Sportphysio 2020; 08(02): 89-92
DOI: 10.1055/a-1130-9596
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„Der Knotenpunkt, bei dem alles zusammenläuft“ – Interview mit Athletiktrainer Dennis Wellm

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Einer der Leistungsträger der Fraport Skyliners Frankfurt ist Leon Kratzer. (Quelle: Skyliners GmbH)

Matthias Keller: Was ist deine Hauptaufgabe als Athletiktrainer?

Dennis Wellm: Ich bin verantwortlich für das Kraft-, Ausdauer- und Aufbautraining, arbeite aber im Prinzip ganzheitlich. Dazu gehört auch Aufklärungsarbeit hinsichtlich Ernährung, Schlaf, Mindset, was ich, sagen wir, etwas mehr als oberflächlich betreibe. In jedem dieser Fächer haben wir aber auch Spezialisten.

MK: Du bist also – neben dem Job als Athletiktrainer – auch so etwas wie der Knotenpunkt, bei dem alles zusammenläuft, und kümmerst dich organisatorisch um die Schnittstellen – richtig?

WD: Genau. Zu Beginn der Saison mache ich mit den Jungs ein Screening, etwa den Functional Movement Screen, Performance- und Krafttests. Seit zwei Jahren haben wir außerdem eine Kooperation mit der Uni, für die ich sehr dankbar bin. Sie unterstützt mich bei der Durchführung verschiedener Tests, für die mehr Personal und Equipment erforderlich sind. Da kommt dann Karen Zentgraf (Professorin am Institut für Sportwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt; die Red.) mit ihrem Team vier Mal im Jahr zu uns in die Halle und helfen mir beispielsweise bei der Durchführung der Counter Movement Jumps, Sprints über 15 und 20 m usw.

MK: Klar ist also, es geht um die Basics. Aber bei aller Notwendigkeit für Kraft- und Performancetraining muss das Training auch einem sportartspezifischen Athletenprofil angepasst werden.

DW: Ja. Willst du im Basketball sportartspezifisch trainieren, musst du Basketball spielen. Auf dem Feld, fünf gegen fünf mit Schiedsrichter. Nicht „Hüfte drehen“, nicht in den Kraftraum gehen und mit der Hantel über dem Kopf mit dem Blick zur Seite einen Ausfallschritt machen.

MK: Gibt es also gewisse Regeln, die deine Arbeit bestimmen?

DW: Ich versuche immer, mich mit allem so einfach wie möglich zu halten. Natürlich gibt es den Fachjargon, aber wenn ich mit dem Spieler rede, muss dieser mich verstehen.

MK: Was ist denn deiner Meinung nach das Spezielle im Basketball im Vergleich zu Fußball, Handball etc. – vor allem hinsichtlich deiner Arbeit?

DW: Ein Basketballer ist meiner Meinung nach so etwas wie ein „Hybrid-Athlet“, der alles haben muss: Kraft, Schnelligkeit, Sprungkraft ([ Abb. 1 ]). Er muss beweglich und reaktionsstark sein, eine gute Wahrnehmung und ein gutes Sichtfeld haben, um diesen kleinen „Würfel“ zu überblicken, in dem sich alles abspielt, in dem alle Hände oben sind und in dem viel geredet wird, viel bewegt werden muss. Es ist eine Herausforderung, all diese Dinge zusammenzubringen und den Anforderungen gerecht zu werden.

MK: Ich habe gesehen, dass du mit den Athleten sehr viel hinsichtlich Agilität arbeitest. Vor allem den Ansatz, Agilität im oberen Quadranten bzw. in der Kombination von oberem und unterem Quadranten zu trainieren, fand ich sehr spannend.

DW: Ja, das nimmt bei uns viel Platz ein. Vor allem geht es auch um die Auge-Hand-Koordination. Man sieht vor allem bei jüngeren Spielern häufig, dass die noch nicht optimal ist, der Spieler ab und an den Ball nicht fängt oder danebengreift. Am Ende muss aber auch die Beinarbeit passen, weil beides in die gleiche Richtung möchte – oder auch mal nicht in die gleiche Richtung.

