Z Sex Forsch 2020; 33(03): 125-133
DOI: 10.1055/a-1216-6780
Originalarbeit

Schwangerschaftsabbrüche – Entscheidungsprozesse und Erfahrungen mit psychosozialer und medizinischer Versorgung aus Sicht junger Frauen

Abortions – Decision-Making Processes and Experiences with Psychosocial and Medical Care from the Perspective of Young Women
Maika Böhm
Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur, Hochschule Merseburg
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Einleitung Schwangerschaftsabbrüche sichern reproduktive Selbstbestimmung und sind als Menschenrecht anerkannt. Gleichzeitig werden sie oft gesellschaftlich missbilligt, sind in Deutschland nach wie vor strafrechtlich verankert und erfordern eine Pflichtberatung.

Forschungsziele Die vorliegende Studie verfolgt das Ziel zu rekonstruieren, warum und wie junge Frauen sich unter diesen Bedingungen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, wie sie dabei die Pflichtberatung und die medizinische Versorgung einschätzen und den Abbruch im Rückblick bewerten.

Methoden Interviewdaten von n = 10 Studentinnen, die während ihrer (hoch-)schulischen Ausbildung einen Abbruch vornehmen ließen, wurden qualitativ erhoben und inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse Die Daten zeigen, dass die Befragten klare und oft ähnliche Gründe für den Abbruch hatten und die Pflichtberatung bei ihrer Entscheidungsfindung kaum eine Rolle spielte. Im Rückblick beurteilten die Frauen den Abbruch als richtige Entscheidung.

Schlussfolgerung Sinn und Nutzen der Pflichtberatung nach § 218a StGB gilt es ebenso zu überdenken wie das gesamte Unterstützungssystem, das bei ungewollten Schwangerschaften bereitsteht.

Abstract

Introduction Abortions ensure reproductive self-determination and are recognised as a human right. At the same time, they are often socially disapproved of, are still anchored in German criminal law, and require mandatory psychosocial counselling.

Objectives The present study aims to reconstruct why and how young women decide under these conditions to have an abortion, how they assess the mandatory psychosocial counselling and medical care, and how they assess the abortion in retrospect.

Methods Qualitative interview data were collected from n = 10 female university students who had an abortion during their high school/college education and analysed in terms of content.

Results The data show that the interviewees had clear and often similar reasons for the abortion and that mandatory psychosocial counselling hardly played a role at all in their decision-making. In retrospect, the women assessed the abortion as the right decision.

Conclusion The sense and benefit of compulsory counselling according to § 218a StGB (German Criminal Code) has to be reconsidered as well as the whole support system that is available in case of unwanted pregnancies.



Publication History

Article published online:
16 September 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

