PiD - Psychotherapie im Dialog 2021; 22(04): 13-14
DOI: 10.1055/a-1215-2512
Editorial

Neuropsychologie

Christoph Flückiger
,
Bettina Wilms
,
Thomas Guthke

Wie anders ist Neuropsycholologische Psychotherapie?

Schon vor 5 Jahren haben wir das Thema „Neuropsychologie“ auf die Liste zukünftiger PiD-Ausgaben aufgenommen. Das Themenheft haben wir jedoch – vielleicht symptomatisch – auf der Pendenzenliste immer wieder etwas nach hinten verschoben, u. a. mit dem Argument, Neuropsychologie sei doch eher eine Randerscheinung im klinischen Alltag von niedergelassenen Psychotherapeut*innen.

Ein neues eigenständiges Fachgebiet

Ganz besonders im Zuge des neuen Direktstudiums in Deutschland hat sich das Fachgebiet jedoch zügig weiterentwickelt und etabliert: „Neuropsychologische Psychotherapie“ wird zukünftig ein eigenständiges Fachgebiet sein. Die ersten Studierenden werden zeitnah mit ihrem Schwerpunkt starten und in einigen Jahren als Fachpsychotherapeut*in in „Neuropsychologischer Psychotherapie“ abschließen. Auch wenn die möglichen ersten Abwehrgedanken („für mich nicht sooo zentral“) und der leichte Druck, sich mit neuen Fachkolleg*innen auseinanderzusetzen, die Unbeschwertheit leicht bremsen könnten, so hoffen wir doch, dass schon das anregende Titelbild ihre lustvolle Neugier und Aufmerksamkeit gefunden hat.

Das Themenheft hat zwei Ziele: Einerseits soll es über das Fachgebiet informieren und einen Überblick bieten, was unter Neuropsychologischer Psychotherapie zu verstehen ist. Andererseits werden im Rahmen der „Neuropsychologischen Psychotherapie“ allgemeinere Fragen diskutiert, die für die gesamte Psychotherapie relevant sind, wie beispielsweise der Umgang mit Patient*innen mit eingeschränkter Krankheitseinsicht, die Frage, wie kognitive Defizite den Therapieprozess beeinflussen können oder der Umgang mit der Ungewissheit längerfristiger psychosozialer Einschränkungen.


#

Schulenübergreifendes biopsychosoziales Störungsverständnis

Mit Thomas Guthke konnten wir einen exzellenten Mitherausgeber für das Themenheft gewinnen, der das Gebiet seit Jahren äußerst aktiv mitprägt. Wir sind sehr dankbar dafür, dass sich für das Themenheft namhafte Referent*innen zur Verfügung gestellt haben, die über langjährige klinische Expertise verfügen. Ein zentraler Aspekt ist uns Herausgeber*innen dabei erst im Nachhinein aufgefallen: Der erfrischende Umstand, dass sich die einzelnen Autor*innen nicht primär einer spezifischen Psychotherapieschule verpflichtet fühlen und sich vorzugsweise an einem schulenübergreifenden biopsychosozialen Störungsverständnis orientieren.

Standpunkte-Artikeln bieten Guthke, Flückiger und Klein als erstes einen Überblick über die verschiedenen Anwendungsfelder und Merkmale der Neuropsychologischen Psychotherapie. Als zweites diskutiert Werheid diskutiert zentrale Aspekte bei der psychotherapeutischen Behandlung von Demenzssyndromen. Die anschließenden Beiträge bieten eine Auswahl zu zentralen Themenschwerpunkten: Klein, Flückiger und Guthke geben einen Überblick über die wichtigsten neuropsychologischen Störungsbilder, Jäncke bietet eine Einführung in die verschiedenen Stimulationsverfahren und Neurofeedback, Heinemann fokussiert auf zentrale Aspekte in der neuropsychologischen Diagnostik.

In weiteren Beiträgen werden die möglichen Verbindungen zwischen neuropsychologischen Symptomen und psychischen Störungen diskutiert: Lidzba stellt längerfristige psychische Folgen von neuropsychologischen Störungen im Kindes- und Jugendalter dar. Svensson und Exner diskutieren psychische Störungen bei Personen mit erworbenen Hirnschädigungen, Aschenbrenner und Weisbrod dagegen neuropsychologische Symptome bei psychischen Störungen. Plohmann erörtert zentrale Beurteilungsaspekte zur Begutachtung von leichten Schädelhirntraumata.

Vier weitere Beiträge stellen spezifische therapeutische Aspekte in den Vordergrund: Frischknecht, Stalder-Lüthy und Hofer bieten eine Einführung in therapeutische Unterstützungsmöglichkeiten bei Angehörigen von Patienten mit nicht-degenerativen Hirnverletzungen, Völzke diskutiert zentrale Aspekte der therapeutischen Beziehung bei neuropsychologischen Erkrankungen, Normann und Vestring bieten einen Überblick über psychopharmakologische Ansätze bei Patient*innen mit neuropsychologischen Beeinträchtigungen. Ein Erfahrungsbericht aus Patient*innenperspektive rundet das Themenheft ab.


#

Keine Bogen um „heiße“ Themenfelder

Wie Sie der Themenvielfalt entnehmen können, haben wir versucht, keine Bogen um möglicherweise kontroverse und für Psychotherapeut*innen auch etwas „heißere“ Themenfelder zu machen. Bei dieser Offenheit war es uns zentral, Expert*innen als Autor*innen zu gewinnen, die sich intensiv und kritisch mit ihren Themenschwerpunkten auseinandergesetzt haben und gleichzeitig auch eine differenzierte Innensicht bieten.

Wir hoffen sehr, Sie werden das Themenheft als informativ und hilfreich erleben, zentrale Aspekte des neuen Fachgebiets zu verstehen. Gleichzeitig denken wir jedoch auch, dass Sie durchaus in Ihrer Annahme bestärkt werden: Psychotherapie bleibt Psychotherapie!

Christoph Flückiger

Bettina Wilms

Thomas Guthke


#

Publication History

Article published online:
24 November 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany