Diabetes aktuell 2020; 18(02): 56
DOI: 10.1055/a-1103-5610
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetes geschlechtersensibel betrachtet

Ute Seeland
1   Berlin
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Publication Date:
09 April 2020 (online)

An die Geschlechterunterschiede zu denken, ist noch nicht in der Praxis angekommen. Dies zu ändern hatte sich auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) auf dem letztjährigen Diabetes Kongresses auf die Fahnen geschrieben und unter anderem auch einen Themenschwerpunkt in das Kongressprogramm eingebunden, der gendermedizinischem Wissen gewidmet war. Denn der Blick auf die Unterschiede von Frauen und Männer mit Diabetes wäre durchaus sinnvoll: „In allen Altersgruppen haben Frauen eine höhere Sterblichkeitsrate durch Diabetes als Männer“, konstatierte PD Julia Szendrödi, Düsseldorf, in Berlin. Am größten sei dieser Unterschied in der Altergruppe der 65- bis 69-Jährigen. Und: Untersuchungen zufolge ist die Übersterblichkeit von Frauen mit Diabetes in Deutschland – trotz einer vergleichbaren Gesundheitsversorgung– höher als in Schweden, Großbritaninien oder Kanada. In Deutschland ist das Sterblichkeitsrisiko bei Männern mit Typ-2-Diabetes um das 2,8-Fache und bei Frauen um das 4,2-Fache erhöht im Vergleich zu stoffwechselgesunden Menschen beider Geschlechter, wie Tönnies et al. 2018 publizierten. Hierbei sind biologische und soziokulturelle Faktoren von Bedeutung.

All dies macht deutlich, warum es an der Zeit ist, Frauen und Männer mit Diabetes „nicht über einen Kamm zu scheren“. Studien, die verheirateten Männern eine vergleichsweise hohe Lebenserwartung bescheinigen, und dieses Ergebnis mit der Fürsorge der Ehefrau oder Partnerin begründen, weisen auf den positiven Einfluss sozialer Einbindung und die gesündere Lebensweise von Frauen hin. Leidet unter der Fürsorgepflicht der Frauen die eigene Gesundheit? Daten aus der Deutschen Diabetes-Studie, die 2016 publiziert wurden, zeigten bereits: Frauen erreichen die notwendigen Zielwerte für den Blutzucker, den Blutdruck und die Blutfette in vielen Fällen nicht. Und obwohl Frauen ein besseres Risikoprofil haben, scheinen sich der Prädiabetes als auch der manifeste Diabetes mellitus Typ 2 schlechter auf die Gefäßfunktion auszuwirken im Vergleich zu Männern. Überproportional begünstigt wird das Auftreten eines Typ-2-Diabetes bei Frauen – im Vergleich zu Männern – durch Übergewicht und Adipositas, wie es im letzten Jahr in Circulation zu lesen war. Disease-Management-Programme tragen zwar ein wenig zur Besserung der Versorgung der Frauen bei, sind aber längst zu einer Routine bei den Mediziner/-innen geworden, so dass hier wieder neue Impulse geschaffen werden sollten basierend auf den Kenntnissen zu den Geschlechterunterschieden. Die Anzahl der Menschen, die eine Diabeteserkrankung entwickeln, steigt weiter an und die Morbidität und die Mortalität durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegt bei Frauen mit Diabetes weiterhin über der von Männern.

In dieser Ausgabe liegt ein Schwerpunktbeitrag auf dem Zusammenhang zwischen biologischem Geschlecht, dem Sexualhormonspiegel und der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung. Ein anderer Schwerpunktbeitrag gibt einen umfassenden Überblick über die Bedeutung des geschlechtersensiblen Denkens – insbesondere in der Diabetologie.

Diese Ausgabe der Diabetes aktuell soll dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die geschlechtersensible Betrachtung des Diabetes mellitus zu schaffen, dazu anregen, neue Ergebnisse zu gewinnen und die Umsetzung der Erkenntnisse aus der Geschlechterforschung fördern.