Psychother Psychosom Med Psychol 2020; 70(12): 533-534
DOI: 10.1055/a-1230-0564
Fragen aus der Forschungspraxis

Was macht Psychotherapeuten erfolgreich?

Therapeuteneffekte in der Psychotherapieforschung

Therapeuteneffekte in der Psychotherapieforschung

Was wird erklärt?

Therapeuteneffekte sind Untersuchungsgegenstand einer Forschungstradition, die sich mit Unterschieden und Merkmalen erfolgreicher Psychotherapeuten auseinandersetzt. Das Konzept beschreibt den Beitrag, der auf die Person des Therapeuten[1] attribuiert werden kann, wenn die Wirksamkeit psychologischer Interventionen evaluiert wird.

Ausgangssituation

Die Erkenntnis, dass sich Personen einer Berufsgruppe bezüglich spezifischer Tätigkeiten oder Fähigkeiten unterscheiden, ist keine Überraschung. Wir können uns alle an Lehrkräfte erinnern, die wir als kompetent erlebt haben, wohingegen andere mehr Schwierigkeiten hatten, komplexe Sachverhalte zu erklären. Tatsächlich sind Leistungsunterschiede Teil eines natürlichen Phänomens, das sich Variabilität nennt. Übertragen auf den Kontext Psychotherapie bedeutet das, dass Therapeuten sich auf natürlicherweise hinsichtlich der Therapieergebnisse ihrer Patienten unterscheiden. Interessant ist dabei die Frage wie groß diese Unterschiede sind, und ob Kompetenzunterschiede hinsichtlich individueller Merkmale und Charakteristika beobachtbar sind.

Therapeutenunterschiede wurden in frühen Phasen der Psychotherapieforschung vernachlässigt bzw. durch den Einsatz von Therapiemanualen in randomisiert-kontrollierten Studien minimiert. Effektivitätsstudien waren folglich mit dem Ziel konzipiert, potenzielle Unterschiede im Therapieergebnis auf den Einsatz unterschiedlicher Psychotherapieverfahren zurückzuführen. Erst in den letzten Jahren widmeten sich vermehrt Studien der Erforschung von Unterschieden im Therapieergebnis, welche auf die behandelnden Psychotherapeuten zurückgeführt werden können [1]. Mittlerweile liegen zahlreiche Studien vor, welche den Therapeuteneffekt auf 5–8 % schätzen, was einer mittleren Effektstärke (d=0,5) entspricht [2]. Neben dem Therapeuteneffekt auf das Therapieergebnis von Patienten, unterscheiden sich Therapeuten außerdem hinsichtlich der Therapielänge und den Therapieabbruchraten [2].


#

Methodische Herausforderungen

Die methodologischen Herangehensweisen zur Untersuchung von Therapeutenmerkmalen stammen aus 2 verschiedenen Traditionen, welche eng an statistische Weiterentwicklungen geknüpft sind. Frühe Studien nutzten zur Identifikation von Charakteristiken erfolgreicher Psychotherapeuten varianzanalytische Designs. Problem dieser Herangehensweise ist, dass es keine Möglichkeit gibt, den Einfluss von Therapeuten in der Stichprobenumfangsplanung zu berücksichtigen. Infolgedessen sind diese klassischen Studien durch kleine Stichproben und wenigen Patienten pro Therapeut charakterisiert. Diese genestete Datenstruktur, also die Behandlung mehrerer Patienten durch einen Therapeuten in einem Datensatz, kann in Mehrebenenanalysen berücksichtigt werden. Sie stellt eine methodische Weiterentwicklung dar und macht es in neueren Studien möglich, die Therapeutenebene explizit in die statistische Modellierung einzubeziehen. Für die Stichprobengröße in Mehrebenanalysen existieren differenzierte Empfehlungen für die jeweiligen Stichprobenparameter (Anzahl an Therapeuten und die Anzahl an Patienten pro Therapeut), um Unterschiede der Therapeuten in ihrem Einfluss auf den Therapieerfolg zuverlässig zu untersuchen [3].


#

Merkmale erfolgreicher Psychotherapeuten

Studien basierend auf varianzanalytischen Designs sowie Mehrebenenanalysen belegten die Bedeutsamkeit von interpersonalen und kommunikativen Fähigkeiten für das Therapieergebnis. Dabei spielen die verbale Ausdruckskraft, das Zeigen von Emotionen, Überzeugungskraft, Vermitteln von Hoffnung, Empathie und Wärme bei gleichzeitiger Problemfokussierung eine wichtige Rolle [1]. Studien der zweiten Generation konnten basierend auf Mehrebenenanalysen und optimierten Stichprobengrößen folgende Merkmale für erfolgreiche Psychotherapeuten identifizieren:

  1. Professioneller Selbstzweifel & Überzeugung bzgl. Wirksamkeit: In einer Studie konnte ein positiver Zusammenhang zwischen einer professionellen, kritischen Haltung sich selbst als Psychotherapeut gegenüber und dem Therapieergebnis der Patienten belegt werden [4]. Dies bedeutet, dass sich erfolgreiche Psychotherapeuten in ihrer beruflichen Rolle reflektieren und in der Lage sind den therapeutischen Prozess kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig zeigte die Forschung, dass sich eine prinzipiell positive Überzeugung und Einstellung bezüglich der Wirksamkeit des eigenen therapeutischen Vorgehens positiv auf das Therapieergebnis auswirkt [2].

