Z Sex Forsch 2019; 32(04): 241-242
DOI: 10.1055/a-1028-2791
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Fenster zum Klo. Hommage an den Klappensex

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In Deutschland heißen sie Klappe, in Österreich Loge und in Großbritannien Cottage. In Frankreich spricht man von der Tasse, in Amerika vom Tearoom und in Australien vom Beat. Gemeint sind in allen Fällen öffentliche Toilettenanlagen, in denen Männer nach schnellem und unverbindlichem Sex mit anderen Männern suchen. Sie tun das, seit es öffentliche Toiletten in unseren Städten gibt. Sie tun es trotz aller gesetzlichen Verbote und gesundheitlichen Gefahren. Und sie werden es wahrscheinlich tun, solange es solche Anlagen in unseren Städten gibt. Womit es jedoch schon bald vorbei sein könnte! Denn die öffentliche Bedürfnisanstalt, wie sie seit dem 19. Jahrhundert zum festen Interieur der modernen, westlichen Großstadt gehört, ist ein Auslaufmodell, seit die Kommunen deren Bau und Unterhalt immer häufiger privaten Betreibern überlassen. Die verwandeln die schummrigen, urbanen Nasszellen von einst nicht nur in sterile Neonlichthöllen, sondern haben aus der ehemals kostenlosen Dienstleistung längst einen lukrativen Ertragsbringer gemacht.

Die Existenz von Klappen, Logen, Cottages, Tassen, Tearooms oder Beats ist allerdings nicht nur durch die Geschäftsinteressen privater Betreiber gefährdet, sondern vor allem auch durch die rigorosen Hygienevorstellungen heutiger, kapitalgetriebener Stadtplanung, die jede subversive oder triebhafte Aneignung städtischer Räume von vornherein zu verhindern sucht. Nicht zuletzt sind es aber auch Dating-Apps wie Grindr oder Hornet, die die Funktion der klassischen Klappe teilweise oder ganz übernommen haben. Das Internet hat den öffentlichen Raum als Kontaktzone von Männern, die nach Sex mit anderen Männern suchen, fast vollständig abgelöst. Der öffentliche Abort als Bühne und Schauplatz für den anonymen mann-männlichen Geschlechtsakt droht damit zu verschwinden. Es ist also vielleicht höchste Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen.

Wohlgemerkt, nicht jede öffentliche Bedürfnisanstalt dient der Anbahnung und dem Vollzug gleichgeschlechtlicher sexueller Kontakte zwischen Männern. Es sind sogar die wenigsten! Die meisten öffentlichen Toilettenanlagen in unseren Städten dienen tatsächlich einfach nur dazu, uns bei einem dringenden menschlichen Bedürfnis schnell und unkompliziert Erleichterung zu verschaffen. In manchen fristen auch nur ein paar Obdachlose ihr trauriges Dasein. Die anderen, die, die hauptsächlich von Männern auf der Suche nach schnellem, anonymem Sex mit anderen Männern frequentiert werden, sind hingegen das Thema von Marc Martin. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der in Paris und Berlin lebende, französische Fotograf mit der Geschichte des Klappensex’. Er besucht seine Schauplätze, spricht mit seinen Nutzern und recherchiert in Archiven nach seinen Spuren in der Vergangenheit.

Tausende Artefakte hat Marc Martin dabei schon zusammengetragen: vor allem Fotografien und Baupläne städtischer Toilettenanlagen, aber auch Illustrationen und Karikaturen aus Zeitungen und Magazinen, die die homoerotische Strahlkraft der öffentlichen Bedürfnisanstalt mal mehr, mal weniger augenzwinkernd thematisieren. Dazu kommen Textquellen aus der Literatur, aus dem Boulevard, aus Polizeimeldungen und Gerichtsakten. Nicht zuletzt verfolgt Marc Martin, welchen Niederschlag der Klappensex in der Kunst des 20. Jahrhunderts – etwa im Werk einzelner Künstler, aber auch in Kino- und Fernsehfilmen – gefunden hat. Noch unmittelbarer allerdings nähert sich Marc Martin dem Thema in seinen Interviews. In ihnen wird die ganze Komplexität des Begehrens verhandelt, das sich mit den anonymen Begegnungen in den öffentlichen Toilettenanlagen unserer Städte verbindet. Dafür hat Marc Martin mit vielen bekennenden Klappengängern gesprochen, mit alten und jungen, mit bekannten und unbekannten. Sie erzählen ihm von ihren Erfahrungen, ihrer Lust und dem besonderen Reiz, den das „Auf-die-Klappe-Gehen“ für sie hat. Sie reden aber auch von der damit verbundenen Scham und von ihren Ängsten etwa vor homophoben Attacken oder polizeilichen Maßnahmen.

