PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(04): 109
DOI: 10.1055/a-1215-1161
Lesenswert

Mirna Funk: Zwischen Du und Ich

Auf der Suche nach sich selbst und der Liebe

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dtv München 2021, ISBN: 9783423282673, 22,00 €, 304 Seiten

„Zwischen Du und Ich“ ist Mirna Funks zweites Buch nach ihrem Debütroman „Winternähe“. Der Roman, der sich in seinem Titel an Martin Bubers „Ich und Du“ anlehnt, erzählt von Nike, einer jüdischen Ost-Berlinerin. Nike ist Ende 30 und führt ein unaufgeregtes Leben als Referentin beim Deutschen Akademischen Austauschdienst. Doch als sie die Möglichkeit erhält, einen Kongress in Tel Aviv zu betreuen, überlegt sie nicht lange und wandert nach Israel aus. Dort angekommen, verliebt sie sich in den 40-jährigen Noam. Dieser wohnt gemeinsam mit seinem manipulativen und gewalttätigen Onkel in einer kleinen Wohnung und führt ein karges Leben. Sein einziger Lebensinhalt scheint im Verfassen einer wöchentlichen Kolumne für die israelische Tageszeitung „Haaretz“ zu bestehen.

Noam ist der erste Mann, den Nike seit langer Zeit in ihr Leben lässt. Doch ihre Beziehung gestaltet sich nicht einfach, denn beide haben mit traumatischen Erfahrungen aus ihrer Kindheit und jungem Erwachsenenalter zu kämpfen. Um ihre Liebe als Paar zu bewahren, müssen sich die beiden daher zunächst auf die Suche nach sich selbst begeben – entsprechend Martin Bubers Prämisse, dass Identität erst durch die Verbindung zu anderen erfahrbar werde.

Mirna Funk beschreibt auf eine eindrückliche Art und Weise nicht nur die Entstehung und Auswirkungen von Traumata, sondern nimmt die Leserinnen und Leser mit auf die Suche nach den Möglichkeiten der Bewältigung. Während Nikes Erzählstrang von individuellen sowie transgenerationalen Traumatisierungen, die anhand der mütterlichen Familiengeschichte beleuchtet werden, geprägt ist, findet sich bei Noam ein Leitmotiv aus dem Werke Mirna Funks wieder: Die Gleichzeitigkeit der Täter- und Opferexistenz.

Lesenswert ist der Roman vor allem aufgrund seiner impliziten Denkanstöße. Mirna Funks Schreiben spricht und gibt Fragen mit auf den Weg – ohne, dass es expliziter Hinweise hierfür bedürfte. Beispielhaft ist die indirekte Kritik an der deutschen Erinnerungskultur, die deutlich wird, wenn weder Nike noch ihre Familie zur Gedenkveranstaltung anlässlich der Legung eines Stolpersteins für ihre Urgroßmutter eingeladen werden. Und dies ist nur eine der Stellen, an denen Mirna Funk den Leserinnen und Lesern schonungslos den Spiegel vorhält. Jüdisches Leben in Deutschland ist mehr als der Nahostkonflikt, mehr als das Erinnern an die Shoa. Ist es wirklich unser Recht als Mehrheitsgesellschaft, uns diese Erinnerungen anzueignen? Wäre es nicht viel erstrebenswerter, den Diskurs zu diversifizieren und einen Raum für jüdische Perspektiven zu schaffen?

Wenngleich der Roman also an vielen Stellen komplexe Themen tiefgründig bearbeitet, wirkt er mancherorts etwas überladen. Viele Themen werden angerissen, bleiben dann aber unbearbeitet. So wird beispielsweise der Konflikt zwischen Tutsi und Hutu in Ruanda in einem Gespräch von Nike und einer Arbeitskollegin thematisiert – die vom Leser erhoffte Einordnung bleibt dann allerdings aus.

Doch auch wenn sich der Roman teilweise in Nebenhandlungen verliert, die für den Leser nur schwer integrierbar sind, empfehlen wir Ihnen, sich die Zeit zu nehmen und das Buch zu lesen. Hören Sie Mirna Funk zu – am besten mit einem kühlen Goldstar am Strand von Tel Aviv.

Romy Baumgart & Maximilian Broda, Gießen



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Article published online:
24 November 2021

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