Pneumologie 2019; 73(10): 623-624
DOI: 10.1055/a-0976-1215
Leserbrief
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Reiner Hanewinkel
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Publication Date:
17 October 2019 (online)

Es ist unstrittig, dass das Aerosol von E-Zigaretten toxische, gesundheitsschädliche Chemikalien enthält. Da drei Viertel aller E-Zigaretten-Nutzer gleichzeitig auch konventionelle Zigaretten rauchen, werden die Gesundheitsrisiken beider Produkte kombiniert. Aus diesem Grund kann die Nutzung vor E-Zigaretten als Rauchstopphilfe derzeit nicht auf Bevölkerungsebene empfohlen werden [1].

Die Ergebnisse der gut gemachten Studie von Hajek u. Mitarb. ändern diese Bewertung nicht. Das New England Journal of Medicine hat kürzlich eine Reihe von Kommentaren zu dieser Studie veröffentlicht, die die Studienergebnisse kritisch bewerten [2]. Herausgestellt wird zum einen, dass die Ergebnisse insofern nicht verwundern, als dass 75 % der Probanden der Nikotinersatz-Gruppe schon vor dem Trial vergeblich versucht hatte, sich mithilfe von Nikotinersatzprodukten das Rauchen abzugewöhnen. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass sich die Nikotinabhängigkeit der Nutzer durch den Einsatz der E-Zigaretten deutlich verlängert.

Dr. Pommer diskutiert in seinem Leserbrief die zuerst vom Medizinnobelpreisträger Eric Kandel formulierte Hypothese, E-Zigaretten könnten eine „Einstiegsdroge“ in den Konsum konventioneller Zigaretten sein [3]. Diese Hypothese wurde inzwischen mit mehr als zwei Dutzend longitudinalen Beobachtungsstudien mit Kohorten aus den USA, Kanada, Mexiko, Taiwan, Großbritannien, den Niederlanden, Finnland, Rumänien sowie Deutschland geprüft. Die Ergebnisse dieser Studien weisen übereinstimmend darauf hin, dass das Probieren von E-Zigaretten im Jugendalter ein bedeutsamer Risikofaktor für das spätere Experimentieren mit klassischen Zigaretten sein kann. Die neueste Metaanalyse [4] quantifiziert den Zusammenhang der Initiierung des Rauchens klassischer Zigaretten bei vorherigem E-Zigaretten-Konsum mit einem Odds Ratio von 3,62 (95 %-Konfidenzintervall: 2,42 – 5,41).

Eine groß angelegte epidemiologische Untersuchung riskanter Verhaltensweisen Jugendlicher in 195 Staaten über den Zeitraum von 1990 – 2016 verdeutlicht einen sehr erfreulichen Trend zum Nie-Rauchen im Jugendalter, der auch in Deutschland zu beobachten ist [5]. Sollte sich dieser Trend auf der Bevölkerungsebene verlangsamen oder gar umkehren, wäre dies ein Indiz dafür, dass die zunehmende Popularität von E-Zigaretten im Jugendalter tatsächlich das Rauchen klassischer Zigaretten wieder salonfähig machen würde.

Dr. Pommer führt mehrere, vorwiegend ältere Untersuchungen an, nach denen keine derartige Entwicklung absehbar sei. Neuere Daten stimmen leider nicht so optimistisch. Schon ein genauer Blick in die erste Originalarbeit, die Dr. Pommer zitiert, ist lohnend. Hallingberg et al. fanden nämlich in ihrer Untersuchung eine signifikante (p = 0,028) Verlangsamung des Rückgangs regelmäßigen Rauchens britischer Jugendlicher, nach einem rapiden Anstieg des Konsums von E-Zigaretten von 2010 – 2015 [6].

Die Evidenz aus Kanada spricht ebenfalls für die „Gateway“-Hypothese. Hier zitiert Dr. Pommer eine veraltete Untersuchung, die lediglich Untersuchungen, die bis zum Jahr 2016 publiziert worden waren und deren Datenerhebungen noch vor diesem Zeitraum lagen. Nach einer 2019 im British Medical Journal publizierten Arbeit ist in Kanada nicht nur die Zahl vom E-Zigaretten-Konsumenten im Alter von 16 – 19 Jahren zwischen 2017 und 2018 deutlich gestiegen, sondern im selben Zeitraum auch signifikant und klinisch bedeutsam die Zahl jugendlicher Zigarettenraucher. So stieg die Zahl kanadischer Jugendlicher, die in den letzten 30 Tagen Zigaretten geraucht hatten, von 10,7 % in 2017 auf 15,5 % in 2018 [7].