MK: Ich denke, dass auch in den reaktiven Übungen, mit denen ihr trainiert, sehr viel Potenzial steckt. Dieser Bereich steckt aktuell eher noch in den Kinderschuhen. Wie kommst du auf solche Übungen und die dazu passenden Tests? Habt ihr da ein Netzwerk, in dem ihr euch austauscht?

DW: Klar bin ich mit einigen Kollegen in Kontakt. Dennoch steckt dieses ganze Thema noch in den Kinderschuhen. Wie du sagst: Es gibt nicht viele Tests, und die, über die man liest, sind noch nicht in einem Maße untersucht, dass man verlässliche Werte hätte. Aktuell sind es eher noch Erfahrungswerte.

MK: Stimmt mein Eindruck, dass man im Basketball, verglichen mit manchen anderen Sportarten, noch in relativ „hohem“ Alter ein top Niveau halten kann? Dirk Nowitzki war ja am Ende seiner Karriere über 40 …

DW: Ich denke eher, dass dies Ausnahmen sind. Dirk beispielsweise lebt sehr stark von seiner Technik, also seinem Wurf, nicht so sehr von Sprungkraft oder Schnelligkeit. Diese athletischen Komponenten sind auf Dauer sicherlich deutlich schwieriger zu halten.

MK: Differenzierst du im Athletiktraining je nach Alter des Spielers, mit dem du arbeitest?

DW: Ja, ganz klar. Ich gebe grundsätzlich allen Athleten, die älter sind als 29, Mitspracherecht bei den Trainingsinhalten. Denn diese Spieler sollten mir meiner Meinung nach mehr über ihren Körper sagen können als ich ihnen. Diese Spieler machen dann vielleicht mehr stabilisierende Inhalte, etwa nur einen Aufwärmsatz und einen Übungssatz.

MK: Wie streng richtest du dich nach der Periodisierung?

DW: Wenn wir drei Spiele die Woche haben, bin ich schlecht beraten, auf Biegen und Brechen meinen Trainingsplan durchzuziehen, nur damit die Jungs das Ziel erreichen, das ich mir mit ihnen vorgenommen habe. Ehrlich gesagt glaube ich, dass es gerade im Teamsport – wenn du parallel in mehreren Wettkämpfen bist – eine Periodisierung gar nicht wirklich gibt. Du weißt nie: Spielt der Sportler, spielt er nicht, wie lange spielt er, hat er Beschwerden, bekommt er einen Extratag Pause? Letztlich geht es darum: Heute ist das Spiel, heute muss er sich gut fühlen. Fertig.

MK: Das bedeutet, du versuchst immer, einen Plan zu haben, musst aber auch auf den jeweiligen Kontext reagieren.

DW: Definitiv. Man hat seine Idee, eine Richtung. Es geht erst einmal darum, Spiele zu gewinnen, nicht, einen Sportler körperlich zu einem 6-Millionen-Dollar-Mann zu machen. Dann ist er vielleicht extrem beweglich, superschnell und springt total hoch, aber bekommt den Ball nicht durch die Reuse. In diesem Fall hätte ich das Ziel verfehlt.

MK: Welche Zeit ist für die Spieler während der Saison denn hinsichtlich der Belastung am anstrengendsten?

DW: In den Playoffs sind die Spiele sehr nahe beieinander, aber auch der Eurocup, in dem wir in der vergangenen Saison weitergekommen sind. Da kann es schon mal sein, dass du fünf Spiele in zehn Tagen hast. Gerade bei den älteren Spielern ist dann jeder Schritt, jede Bewegung zu viel.

MK: Wo liegen in solchen Phasen deine Schwerpunkte hinsichtlich Trainingssteuerung und Regeneration?

DW: In solchen Zeiten kommt es auf Dinge an, auf die ich relativ wenig Einfluss habe, nämlich Schlaf und Ernährung. Klar kannst du die Jungs fragen, wie lange sie geschlafen und was sie gegessen haben. Aber ob es dann stimmt, wenn einer sagt: „Acht Stunden, Omelett mit Salat, Eiweißshake“, kann ich nicht beurteilen.

MK: Trackt ihr Vitalwerte?

