Diabetes aktuell 2020; 18(05): 188
DOI: 10.1055/a-1173-5503
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Diabetische Neuropathie

Kristian Rett
1   München
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Publication Date:
20 August 2020 (online)

Im vorliegenden Schwerpunktheft geben erfahrene Kliniker einen fachübergreifenden Überblick zur Diagnostik und Therapie zweier Diabeteskomplikationen, der Neuropathie und der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), deren Pathophysiologie – bei allen Unterschieden – wesentlich mehr Gemeinsamkeiten aufweist, als bisher wahrgenommen.

Die pAVK ist primär eine kardiovaskuläre Indikatorerkrankung, für die ein umfassendes interventionelles, medikamentöses, und nichtmedikamentöses Instrumentarium zur Verfügung steht. Die Neuropathie gilt dagegen als Diabetes-Spätkomplikation, ist aber de facto ein Frühindikator ohne spezifische medikamentöse und interventionelle Behandlungsmöglichkeit. Der fachübergreifende, nichtmedikamentöse Ansatz ist in beiden Fällen nichts anderes als eine Gefäß- und neuroprotektive Lebensweise, die – sofern sie von uns Ärzten verständlich erläutert wird – auch vom Patienten eingefordert werden kann.

Die Screeninguntersuchung der Füße auf der Basis von Symptomen, klinischen Zeichen und funktionellen Surrogatparametern identifiziert nur fortgeschrittene Neuropathiestadien und damit auch nur das Risiko für schmerzlose Fußulzera und Amputationen. Außerhalb von Disease-Management-Programmen erfolgt selbst diese Spätdiagnostik zu selten. Frühdiagnostik mittels Sudomotortest und konfokaler Korneamikroskopie würde die Kleinfaserschädigung als Neuropathie-Frühstadium, aber auch Neuropathie-Schweregrad und Regenerationspotenzial von Nerven erfassen. Diese wichtigen Instrumente erscheinen jedoch nicht einmal in den Leitlinien.

Die schwache Evidenzbasis der medikamentösen Neuropathiebehandlung ist das Ergebnis jahrelanger monokausaler Irrwege. Die chronische Hyperglykämieexposition als alleiniger Kausalitätsfaktor ist überholt. So wird die neuronale Degeneration selbst beim Typ-1-Diabetes durch nahe-normoglykämische Verhältnisse nur eingeschränkt verlangsamt.

Beim Typ-2-Diabetes ist die Normoglykämie ungleich schwerer erreichbar und die glukozentrische Beeinflussung der Neuropathie noch mehr Wunsch als Wirklichkeit. Als einzig erfolgversprechender Ansatz bleibt hier die frühzeitige multimodale Therapie, da glukoseunabhängige Faktoren neben der prandialen Glukoseexkursion und der Glukosevariabilität bereits in den HbA1c-blinden Früh- und Vorstadien des Typ-2-Diabetes ihr Schädigungspotenzial an Gefäßen und Nerven entfalten. Diese Faktoren sind wiederum mehrheitlich auch für die pAVK relevant, was zeigt, dass dem komplexen Geschehen nur interdisziplinär und interprofessionell beizukommen ist.