PiD - Psychotherapie im Dialog 2020; 21(01): 98-99
DOI: 10.1055/a-0968-2353
Interview

„Ich würde es nicht noch einmal machen!“

Interview mit Hans-Eberhard Rückert, einem ehemaligen Notfallseelsorger

Hans-Eberhard, in welchem Zeitraum warst Du notfallseelsorgerisch im aktiven Einsatz?

Ich habe 1990 mit der Tätigkeit zusätzlich zu einer Pfarrstelle begonnen und bin im Jahr 2000 ausgeschieden – also insgesamt 10 Jahre Notfallseelsorge.

Wie wurdest du auf diese neue Tätigkeit vorbereitet?

Ich habe diverse Fortbildungen absolviert, z. B. beim späteren landeskirchlichen Beauftragten für Notfallseelsorge in Bayern, beim Leiter des Kriseninterventionsdienstes München sowie beim Beauftragten der bayrischen Diözesen für Notfallseelsorge.

Worin bestand die Aufgabe eines Notfallseelsorgers?

Zunächst einmal ist da das Überbringen von Todesnachrichten zusammen mit der Polizei. Dann die Betreuung von Angehörigen bei Verkehrsunfällen oder Leichenfunden sowie nach erfolgloser Reanimation und bei plötzlichem Kindstod. Bei größeren Schadenslagen mit Verletzten und Toten gehörte zu meinen Aufgaben die Betreuung vor Ort, bei Suiziden im Gleisbereich die Betreuung der Lokführer und bei Suiziden generell die Betreuung der Angehörigen. Auch half ich den Einsatzkräften zur Aufarbeitung des Erlebten und leistete Hintergrunddienst bei außerhäuslichen Einsätzen (Unfälle, Brände, Suizide und –versuche, Massenanfall von Verletzten oder Toten, beim Auffinden von Wasser- oder Brandleichen).

Das klingt nach einem äußerst belastenden Tätigkeitsprofil – Welche Erfahrungen, die du in diesen Jahren gesammelt hast, haben sich am meisten eingebrannt?

Am schlechtesten loszubekommen waren die vielen Bilder von Toten bei Unfällen und Bränden, überhaupt die Bilder von Leichenfunden.

Gab es Szenarien, die dich an deine Grenzen gebracht haben?

Die Betreuung von Angehörigen nach dem ICE-Unglück bei Eschede ging mir sehr nahe, da ich drei der Verstorbenen persönlich kannte. Was mir auch kaum aus dem Kopf geht, ist die Situation bei plötzlichem Kindstod – auch in der Konfrontation mit eigenen Kindern.

Auf welche Erlebnisse blickst du zufrieden zurück?

Auf jeden Fall auf die erlebte Kameradschaft und die hohe Akzeptanz bei Feuerwehr und Rettungsdienst.

Wie war denn die Zusammenarbeit mit den Rettungsdiensten?

Die war sehr gut. Dabei half mir, dass ich selbst aktiver Feuerwehrmann in einer Freiwilligen Feuerwehr und auch Sanitätshelfer war. Ich kannte das Geschehen und die Gefahren an den Einsatzstellen und wusste um die Hierarchie vor Ort – nämlich um die Rolle des Einsatzleiters.

Wie war die Unterstützung von KollegInnen und Vorgesetzten im kirchlichen Bereich?

Leider muss ich sagen, dass ich bei den PfarrerInnen anfangs kaum Unterstützung hatte. Wenn ich zu einem Einsatz gerufen wurde, brauchte ich in der Gemeinde eine Vertretung. Da meldete sich meist nur der Anrufbeantworter. Mit Handys wurde die Erreichbarkeit zwar etwas besser, die Bereitschaft, mich zu unterstützen war deswegen aber nicht ausgeprägter. Vorgesetzte wurden nicht müde, verbale Unterstützung zu formulieren – de facto fühlte ich mich ziemlich allein gelassen. So musste ich z. B. meine Supervision anfangs selbst bezahlen. Insgesamt war ich durch die zwei halben Stellen – Gemeindepfarramt und Beauftragter für Notfallseelsorge – sicherlich überlastet.

Welche Hilfestellungen zur Bewältigung des Erlebten wurde dir angeboten?

Supervision – diese aber erst nach längerem Kampf, auch wegen der Kostenübernahme.

Wie bist du mit deinen eigenen Gefühlen wie Ohnmacht, Hilflosigkeit, Wut oder Entsetzen umgegangen?

Diesbezüglich war die Supervision enorm wichtig – es half aber auch, mit KollegInnen und FreundInnen zu sprechen.

Was hat sich durch deine Tätigkeit in der Notfallseelsorge mit all diesen Belastungen in deinem Leben verändert?

Ich habe ein schweres Burnout in Folge auch der permanenten Rufbereitschaft entwickelt. Dann wurde meine Ehe geschieden, eindeutig auch eine Folge der Belastungen. Außerdem entwickelte ich eine posttraumatische Belastungsstörung und ging deswegen vorzeitig in den Ruhestand. Also: Krankheit, Scheidung und Frühpensionierung.

Würdest du heute eine solche Tätigkeit noch einmal machen und unter welchen Umständen?

Damals hatte mich die neue Aufgabe sehr gereizt, die es in der Form für PfarrerInnen vorher nicht gegeben hatte. In dieser Pioniersituation habe ich mich sehr stark engagiert. Aber mit meinem heutigen Wissen und den Erfahrungen würde ich eine solche Tätigkeit nicht mehr übernehmen.

Wir danken dir sehr für das Gespräch.

Die Fragen stellte Dr. Michael Broda.



Publication History

Article published online:
17 March 2020

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