DW: Ich biete den Spielern an, gewisse Dinge zu dokumentieren: Readyness-Level, Anstrengungsgrad des Trainings, Schlafdauer etc. Wenn sich ein Spieler dann mal im Training müde fühlt, kann ich nachsehen, ob irgendwo in diesen Daten eine Anomalie zu finden ist.

MK: Umfassendes digitales Tracking machen meiner Erfahrung nach die wenigsten Sportler mit, denn niemand will so gläsern sein, dass ein anderer beispielsweise prüfen kann, wie seine Nacht war oder wo er diese verbracht hat.

DW: Sehr spannendes Thema. Alle Individualsportler aus der Leichtathletik, die ich kenne, tracken einfach alles, gefühlt jeden Atemzug. Im Mannschaftssport haben dagegen viele Sportler Angst, gläsern gemacht zu werden. Klar ist es unangenehm, wenn der Trainer sagt: „Du bist heute nicht genügend gelaufen, gestern Abend warst du nicht rechtzeitig schlafen.“ So ganz nachvollziehen kann ich das aber nicht. Als Profisportler würde ich auf meine Karriere zurückblicken wollen mit dem Wissen, alles herausgeholt zu haben. Diese Einstellung scheinen aber nicht alle zu teilen.

MK: Ich habe kürzlich mit einem Bundesliga-Volleyballtrainer gesprochen, der seine Spieler in zwei Gruppen unterteilt: Athleten und Zocker. Er sagte, er brauche eine gute Mischung aus beiden in seinem Team. Athleten seien sehr hart zu sich selbst und wollen alles über sich wissen. Zocker dagegen sind zwar nicht unbedingt die Allerfittesten, aber mental anders drauf und können eben auch mal 20 Sekunden vor Schluss noch ein Spiel drehen. Die Frage ist: Lässt man Zocker dann nicht spielen, nur weil sie gewisse Werte nicht erfüllen?

DW: In solchen Fragen verstecke ich mich hinter dem Coach. Ich gebe Daten und Empfehlungen heraus, aber was damit passiert, liegt nicht in meiner Hand. Beim Thema Zocker bin ich total bei dir. Wir hatten hier mal einen absoluten Ausnahmespieler, den aber keiner haben wollte, weil man wusste, dass er ein sehr aktives Nachtleben hat. Er hat das für sich aber gut auf die Reihe bekommen und drei Jahre später sogar in der Euroleague gespielt. Wer weiß, ob er so gut gewesen wäre, wenn er sein Nachtleben nicht gehabt hätte …

MK: Wie ging die Mannschaft mit diesem Spieler um? Hat sie sein Verhalten toleriert?

DW: Wenn er auf dem Platz war, hat er sich zerrissen und alles für die Mannschaft getan. Er hat performt wie eine Duracell-Batterie. Und das über drei Jahre. Ohne Leistungseinbruch oder Änderung des Lebensstils. Es geht ja darum, Spiele zu gewinnen.

MK: Wie läuft bei euch die Zusammenarbeit mit den betreuenden Physiotherapeuten?

DW: Sehr gut. Unser Physiotherapeut gibt mir beispielsweise immer Feedback, wie mein Training mit dem jeweiligen Spieler war und ob er es gut vertragen hat. Das ist super, denn solch ein Feedback ist unter Umständen präziser als das eines Spielers, der noch nicht so weit ist, so viel Erfahrung hat. Umgekehrt kann ich mit Angaben wie „Ich merke, dass da was ist!“ nicht sehr viel anfangen. Da kann der Physiotherapeut dann deutlich genauer nachforschen, was wiederum mir sehr hilft.Am Ende bin ich ja zudem immer einer, der von den Athleten etwas möchte. Der Physiotherapeut ist der, der dem Athleten etwas gibt. Daher wird dem Physiotherapeuten häufig auch noch etwas mehr erzählt als mir.

MK: Der Meinung bin ich auch. Es ist wichtig, dass diese Zahnräder genau ineinandergreifen. Leider ist das nicht immer der Fall, und wenn die Mitarbeiter der medizinischen Abteilung nicht zusammenarbeiten, ist das total gefährlich. Denn es gibt Spieler, die einzelne Personen dann gegeneinander ausspielen.