 
  • Literatur

  • Achtelik K, Bednarz L, Diehl S. Abtreibung und Selbstbestimmung – Drei Positionen. Aus Politik und Zeitgeschehen 20 2019; 27-33
  • Böhnisch L. Lebensbewältigung – Ein Konzept für die Soziale Arbeit. 2., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2019
  • Boltanski L. Soziologie der Abtreibung. Frankfurt/M.: Suhrkamp; 2007
  • Busch U. Handlungsbedarfe bei Schwangerschaftskonflikten. Eine Expertise im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Köln: BZgA; 2009
  • Busch U. Schwangerschaftsabbruchversorgung. Welchen Einfluss haben rechtliche und gesellschaftliche Aspekte?. pro familia Magazin 2 2019; 6-9
  • Busch U, Hahn D. Hrsg. Abtreibung. Diskurse und Tendenzen. Bielefeld: transcript; 2014
  • [BZgA] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. frauen leben 3: Familienplanung von 20- bis 44-jährigen Frauen – Schwerpunkt: ungewollte Schwangerschaften und Schwangerschaftskonflikte – erste Befragungsrunde. Köln: BZgA; 2014
  • Dannecker M, Richter-Appelt H, Koops T. et al. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung zu den §§ 218 ff. StGB. Z Sexualforsch 2018; 31: 152-155
  • Eckart WU. Schwangerschaftsabbruch: Ein moralphilosophischer und rechtlicher Kompromiss. Dtsch Arztebl 2018; 115: A1862
  • Fenner D. Schwangerschaftsabbruch. Bonn: BpB; 2013. https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/159793/schwangerschaftsabbruch
  • Giesselmann M. Mutterschaft geht häufig mit verringertem mentalem Wohlbefinden einher. DIW Wochenbericht. 35. 2018
  • Goenee MS, Donker GA, Picavet C. et al. Decision-Making Concerning Unwanted Pregnancy in General Practice. Fam Pract 2014; 31: 564-570
  • Helfferich C. Pflichtberatung: Die große Kluft zwischen gesetzlichem Anspruch und praktischem Nutzen. pro familia Magazin 2 2015; 4-7
  • Helfferich C, Häußler-Sczepan M. Erzählung und „Bewältigung“. Soziale Regeln des angemessenen Umgangs mit Belastungen im Alltag und ihre Bedeutung in den Lebensgeschichten chronisch kranker Frauen. Osterr Z Soziol 2002; 27: 42-62
  • Helfferich C, Klindworth H. Kein Kinderwunsch und schwanger – Wie wird in einer Partnerschaft entschieden?. In: Busch U, Hahn D. Hrsg. Abtreibung. Diskurse und Tendenzen. Bielefeld: transcript; 2014: 215-234
  • Helfferich C, Klindworth H, Heine Y. et al. frauen leben – Familienplanung im Lebenslauf. Schwerpunkt: Ungewollte Schwangerschaften. Eine Studie im Auftrag der BZgA. Köln: BZgA; 2016
  • Krolzik-Matthei K. § 218: Feministische Perspektiven auf die Abtreibungsdebatte in Deutschland. Münster: Unrast; 2015
  • Krolzik-Matthei K. Abtreibung in der Debatte in Deutschland und Europa. Aus Politik und Zeitgeschehen 20 2019; 4-11
  • Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2012
  • Litau J, Walther A, Warth A. Hrsg. Theorie und Forschung zur Lebensbewältigung. Methodologische Vergewisserungen und empirische Befunde. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2016
  • Lucius-Hoene G. Erzählen von Krankheit und Behinderung. Psychother Psych Med 1998; 48: 108-113
  • Madecker M, Jacobs M, Simon A. Beratungs- und Rollenverständnis von Schwangerschaftskonfliktberaterinnen. Ergebnisse einer empirischen Befragung. Frauenarzt 2012; 1: 30-34
  • Major B, Appelbaum M, Beckmann L. et al. Abortion and Mental Health – Evaluating the Evidence. Am Psychol 2009; 64: 863-890
  • Major B, Cozzarelli C, Cooper LM. et al. Psychological Responses of Women after First-Trimester Abortion. Arch Gen Psychiatry 2000; 57: 777-784
  • Matthiesen S. Einleitung. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Hrsg. Sexualität von Studierenden im Internetzeitalter. Sexuelle und soziale Beziehungen von deutschen Studierenden. Köln: BZgA; 2017: 8-18
  • Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. In: Mey G, Mruck K. Hrsg. Handbuch qualitative Forschung in der Psychologie. Wiesbaden: Springer VS; 2010: 601-613
  • Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 12., überarbeitete Auflage. Weinheim, Basel: Beltz; 2015
  • Mayring P, Fenzl T. Qualitative Inhaltsanalyse. In: Baur N, Blasius J. Hrsg. Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: Springer VS; 2019: 633-648
  • Meyer E, von Paczensky S, Sandrozinski R. „Das hätte nicht noch mal passieren dürfen!“ Wiederholte Schwangerschaftsabbrüche und was dahintersteckt. Frankfurt/M.: Fischer; 1991
  • Millar E. Happy Abortions. Mein Bauch gehört mir – noch lange nicht. Berlin: Wagenbach; 2018
  • Najman MJ, Williams G, Andersen M. et al. The Mental Health of Women 6 Months after They Give Birth to an Unwanted Baby: A Longitudinal Study. Soc Sci Med 1991; 32: 241-247
  • Pinne H. Sozialrechtliche Fragen drängen die Auseinandersetzung mit der Geschichte des §§ 218 in den Hintergrund. pro familia Magazin 2 2015; 18-21
  • pro familia Bundesverband. Das Recht der Frau auf selbstbestimmte Entscheidung. pro familia Position zum Schwangerschaftsabbruch. Frankfurt/M.: pro familia Bundesverband; 2012. https://www.profamilia.de/ueber-pro-familia/stellungnahmen.html
  • Rocca CH, Kimport K, Roberts SCM. et al. Decision Rightness and Emotional Responses to Abortion in the United States: A Longitudinal Study. PLoS One 2015; 10: e0128832
  • Schneider N, Diabatè S, Ruckdeschel K. Hrsg. Familienleitbilder in Deutschland. Kulturelle Vorstellungen zu Partnerschaft, Elternschaft und Familienleben. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich; 2015
  • Schweiger P. Schwangerschaftsabbruch. Erleben und Bewältigen aus psychologischer Sicht. Medizin für die Frau 2 2016; 40-43
  • Speckhard AC, Rue VM. Postabortion Syndrome: An Emerging Public Health Concern. J Soc Issues 1992; 48: 95-119
  • [WBfF] Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen. Hrsg. Ausbildung, Studium und Elternschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; 2011