  2. Resilienz & Achtsamkeit: Ein höherer Grad an Resilienz und Achtsamkeit seitens des Psychotherapeuten haben einen positiven Einfluss auf das Therapieergebnis [5] [6].

  3. Therapeutische Beziehung: Studien deuten darauf hin, dass einige Psychotherapeuten die Fähigkeit haben zu vielen verschiedenen Patienten eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen, was mit einem positiven Therapieergebnis assoziiert ist [1].


#

Wie kann die Effektivität von Psychotherapeuten in der klinischen Praxis gesteigert werden?

Die Erkenntnis, dass Psychotherapeuten tendenziell negative Entwicklungen im Therapieverlauf unterschätzen führte zu einer Forschungstradition, welche auf routinemäßigen Erhebungen im Therapieverlauf beruht und Veränderungsmuster (z. B. Symptombelastung, interpersonale Belastung usw.) unmittelbar via Feedback an Psychotherapeuten rückmeldet [7]. Weitere Forschungsergebnisse in diesem Kontext zeigen, dass eine zusätzliche Steigerung der Effektivität durch den Einsatz von Warnsignalen erreicht werden kann. In der Praxis bedeutet dies, dass Psychotherapeuten dann ein Warnsignal erhalten, wenn Indikatoren anzeigen, dass sich ein Patient negativ entwickelt. Dies eröffnet den Behandlern die Möglichkeit negative Verläufe frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen [2]. Neuere Feedbacksysteme bieten Psychotherapeuten neben Warnsignalen auch Vorschläge zur Verbesserung ihrer therapeutischen Kompetenzen an [1] [2].

Die Reform der Psychotherapeutenausbildung, welche am 26. September 2019 vom Bundestag beschlossen wurde, führt neben Veränderungen in der Ausbildung von jungen Psychotherapeuten auch zu einer Reform der Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie in Deutschland. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist aktuell beauftragt, eine Qualitätssicherung zu entwickeln, welche das Antrags- und Gutachterverfahren ersetzen soll. Wichtig ist nun eine einfache Implementierung der oben beschriebenen Qualitätssicherungs- und Feedbacksysteme in die klinische Praxis und Routineversorgung, damit dieses Unterfangen gelingen kann [2].

Fazit für die Praxis

Psychotherapeuten unterscheiden sich in Bezug auf ihre Effektivität. Gleichzeitig unterschätzen tendenziell alle Therapeuten negative Entwicklungen im Therapieverlauf. Moderne Feedbacksysteme können diese frühzeitig identifizieren und an Therapeuten rückmelden wodurch eine Behandlungsanpassung möglich wird. Durch die Reform des Psychotherapeutengesetztes werden zukünftig Qualitätssicherungs- und Feedbacksysteme in die klinische Praxis und Routineversorgung eingehen.


#

Publication History

Article published online:
03 December 2020

© 2020. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 Wampold B, Baldwin S, grosse Holtforth M, Imel Z. What characterizes effective therapists?. In: Castonguay LG, Hill C eds How and Why are some therapists better than others? Understanding therapist effects. Washington, DC: American Psychological Association; 2017: 37-53 DOI: 10.1037/0000034-003
  • 2 Lutz W, Neu R, Rubel J. Evaluation und Effekterfassung in der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe; 2019
  • 3 Schiefele AK, Lutz W, Barkham M. et al. Reliability of therapist effects in practice-based psychotherapy research: A guide for the planning of future studies. Administration and policy in mental health and mental health services research 2017; 44: 598-613 DOI: eds10.1007/s10488-016-0736-3.
  • 4 Nissen-Lie HA, Rønnestad MH, Høglend PA. et al. Love yourself as a person, doubt yourself as a therapist?. Clinical Psychology and Psychotherpy 2017; 24: 48-60 DOI: 10.1002/cpp.1977.
  • 5 Delgadillo J, Saxon D, Barkham M. Associations between therapists’ occupational burnout and their patients’ depression and anxiety treatment outcomes. Depress Anxiety 2018; 35: 844-850 doi:10.1002/da.22766
  • 6 Pereira JA, Barkham M, Kellett S. et al. The role of practitioner resilience and mindfulness in effective practice: A practice-based feasibility study. Administration and Policy in Mental Health and Mental Health Services Research 2017; 44: 691-704 DOI: 10.1007/s10488-016-0747-0.
  • 7 Lutz W, de Jong K, Rubel J, Delgadillo J. Measuring, Predicting and Tracking Change in Psychotherapy. In: Barkham M, Lutz W, Castonguay LG eds Bergin and Garfield’s Handbook of Psychotherapy and Behavior Change 7th ed. New York, NY: Wiley; 2021