DW: Da sprichst du ein sehr interessantes Thema an. Meiner Meinung nach hat ein Ego in diesem Bereich überhaupt keinen Platz. Leider aber ist der Sport eine gute Bühne für Charaktere, bei denen das Ego im Vordergrund steht.Falls so etwas einmal vorkommt, ist es wichtig, sich zusammenzusetzen und zu klären, was wer eigentlich genau über den anderen gesagt hat. Denn wenn ein Spieler den einen in die Pfanne haut, kannst du davon ausgehen, dass er das beim nächsten Mal mit dem anderen macht. Das braucht kein Mensch. Vielmehr sollte jeder im Staff lernen, sich dem Team unterzuordnen, nicht seine Show abzuziehen oder sein eigenes Süppchen zu kochen.

MK: Stimmt, es geht um den Gesamterfolg. Um das Ego eines Physios oder Athletiktrainers sollte es sicher nicht gehen. Unsere Arbeit als medizinisches Personal ist meiner Meinung nach, die Basis zu schaffen, dass ein Spieler seinen Sport ausüben kann.

DW: Absolut. Mein Lieblingsbeispiel für Basketballspieler: die Patellarsehne. Hat ein Sportler Schmerzen an der Patellarsehne, ist es super, wenn du die Probleme schnell in den Griff bekommst. Wenn es aber nicht schlimmer wird und es eine Saison dauert, bis die Schmerzen besser werden, der Spieler aber jedes Training und Spiel mitmachen kann, ist es für mich auch o. k. Das werden andere vielleicht nicht so sehen.

MK: Ich glaube auch, dass wir ein großes Problem mit dem Thema Schmerz bei vielen Sportlern haben. Oft gehen wir davon aus, dass immer alles schmerzfrei sein muss. Aber Sport ist eine massive Belastung. Und wenn du jungen Sportlern suggerierst, dass es nicht auch mal weh tun darf, wird es auf Dauer schwierig.

DW: Ich hatte mal einen Spieler mit Muskelfaserriss, der daraufhin drei Wochen pausieren sollte. Ich habe trotzdem mit ihm trainiert – auf dessen eigene Verantwortung. Erlaubt habe ich ihm Belastungen bis zu einer Schmerzstärke von maximal 3 auf einer Skala von 0 bis 10. Nach zwei Wochen hatte er keine Schmerzen mehr.

MK: Da hast du offensichtlich richtig gehandelt. Am Ende geht es ja auch um das Belastungsmanagement und die entsprechende Dosierung. Durch eine Pause ist ja noch keiner besser geworden. Die Athleten beginnen, sich einen Kopf zu machen, die Fitness leidet auch darunter.

DW: Das ist richtig. Und dann gibt es auch noch das Problem mit der Hard- und der Software. Wenn ich drei, vier Wochen nichts mache, verheilt zwar die Hardware (der Knochen, der Muskel; die Red.). Aber ich habe drei Wochen lang nicht angesteuert, in dieser Zeit wird die Software vernachlässigt, was sicher auch nicht optimal ist. Man muss da immer eine individuelle Lösung finden.

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Abb. 1 An Schnelligkeit fehlt es Richard Freudenberg nicht, der hier die Angriffe seiner Gegner abwehrt und zum gegnerischen Korb stürmt.
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Abb. 2 Dennis Wellm erklärt Leon Kratzer, worauf es beim Y-Balance Test ankommt. (Quelle: Skyliners GmbH)

MK: Dennis, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Matthias Keller.

DENNIS WELLM
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Portraitfoto Dennis Wellm. (Quelle: Skyliners GmbH)

Dennis Wellm ist Diplom-Sportwissenschaftler. Nach dem Studium an der Sporthochschule Köln war er bei Medicos auf Schalke in den Bereichen MTT, Prävention und Rehasport tätig. Nach einer Station als Athletiktrainer bei den Düsseldorfer Gloria Giants ist er seit der Saison 2012/13 als Athletiktrainer bei den Basketballern der Fraport Skyliners. Von 2014–16 war er auch Teil des Trainerstabs der deutschen A-Nationalmannschaft Basketball.



Publication History

Article published online:
08 May 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York