intensiv 2020; 28(05): 226-227
DOI: 10.1055/a-1204-6646
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stationsleitung

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Publication Date:
07 September 2020 (online)

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Quelle: Paavo Blåfield/Thieme Gruppe

„Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.

Hermann Hesse (1877–1962), deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Dichter und Maler

Ich möchte niemanden unnötig mit Statistiken langweilen. Obwohl ich zugeben muss, ein großer Fan ebensolcher zu sein. Haben sie mir doch im Lauf meines Berufslebens geholfen, die Arbeit meines Teams oder meine eigene für andere gut sichtbar darzustellen, und manches Mal ist es mir damit sogar gelungen, irgendwelche Wünsche an die Geschäftsleitung plausibel zu machen. So haben wir ganze zwei Jahre penibel und sehr differenziert unsere Leistungen rund um die Verbände – auf einer septischen Station sind sie das „tägliche Brot“ – zu erfassen, um an Ende einen zweiten Verbandsarbeitsplatz, recht teure Arbeitsgeräte und nicht zuletzt mehr Personal zu bekommen.

So kann ich berichten, dass wenn jemand etwa 300 Dienstpläne geschrieben oder in etwa 900 Leitungssitzungen (das sind rund 1800 Stunden oder – um es noch verrückter werden zu lassen – ein ganzes Arbeitsjahr!) gesessen hat, ja, dann ist man seit 25 Jahren Stationsleitung. Mit diesem von allen unbemerkten und nur in meiner persönlichen Wahrnehmung stattfindendem Jubiläum hat man es nicht etwa geschafft, sondern man ist geschafft.

Als ich im Sommer 1995 aus persönlichen Gründen mit meinem Sohn von Berlin nach München gezogen bin, habe ich mich relativ unvorbereitet an einer Münchner Privatklinik für die Arbeit auf einer Intensivstation beworben. In diesem Arbeitsbereich hatte ich Erfahrungen, die Klinik bezahlte gut und selbst eine Wohnung war zu bekommen. Immerhin war ich damals alleinerziehende Mutter eines halbwüchsigen Sohnes, und damals zählte in unserer Familie jede Mark. Schon im ersten Gespräch bot mir die PDL die vakante Stelle der Stationsleitung an. Warum? Ich werde es nie erfahren, und dieses damalige Prozedere wäre heute schlicht undenkbar. Nach kurzen Überlegungen habe ich damals zugegriffen. Ich habe mich an meine ehemalige Stationsleitung erinnert. Sie war alleinerziehende Mutter mit drei Kindern und eine Macherin. Sie hat diese große Station, von der ich kam, immer zusammengehalten, und wirkte aus meiner sicherlich sehr unbedarften und subjektiven Sicht selten angestrengt. Das könnte ich bestimmt auch und wie schon gesagt: Ich war jung und …

Am Ende wurden es mehr Jahre, als ich am Anfang für möglich gehalten hatte. Jahre, in denen ich sehr viel gelernt habe, aber auch mindestens genauso viel einstecken musste und die mich dann an meine physischen und psychischen Grenzen gebracht haben. Zwischenzeitlich hatte ich diverse Weiterbildungen absolviert. Unter anderem auch die zum DRG-Fallmanager. Damals wurden die Fallpauschalen frisch eingeführt, und diese sollten ja in Zukunft das gesamte wirtschaftliche Krankenhausleben bestimmen. Also sah ich nun, nach diesen unsäglichen Anstrengungen, mein Heil in dem Büro einer Krankenkasse, und ich sah mich dabei, Abrechnungen nach Plausibilität zu prüfen. In einem Nine-to-five-Job, Montag bis Freitag, mit geregeltem Urlaub und ordentlichem Gehalt. Aber es kam natürlich anders. Die Krankenhausszene in dieser Stadt ist offensichtlich klein, und prompt kam in dieser Phase der Veränderung ein Angebot von meiner jetzigen PDL. Ich könnte, wenn ich wollte, eine ganz neue Abteilung in diesem Haus vom Grund auf aufbauen. Und schon war ich wieder Stationsleitung.

Es begann eine wirklich gute Zeit. Wir waren zunächst ein kleines, aber sehr motiviertes und sehr homogenes Team. Es lief einfach super. Auch die Zusammenarbeit mit den Ärzten war so, wie ich es den heutigen jungen Kollegen kaum vermitteln kann. Sehr gleichberechtigt, gegenseitig sehr interessiert und diese oft beschworene „Augenhöhe“ (ich kann es heute nicht mehr hören, weil nicht vorhanden!) wurde gelebt. Und nicht zu vergessen, die gemeinsamen Frühstücke oder legendären Feiern der gesamten Station im Sommer und zu Weihnachten. Die Zeit hat aber nicht stillgestanden. Dabei sind nur 15 Jahre vergangen, und die Klinik ist zumindest vom Bau her noch die alte.

Aber nicht nur das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben verändert sich. Auch im Kleinen muss man sehen, dass man Schritt hält. Es ist die Zeit der Zielvereinbarungen im Großen und Kleinen, der Mitarbeiterjahresgespräche, der internen und externen Audits, Zertifizierungen, Führungskräftetreffen oder mindestens Workshops, der nicht enden wollenden Leitungssitzungen, der Projekte und Arbeitsgruppen. Es ist die Zeit der Evaluierung und Re-Evaluierung und vielleicht auch die der Implementierung. Immer geht es um Benchmarking, Jours fixes, Performer (bestenfalls high), Portfolio, Bettenauslastung, Fallzahlen, Gewinnoptimierung und natürlich ums Sparen. Am besten gefällt mir in diesem Zusammenhang: Management by walking around. Nur leider hat es mit uns bisher noch niemand gemacht, und das ist wahrscheinlich auch besser so. Nebenbei bin ich dann noch Stationsleitung, die die Station am Laufen halten, die Philosophie und die Entscheidungen des Trägers „verkaufen“ und umsetzen, den Patienten gerecht werden und auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Mitarbeiters eingehen soll. Ach ja, und da ist dann noch das Pflegen an sich.

Von dem ursprünglichen Leitungsteam von vor 15 Jahren sind neben der PDL noch genau eine Kollegin und ich da. Wenn ich auf Station bei den Übergaben sitze, sind oft alle anderen Kollegen jünger als mein Sohn. Sie, die Jungen, haben genau wie ich, als ich noch jung war, eine ganz andere Sicht und Motivation auf und für ihre Arbeit. Und es sind jeden Tag Hürden für mich zu nehmen, mal höhere, mal niedrigere, um es allen Beteiligten und am Ende vielleicht sogar mir selbst recht zu machen und jeden einzelnen Arbeitstag zu einem guten werden zu lassen.

In diesem Sinne Ihre

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Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de