Osteologie 2021; 30(01): 105
DOI: 10.1055/a-1341-5025
Gesellschaftsnachrichten
Informationen der Arbeitsgemeinschaft Knochentumoren e. V.

Chordom-Zellkulturmodelle: Tumorheterogenität in vitro

Kevin Mellert
Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Ulm
› Author Affiliations

Als wahrscheinlichster Ursprung von Chordomen gelten verbleibende Reste der Chorda dorsalis, eine Vermutung, die nicht zuletzt auf den messbar hohen Mengen an kernlokalisiertem Brachyury (Protein, codiert durch das T- oder auch TBXT-Gen) beruht, welche die überwiegende Anzahl dieser seltenen Tumoren und die Chorda dorsalis gemeinsam aufweisen. Abgesehen von dieser Gemeinsamkeit findet man bei Chordomen jedoch eine starke Heterogenität, sowohl bezogen auf die Tumorlokalisation als auch auf histologischer und molekularbiologischer Ebene. Chordome finden sich entlang der Wirbelsäule mit den Prädispositionsstellen Clivus und Os sacrum [1]. Extraaxiale Chordome sind äußerst selten, und ihre Beschreibung ist auf wenige Fallberichte beschränkt [2], [3]. Vergleichende Untersuchungen zwischen Chordomen der häufigsten Lokalisationen ergaben in einer Kohorte von 43 Patienten, dass Clivus-Chordome bei Diagnosestellung signifikant kleiner und die Patienten durchschnittlich jünger sind als bei Sakrum-Chordomen [4]. Dies ist zum Teil dadurch erklärbar, dass Tumoren im Bereich der Schädelbasis früher symptomatisch werden. Auffällig war jedoch, dass Clivus-Chordome seltener rezidivierten, obwohl R0-Resektionen aufgrund der Lokalisation oft nicht möglich waren. Um molekularbiologische Basisforschung betreiben zu können, muss also auch bei Zellkulturmodellen darauf geachtet werden, dass die untersuchten Zelllinien nicht aus verschiedenen Tumorlokalisationen stammen. Eine vergleichende Expressionsstudie von 3 Chordomzelllinien clivalen Ursprungs und 9 Linien, die aus sakralen Chordomen etabliert wurden, zeigte, dass diese beiden Gruppen signifikante Expressionsunterschiede in mehr als 4500 Genen aufweisen. Unter anderem waren darunter einige Vertreter der HOX-Genfamilie zu finden, Gene, die spezifische Expressionsmuster während der axialen Embryonalentwicklung zeigen. Diese Unterschiede konnten in archiviertem Patientenmaterial auf Proteinebene bestätigt werden [4].

Lokalisationsunabhängig können Chordome in konventionelle Chordome mit notochordalem (not otherwise specified; NOS) oder chondroidem Erscheinungsbild (IDC-O 9370/3) und dedifferenzierte Chordome (IDC-O 9372/3) klassifiziert werden. Als neueste Subgruppe gelten die niedrig differenzierten Chordome (ebenfalls IDC-O 9370/3), welche sich unter anderem durch den Verlust von SMARCB1 (INI1) auszeichnen und von besonderem Interesse sind, da sie gehäuft in Kindern und jungen Erwachsenen auftreten [5], [6]. Interessanterweise stammen die meisten Zelllinien bislang aus notochordal anmutenden, konventionellen Chordomen (NOS) älterer Patienten, was molekular- und zellbiologische Vergleichsuntersuchungen dieser Subtypen erschwert.

Neben Unterschieden in der Lokalisation und des histologischen Erscheinungsbildes der Tumoren scheint ebenfalls der Progressionsstatus des Chordoms für tiefergehende Studien wesentlich zu sein. So konnte in einem intrapersonellen Modell gezeigt werden, dass sich Zelllinien aus demselben Patienten in Abhängigkeit davon unterscheiden, ob sie aus dem Primärtumor (U-CH17P) oder aus Metastasen (U-CH17S/U-CH17M) etabliert wurden. Wesentliche Unterschiede wurden auf genomischer Ebene, der Expression einer Vielzahl von Genen, der Proliferationsgeschwindigkeit in Abhängigkeit von Zelldichten und der Überlebensfähigkeit als schwimmende Sphäroide gefunden [7].

Die Ergebnisse der genannten Studien zeigen deutlich, dass trotz der Seltenheit dieser Erkrankung die Heterogenität der Chordome eine Vielzahl verschiedener Zelllinien diktiert, um funktionelle Mechanismen der unterschiedlichen Subgruppen erkennen zu können, die wiederum Ansatzpunkt für zielgerichtete Therapien darstellen können.



Publication History

Article published online:
05 March 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

 
  • Literatur

  • 1 McMaster ML, Goldstein AM, Bromley CM. et al. Chordoma: Incidence and survival patterns in the United States, 1973-1995. Cancer Causes Control CCC 2001; Jan; 12 (01) : 1-11.
  • 2 Evans S, Khan Z, Jeys L. et al. Extra-axial chordomas. Ann R Coll Surg Engl 2016; May; 98 (05) : 324-328.
  • 3 Holley C, Breining T, Scheithauer M. et al. Primäres extraaxiales chondroides Chordom des anterioren Nasenseptums: Fallbericht eines seltenen Chordoms mit Literaturübersicht. Hno. 2020 Oct 23. DOI: 10.1007/s00106-020-00957-3
  • 4 Jager D, Barth TFE, Bruderlein S. et al. HOXA7, HOXA9, and HOXA10 are differentially expressed in clival and sacral chordomas,. Sci Rep 2017; May 17; 7 (01) : 2032.
  • 5 Mobley BC, McKenney JK, Bangs CD. et al. Loss of SMARCB1/INI1 expression in poorly differentiated chordomas. Acta Neuropathol 2010; Dec; 120 (06) : 745-753.
  • 6 Cha YJ, Hong CK, Kim DS. et al. Poorly differentiated chordoma with loss of SMARCB1/INI1 expression in pediatric patients: A report of two cases and review of the literature.. Neuropathol Off J Jpn Soc Neuropathol 2018; Feb; 38 (01) : 47-53.
  • 7 Jäger D, Lechel A, Tharehalli U. et al. U-CH17P, -M and -S, a new cell culture system for tumor diversity and progression in chordoma. Int J Cancer. 2018 142. 7: 1369-1378. DOI: 10.1002/ijc.31161