Eine gerade in dieser Zeitschrift publizierte Arbeit vergleicht die Entwicklung des jugendlichen Rauchverhaltens in England mit der Entwicklung in Deutschland zwischen 2001 und 2016 [8]. Es zeigte sich im Beobachtungszeitraum eine signifikant stärkere Reduktion des Anteils Jugendlicher mit Raucherfahrung in Deutschland (von 52 % auf 10 %) im Vergleich zu England (von 44 % auf 19 %). Dieses Untersuchungsergebnis ist insofern überraschend, als dass Großbritannien im Vergleich zu Deutschland seit vielen Jahren wesentlich stringentere Tabakkontrollmaßnahmen implementiert hat. In England wird im Rahmen einer bevölkerungsweiten Strategie zur Schadensminimierung des Rauchens auch vom Gesundheitssektor intensiv für die Nutzung der E-Zigarette geworben. Mit dieser Strategie ist England international gesehen weitgehend isoliert [9]. Ob diese Maßnahme den erhofften gesundheitlichen Effekt hat, kann derzeit nicht seriös beantwortet werden, allerdings kann schon heute festgestellt werden, dass wesentlich mehr Raucher in England im Vergleich zu Deutschland E-Zigaretten konsumieren, aber der weitaus größte Teil dieser Gruppe gleichzeitig weiterhin konventionelle Zigaretten raucht.

Was das Probierverhalten im Jugendalter anbelangt, haben E-Zigaretten in Deutschland mittlerweile den klassischen Zigaretten den Rang abgelaufen. Nach einer Untersuchung mit mehr als 6000 Schülern der Klassenstufen 9 – 12 hatten 2017 bereits 42,3 % der im Durchschnitt 15 Jahre alten Jugendlichen schon einmal E-Zigaretten, aber „lediglich“ 35,4 % klassische Zigaretten geraucht [10]. Auch aus diesem Grund ist ein engmaschiges Monitoring des Rauchverhaltens Jugendlicher unabdingbar.

 
  • Literatur

  • 1 Ghebreyesus TA. Progress in beating the tobacco epidemic. Lancet 2019; 394: 548-549
  • 2 Zhang Y, Upson D, Stein JH. et al. E-Cigarettes versus Nicotine-Replacement Therapy for Smoking Cessation. N Engl J Med 2019; 380: 1973-1975
  • 3 Kandel ER, Kandel DB. Shattuck Lecture. A molecular basis for nicotine as a gateway drug. N Engl J Med 2014; 371: 932-943
  • 4 Glantz SA, Bareham DW. E-Cigarettes: Use, Effects on Smoking, Risks, and Policy Implications. Annu Rev Public Health 2018; 39: 215-235
  • 5 Azzopardi PS, Hearps SJC, Francis KL. et al. Progress in adolescent health and wellbeing: tracking 12 headline indicators for 195 countries and territories, 1990 – 2016. Lancet 2019; 393: 1101-1118
  • 6 Hallingberg B, Maynard OM, Bauld L. et al. Have e-cigarettes renormalised or displaced youth smoking? Results of a segmented regression analysis of repeated cross sectional survey data in England, Scotland and Wales. Tob Control 2019; DOI: 10.1136/tobaccocontrol-2018-054584. Epub ahead of print
  • 7 Hammond D, Reid JL, Rynard VL. et al. Prevalence of vaping and smoking among adolescents in Canada, England, and the United States: repeat national cross sectional surveys. BMJ 2019; 365: l2219
  • 8 Hanewinkel R, Isensee B, Goecke M. et al. Rauchen im Jugendalter in England und Deutschland, 2001 – 2016. Pneumologie 2019; 73: 586-590 doi:10.1055/a-0984-7447
  • 9 McKee M. Evidence and E-Cigarettes: Explaining English Exceptionalism. Am J Public Health 2019; 109: 965-966
  • 10 Isensee B, Goecke M, Hanewinkel R. Zigarette, Shisha, E-Zigarette und Tabakerhitzer: Häufigkeit und Muster des Konsums unterschiedlicher Nikotinprodukte im Jugendalter. Suchtmed 2018; 20: 306-314