optimale Blutdruckmessung unter Berücksichtigung der enormen Blutdruckvariabilität. Die verschiedenen Messverfahren (Praxismessung, Selbstmessung, ambulante Langzeitmessung und nichtinvasive Bestimmung des aortalen Blutdrucks) ergänzen sich in sinnvoller Weise und haben jeweils Vor- und Nachteile. Die Verfahren sind nicht nur Grundlage für die Diagnose oder zum Ausschluss einer manifesten Hypertonie, sondern können bereits Aufschlüsse geben über Ursachen und Formen der Hypertonie (u. a. Praxishypertonie, maskierte Hypertonie, juvenile systolische Hypertonie oder ISH im Alter). Die verschiedenen Formen müssen bei einer Therapieentscheidung berücksichtigt werden und sind ebenso wichtig wie die Differenzierung zwischen primärer und sekundärer Hypertonie.

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Prof. Dr. med. Martin Middeke