Die gab es lange Zeit auch in Deutschland. Daran erinnert etwa ein Interview von Marc Martin mit dem Hamburger Theatermacher und Schauspieler Corny Littmann. In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1980 zerschlug Littmann mit einem Hammer sämtliche Spiegel in der als Klappe bekannten, unterirdischen Toilettenanlage am Spielbudenplatz im Hamburger Stadtviertel St. Pauli – darunter auch einen zwei Zentimeter dicken, sogenannten Spion-Spiegel, hinter dem eine kleine Kabine zum Vorschein kam, aus der heraus die Hamburger Polizei über Jahre hinweg die Toilettenbenutzer observiert hatte. Die Aufdeckung dieser Praxis durch Littmann sorgte für einen handfesten Skandal und führte rasch zum Ende dieser sowie vergleichbarer Polizeiaktionen. Auch wenn die Anklagen zumeist nur auf Erregung öffentlichen Ärgernisses lauteten, so brachten die Verfahren und die damit verbundenen Bloßstellungen doch oft erhebliche Einschnitte in die Lebens- und Berufsbiografien der Betroffenen mit sich.

Das heimliche, leicht konspirative Zusammenkommen von Männern und ihr stilles, einvernehmliches Zusammenspiel, wie wir es in den Klappen beobachten können, scheinen im spezifisch österreichischen Begriff der Loge mit all seinen Konnotationen besonders treffend beschrieben. So verweist das Wort Loge eben nicht nur auf die Welt des Theaters, sondern weckt auch Assoziationen an Geheimbünde wie Freimaurer- und Steinmetzlogen – mithin an obskure Treffen in dunklen Gemäuern, in denen geheime Zeichen und Rituale das Geschehen bestimmen. Als Fotografen hat es Marc Martin nicht zuletzt gereizt, seine eigenen Vorstellungen dieser erotischen Choreografien in Bilder zu übersetzen. In Berlin und Paris spürte er alte, nicht mehr benutzte und mitunter seit Jahrzehnten verschlossene Toilettenanlagen auf, besorgte sich Schlüssel und Genehmigungen und begann, in ihnen zu fotografieren. Gemeinsam mit seinen Modellen inszenierte er hier kleine Geschichten – mal von geglückten, manchmal aber auch von glücklosen Anbahnungsversuchen. Die dabei entstandenen Fotostrecken erzählen von zeigefreudigen Bauarbeitern und schüchternen Studenten, von devoten, älteren Herren und dominanten Lederburschen, von Herren im Anzug, im Blaumann und im Matrosenkostüm. Damit wird Marc Martin einerseits der sozialen Durchmischung gerecht, die das Treiben in den Klappen seit jeher kennzeichnet. Andererseits gelingt es den Bildern nicht, die authentische Atmosphäre dieser Orte einzufangen und dem Betrachter zu vermitteln. Es sind Hochglanzbilder, die sich auf dem schmalen Grat zwischen hipper Modefotografie und schwüler Softpornografie bewegen. Alles allzu Anstößige und Zwielichtige ist aus den Bildern getilgt. Kein Detail evoziert noch jenen speziellen Geruch – eine beißende Mischung aus Urin, Kot, Sperma, Schweiß und Industriereiniger –, der jede echte Klappe umweht

Der Fotograf selbst weiß das. Er kann und will auch kein Dokumentarist sein. Er weiß, die Kultur des „Auf-die-Klappe-Gehens“ ist tot und ihre Zeit unwiederbringlich vorbei! Wenn er handelt, dann aus der Perspektive des Zuspätgeborenen. Marc Martin ist ein eifersüchtiger Bewunderer. Mit seinen Bildern will er dem Klappensex eine Art Denkmal setzen. Sie sind eine Hommage und in diesem Sinne vielleicht auch nur um den Preis der Verklärung zu haben. Ihrem Erfolg beim Publikum tut das keinen Abbruch. Die Ausstellung seiner Bilder im Schwulen Museum in Berlin unter dem Titel „Fenster zum Klo“ von November 2017 bis Februar 2018 fand großen Beifall. Und auch der gleichnamige Ausstellungskatalog darf als seltener Glücksfall gelten. Für die 300 Seiten starke, großformatige und wunderbar leichtfüßig gelayoutete Publikation hat Marc Martin sein umfangreiches Archiv geöffnet und seine Interviews sowie seine eigenen Fotoarbeiten in einen fulminanten Bild- und Textrahmen gegossen. Was den Bildern des Fotografen dabei vielleicht an Authentizität fehlt, ersetzen die Interviews, Texte und historischen Dokumente. Mit „Fenster zum Klo“ gelingt es Marc Martin, die Geschichte, die Sensation, aber auch die Tragik des Klappensex’ anschaulich zu machen. Sein Buch ist ein bezaubernder Führer zu den erogenen Zonen unserer Städte, der das Begehren ihrer Benutzer ernst nimmt und die räumlichen Logiken und Choreografien ihrer Erotik mit Witz und Charme nachzeichnet.

Uwe Bresan (Stuttgart)



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
13. Dezember 2019

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