Fortschr Neurol Psychiatr 2020; 88(01): 10-11
DOI: 10.1055/a-0971-6100
Editorial

Der DGPPN Kongress 2019 demonstriert die Zukunftsaufgabe der Psychiatrieforschung

„Der Spirit der DGPPN war in diesen Tagen deutlich zu spüren. Wir haben uns alle schon für nächstes Jahr verabredet, wenn der DGPPN Kongress vom 27. bis 30. November 2019 wieder nach Berlin lädt und wir die Psychiatrieforschung und personenzentrierte Psychiatrie und Psychotherapie auf der Agenda haben. Wichtige Themen für ein wichtiges Fach“, so das Fazit von DGPPN-Präsident Professor Arno Deister nach dem Kongress 2018.

Nun lud die DGPPN wie gewohnt auch dieses Jahr wieder zum europaweit größten Fachkongress der psychischen Gesundheit nach Berlin. Das Motto „Innovative Forschung für eine personenzentrierte Psychiatrie - Psychiatrieforschung von morgen“ hätte aktueller nicht sein können. Denn mit diesem Thema steht eine der zentralen Zukunftsaufgaben für unsere Gesellschaft im Zentrum, die auch das Fach Psychiatrie und Psychotherapie entscheidend beschäftigen wird. So regte der DGPPN Kongress 2019 abermals zu einer wissenschaftlichen Standortbestimmung an: Wo ist das Fach Psychiatrie und Psychotherapie zu verorten? Wo liegen in der Versorgung Potenziale und Ressourcen, wo die Grenzen? Welche konkreten Verbesserungen sind in naher Zukunft durch die Forschung zu erwarten? Wissenschaft und Forschung haben durch enorme Fortschritte neue Perspektiven in der Diagnostik und Behandlung psychischer Krankheiten entwickeln lassen, die es nun in die klinische Praxis umzusetzen gilt. Bei ökonomisch begrenzten Ressourcen erfordert der gestiegene Versorgungsbedarf im ambulanten und stationären Sektor neue innovative Konzepte, denn nur so kann die Qualität der Versorgung auch in Zukunft gesichert werden.

Das umfangreiche wissenschaftlich hochkarätige Programm spiegelte auch dieses Jahr die enorme Bandbreite des Fachgebiets wider und beschäftigte sich mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen von Themen mit biologischen, psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Inhalten und praxisnahen Erkenntnissen für die Prävention, Diagnostik und Therapie. Renommierte Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft setzten sich intensiv mit diesen komplexen Themen auseinandersetzen und beleuchteten sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Eines der fraglos zahlreichen Highlights war die besondere Veranstaltung mit Prof. Luc Ciompi: Der 90-jährige Autor berichtete über das Psychoseverständnis, das sich ihm in seiner lebenslangen persönlichen, wissenschaftlichen und psychosentherapeutischen Auseinandersetzung mit dem Rätsel der Schizophrenie ergeben hatte. Der Andrang zu seinem Vortrag war mit über 400 Zuschauern enorm und sorgte im wahrsten Sinne des Wortes für einen wegen Überfüllung geschlossen Hörsaal.

Insgesamt waren ca. 9.000 Wissenschaftler, Ärzte und Therapeuten aus 50 Ländern zu einem gemeinsamen Austausch zusammengekommen, ein besonderer Fokus lag dabei auf dem interdisziplinären und praxisorientierten Wissenstransfer. Diesbezügliche Schwerpunkte waren u. a. langfristig angelegte Therapiestudien zur besseren Evaluation des langfristigen Patientennutzens, die Stärkung des Clinician Scientists oder auch die Betroffenengeleitete Forschung, das sog. User-led research. Bedeutsam waren zudem auch die Stigmaforschung, rechtlich-ethische Implikationen neuer Forschungsmöglichkeiten sowie die Forschungsförderung generell. Außerdem stand die Implementierung eines Deutschen Zentrums für psychische Erkrankungen, die Psychotherapieforschung sowie die Versorgungsforschung im Fokus. Die Intensivierung der translationalen Forschung in Kooperation zwischen Industrie und Akademie sowie neue innovative Studiendesigns mit neuen Endpunkten waren ebenfalls Thema.

Traditionell ist der DGPPN als medizinischer Fachgesellschaft der aktive Austausch zwischen den Fachexperten und Betroffenen und Angehörigen sehr wichtig. Neben zahlreichen interaktiven Diskussionsforen ist deshalb auch das Trialog-Forum fester Bestandteil des Programms: In trialogischen Veranstaltungen kommen Experten, Betroffene und Angehörige zu Wort und geben wertvolle Einblicke in ihre Erfahrungen. Gleichzeitig werden auch gesundheitspolitische, gesellschaftliche und kulturelle Themen aufgegriffen, wie zum Beispiel Psyche und Kunst. Schon immer bot die wechselwirksame Auseinandersetzung mit Kunst und psychischen Erkrankungen viel Spielraum für Schaffenskraft: mit Ausstellungen, Filmvorführungen und Lesungen war Kunst und Psyche auch dieses Jahr wieder fester Bestandteil des vielfältigen Programms.

Der DGPPN Kongress bot wie immer hervorragende Voraussetzungen zur Fort- und Weiterbildung: Das Workshop-Programm bestand aus insgesamt 80 CME-zertifizierten Workshops und 40 State-of-the-Art-Symposien. Aber auch für die allgemeine Öffentlichkeit war der Kongress von Interesse, denn fester Bestandteil war wieder der Lehrer-Infotag, der über Möglichkeiten der Prävention psychischer Erkrankungen im Schulalltag aufklärte. Bleibt als Fazit des diesjährigen DGPPN Kongresses nur zu sagen: Ein äußerst vielseitiger und ausgesprochen gelungener Kongress.

Mit herzlichen kollegialen Grüßen, Ihr

Peter Falkai



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
27. Januar 2020

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