Allgemeine Homöopathische Zeitung 2020; 265(06): 4-5
DOI: 10.1055/a-1272-6212
Editorial

Schlaflos in die Zukunft?

Nun neigt sich ein sehr ungewöhnliches Jahr langsam seinem Ende zu. Beim Schreiben dieser Zeilen höre ich draußen die Kraniche gen Süden ziehen, während unsere soziale und physische Mobilität immer weiter eingeschränkt wird, um einem Virus die Ausbreitung zu erschweren. Die Angst vor dem Infekt war das bestimmende Thema des letzten Jahres, und Restriktionen, die viele noch bis vor Kurzem für undenkbar hielten, sind nun eine Selbstverständlichkeit geworden. Dabei sind der Umgang mit und die Diskussion über Covid-19 auch ein Spiegelbild gesellschaftlicher und medizinischer Entwicklungen, in denen sich das Blickfeld nach und nach verengt und schließlich Spezialisten zu Meinungsbildnern werden.

Der integrative Blick auf das Ganze hingegen scheint immer mehr in den Hintergrund zu treten. So beschäftigen wir uns mit den Risiken, dass ein Virus in uns hineingelangen kann, wir im Wortsinne „in-fiziert“ werden, aber nicht, wie wir angesichts dieser Bedrohung gesünder leben könnten und unsere Abwehrkräfte stärken. Dies wäre vor allem deshalb bedeutsam, weil gerade die meisten schweren Verläufe und Todesfälle bei multimorbiden oder zumindest oft bei durch eine zivilisationsbedingte, nicht gesundheitsfördernde Lebensweise vorgeschädigte Menschen auftreten. Hier könnte neben der direkten Behandlung von Infektionskrankheiten eine wichtige Rolle der Homöopathie darin bestehen, unsere Patienten in ihrer Lebenskraft zu stärken und sie mit Hilfe unserer Behandlung widerstandsfähiger zu machen.

Viel problematischer scheint aber, dass der Fokus nur noch auf Infektvermeidung gelegt wird und die Auswirkungen des Umgangs mit der Pandemie auf andere Lebensbereiche in den Hintergrund geschoben werden. Neben den Folgen durch aus Angst nicht durchgeführten, aber eigentlich notwendigen medizinischen Behandlungen werden gerade die psychischen Auswirkungen für immer mehr Menschen in unserem Land schwerer zu ertragen, denn soziale Isolation und eine Zunahme von Ängsten stellen oftmals eine große Belastung dar. Der regulierende soziale Austausch fehlt, und Einsamkeit ist in diesem Jahr für viele zu einem beklemmenden Faktum geworden. In einer Zeit, in der die Angst vor dem Anderen zunimmt und „Social Distancing“ zur Etikette wird, ist das vielgepredigte „Wir rücken näher zusammen“ im günstigsten Falle ein schlechtes virtuelles Surrogat und andernfalls ein zynischer Euphemismus, der direkt in die nächste depressive Krise bis hin zu den häufiger gewordenen Versuchen, diesem Leben in Einsamkeit ein Ende zu setzen, führen kann. Hier wäre ebenfalls eine integrative Perspektive wünschenswert, die neben dem Infektionsschutz auch die psychische und soziale Not vieler Menschen unter den aktuellen Bedingungen besser erkennt und zu lindern versucht. Vielleicht gelingt es uns ja, den Blick wieder zu weiten und in den kommenden Monaten bewusster zu schauen, wie wir Risiken gegenüber der Sehnsucht und Notwendigkeit nach Begegnungen und Berührung abwägen, die Maske der Angst fallen lassen und unseren Mitmenschen mit Umsicht und einem offenen helfenden Lachen begegnen können.

In diesem Heft würdigen wir noch einmal die 30-jährige Tätigkeit für die Homöopathie von Professor Robert Jütte als Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin (IGM) der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, der dieses Jahr in den Ruhestand gegangen ist, in einem Gespräch mit Michael Teut.

Otto Ziehaus zeigt an einer Fallgeschichte verschiedene Wege der Arzneifindung bei einer Patientin mit essenziellem Tremor bei einem Trauma in der Vorgeschichte auf. Hier wird abermals der Wert lange zurückliegender Erfahrungen, die längst bewältigt zu sein scheinen und die doch pathogenetisch wirksam sind, in besonderer Weise deutlich.

In dem Themenschwerpunkt „Schlafstörungen“ findet sich nach vielen Jahren wieder einmal ein Übersichtsartikel über die Behandlungsstrategien bei Insomnien von Ulrich Koch. Hierbei werden einige wichtige und häufige Arzneien kurz vorgestellt und flankierende Maßnahmen aufgezeigt. Als zweiter Artikel von Ulrich Koch folgt ein neues Arzneimittelporträt von Withania somnifera, der Schlafbeere, einem bisher v. a. in der traditionellen indischen Medizin verwendeten Nachtschattengewächs. Dessen ausgleichende und schlaffördernde Eigenschaften haben diese Pflanze dort zu einem bedeutenden Phytopharmakon werden lassen. In dem Arzneimittelporträt werden 3 aktuelle Prüfungen aus den letzten Jahren zusammengefasst.

Nachdem sich dieses Jahr das Herausgeberteam bereits durch den Tod von Gerhard Bleul verkleinert hat, entschied sich nun Michael Teut, mit Ende des Jahres seine Mitarbeit als Herausgeber der AHZ zu beenden, um sich neuen Herausforderungen zu stellen. Wir danken ihm sehr für sein langjähriges Engagement für unsere Zeitschrift und seine stets differenzierten Beiträge und die vielen kritischen, aber immer konstruktiven Diskussionen in unserem Team. Wir werden ihn sehr vermissen und hoffen, auch weiterhin gelegentlich einen Beitrag von ihm mit unserer Leserschaft teilen zu dürfen.

Wir hoffen, dass Sie beim Lesen die gleiche Freude und Inspiration empfinden wie unser Herausgeberteam beim Zusammentragen bzw. Editieren von Informationen und Texten sowie beim Austausch mit unserer Leserschaft. Kommen Sie gut und gesund ins kommende Jahr!

Ulrich Koch

Abschied von Herausgeber Dr. med. Michael Teut
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 10 Jahren Herausgeberschaft in der AHZ möchte ich mich von Ihnen in der Rolle des Herausgebers verabschieden. Es hat mir große Freude gemacht, in der AHZ neue Akzente zu setzen, Autoren und interessante Beiträge zu erfragen und auf diese Art und Weise die Weiterentwicklung der Homöopathie in Deutschland über eine Dekade mitzugestalten. Besondere Freude haben mir die Interviews mit Kollegen bereitet. Auch in dieser Ausgabe finden Sie ein Interview von mir mit Herrn Prof. Robert Jütte. Bedanken möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit bei Frau Elsasser und Frau Schimmer vom Thieme Verlag, meinen Mit-HerausgerberInnen und vor allem bei allen AutorInnen, die ich über die Jahre begleiten durfte. Nach einer Dekade macht es für mich Sinn, meinen Fokus auf andere Themen zu richten. Meinen NachfolgerInnen wünsche ich alles Gute.


Mit herzlichen Grüßen


Michael Teut



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Article published online:
23 November 2020

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