Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2020; 27(05): 211-212
DOI: 10.1055/a-1231-3258
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Unn Klare
1   Behnkenhagen
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Publication Date:
26 October 2020 (online)

Litschikonsum als Ursache für Enzephalitis

Das Akute Enzephalitis Syndrom (AES) fasst ein Krankheitsbild zusammen, das durch akut einsetzendes Fieber, eine Änderung des mentalen Zustands (z. B. Unfähigkeit zu Sprechen, Verwirrtheit, Delirium oder Koma) und/oder Krampfanfälle (Fieberkrämpfe außer Acht lassend) gekennzeichnet ist. Jedes Jahr fordert es in Indien und benachbarten Staaten Hunderte Todesopfer, vor allem bei den unter 16-Jährigen.

Die Liste möglicher Ursachen ist lang und die medizinische Ausstattung in den betroffenen Gebieten oft dürftig. So bleibt die Ätiologie der einzelnen Ausbrüche häufig ungeklärt, was eine erfolgreiche Therapie der Betroffenen natürlich erschwert. Zu den bestätigten Ursachen zählen vor allem das Japanische-Enzephalitis-Virus und durch kontaminiertes Trinkwasser übertragene Enteroviren. Darüber hinaus werden auch verschiedene andere Viren, Toxoplasmose, Leptospirose, klassisches Fleckfieber, das Tsutsugamushi-Fieber, Pilzinfektionen, Hitzschläge und Vergiftungen durch Pestizide als saisonal auftretende Ursachen diskutiert.

In den letzten Jahren verdichteten sich jedoch die Hinweise [1], [2] darauf, dass zumindest in den Regionen, in denen Litschibäume angepflanzt werden, tatsächlich noch eine andere Ursache entscheidend ist. Betroffen sind hier vor allem unterernährte Kinder. Bei ihnen werden die Enzephalitisfälle durch eine fehlende Abendmahlzeit zusammen mit dem Konsum von Litschifrüchten hervorgerufen: Die Kinder erwachen morgens nach einer Hungerperiode mit einer Hypoglykämie, haben aber kaum Glykogen gespeichert. Normalerweise setzen nun Gluconeogenese und – um die hierfür erforderliche Energie bereitzustellen – die β-Oxidation der Fettsäuren ein. Diese Fettsäureoxidation wird allerdings durch 2 Substanzen (Hypoglycin A und Methylen-Cyclo-Propyl-Glycin) blockiert, die in Litschis enthalten sind. Somit kann die Hypoglykämie nicht korrigiert werden und es kommt zur Enzephalitis, die bei etwa einem Drittel der Betroffenen innerhalb weniger Stunden zum Tod führt.

In Muzaffarpur beispielsweise, einem Distrikt im nordindischen Bundesstaat Bihar, in dem Litschiplantagen eine wichtige Einkommensquelle darstellen, werden alljährlich zur Erntezeit im Juni solche Ausbrüche beobachtet. Vergangenes Jahr wurden dabei über 200 Todesfälle registriert. Dieses Jahr dagegen waren es nur 9. Es bleibt zu hoffen, dass diese Veränderung der Fallzahlen nicht nur auf Monitoringslücken aufgrund der COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, sondern dass die Erkenntnisse über die Ursachen der Erkrankung sich in der Region verbreiten und so die Zahl der Todesfälle tatsächlich sinkt. Denn zum einen können informierte Eltern besser auf die Ernährung ihrer Kinder achten und zum anderen sind behandelnde Ärzte mit dem Wissen um die Ätiologie der Krankheit in der Lage, die Kinder durch eine frühzeitige Infusion von 10-prozentiger Dextroselösung zu retten.

 
  • Literatur

  • 1 Sarkar A, Datta D, Datta SK. et al Acute encephalopathy in children in Muzaffarpur, India: a review of aetiopathogenesis. Trans R Soc Trop Med Hyg 2020; 114: 704-711
  • 2 Shrivastava A, Kumar A, Thomas JD. et al Association of acute toxic encephalopathy with litchi consumption in an outbreak in Muzaffarpur, India, 2014: a case-control study. Lancet Glob Health 2017; 5: e458-e466
  • 3 Sridhar S, Yip CC, Wu S. et al Transmission of rat hepatitis E virus infection to humans in Hong Kong: a clinical and epidemiological analysis. Hepatology 2020 Jan 20 [online ahead of print]