PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(01): 111
DOI: 10.1055/a-1215-0402
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In Zeiten wie diesen

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(Quelle: Sven Keller)

„Oh nein, nicht schon wieder …“, werden Sie vielleicht denken – noch eine „Corona-Kolumne“ … Ganz ehrlich: Darauf habe ich auch keine Lust. Über ferne Kulturen zu schreiben, fände ich prima. Aber wollen Sie das jetzt lesen? Wo doch alles noch so schwierig ist? Also werde ich Ihnen eine Reise in unser Selbst zur Verfügung stellen. Machen Sie einfach das damit, was Sie mit diesen Kolumnen immer machen: sich freuen, sich ärgern, sich wundern… oder was immer Ihnen beliebt.

Vielleicht kennen Sie ja diese unter Therapeuten und Patienten gleichermaßen bekannten Sätze mit den Dingen, die mensch ändern möge, und denen, die es zu ertragen gälte, und der Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Zunehmend stelle ich gemeinsam mit Patientinnen und Kolleginnen fest, dass dabei etwas Entscheidendes fehlt – nämlich eine Antwort auf die Frage, wie lange (also Zeit) und wie oft (also Versuche) mensch es denn mit dem ersten Satz probieren solle, bis er oder sie zu Satz drei und dann zu Satz zwei gelangt, etwas also in die Kategorie umzuordnen, die das Ertragen und Aushalten erforderlich macht.

Diese Gedanken setzen natürlich voraus, dass wir nicht automatisch und auch nicht immer auf Anhieb wissen, ob etwas zu verändern ist oder sinnvollerweise ertragen werden sollte. Das kann natürlich umgekehrt auch für die Dinge gelten, die zunächst den Eindruck erwecken, zum Ertragen Anlass zu geben. Gefühlt entsteht jedoch eher die Wahrnehmung, dass die meisten Menschen vermutlich unangemessen lange letztlich aussichtslos kämpfen, als sich zu schnell fürs Aushalten zu entscheiden. Aber auch hier wird es Zeitgenossen geben, denen die eine Variante näher als die andere ist und damit das Gegenteil die größere Herausforderung für sie darstellt.

Es geht also darum, wann der Zeitpunkt gekommen ist, etwas anders zu machen, als es intuitiv schlüssig erscheint. Oder, wie einer meiner Supervisoren mal sagte, wann ich mich entscheiden sollte, meine Lieblingshypothese nicht zu heiraten (in diesem Fall also jene über meine individuelle Präferenz zum Verändern oder Ertragen). Und dann kommt noch komplizierend hinzu, dass es vermutlich Lebensphasen gibt, in denen das Verändern besser geht als das Ertragen, und gesellschaftliche Strömungen, die das Eine mal moderner und das Andere mal als verstaubt und damit unattraktiver bewerten.

Bleibt also die Frage, wer von uns sich wann auf eine Reise in persönliches Neuland begibt und welche Motive im Speziellen stark genug sind, „es“ (was auch immer das sein mag) anders zu machen und aus bekannten Mustern auszubrechen. Vielleicht hilft ja der Versuch, Bekanntes einmal umzudrehen. In Zeiten wie diesen könnte dies zum Beispiel die gut gelaunte Aufforderung sein: „Werden Sie gesund und bleiben Sie negativ!“

Bettina Wilms, Querfurt



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Article published online:
19 February 2021

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