PiD - Psychotherapie im Dialog 2022; 23(01): 13-14
DOI: 10.1055/a-1477-1301
Editorial

Essen in Zeiten der Pandemie – und überhaupt

Silke Wiegand-Grefe
,
Alexandra Zaby
,
Barbara Stein

Essen in Zeiten der Pandemie – und überhaupt

Als wir uns im Herausgeberteam darüber ausgetauscht haben, welchen Schwerpunkt wir mit dem diesjährigen Heft über Essstörungen setzen möchten, waren wir uns schnell einig: Es soll einmal nicht – zumindest nicht schwerpunktmäßig – um die vergleichsweise häufiger beachteten Essstörungen Anorexie und Bulimie gehen, sondern wir möchten uns gerade mit denjenigen beschäftigen, die nicht so oft im Fokus der Aufmerksamkeit stehen: Adipositas und Binge Eating.

Aus Scham? Weil Übergewicht in unserer Gesellschaft nicht sexy ist?

Wir sind mit Marius Müller-Westernhagen aufgewachsen und haben ihn noch im Ohr, der sang: „Bin ich froh, dass ich kein Dicker bin, denn dick sein ist ’ne Quälerei …“ und andere unschöne Ausdrucksweisen und Reime über übergewichtige Menschen. Ob so ein Song heute noch denkbar wäre?

Adipositas und Binge Eating im Fokus

Als Herausgeberinnen haben wir uns also entschieden, nach einem Einführungsbeitrag, der das gesamte Feld beleuchtet, uns insbesondere mit Adipositas und Binge Eating zu beschäftigen.

In Pandemiezeiten liegt das nahe. Die Pandemie zwingt uns zu Homeoffice und Homeschooling, schränkt unsere Sport- und Freizeitaktivitäten ein oder verhinderte sie gänzlich, führt zu geschlossenen Restaurants und heruntergefahrenen kulturellen Aktivitäten. Mehr oder weniger nach wie vor – seit nunmehr fast 2 Jahren. Selten vorher waren wir so ins häusliche Umfeld gezwungen: in die Nähe von Kühlschrank und Schlabberlook, unter dem man das eine oder andere zugenommene Kilo sowieso nicht sieht. Mit einer hohen Anforderung an Struktur und Kultur, im Homeoffice eben nicht öfter an den Kühlschrank zu gehen, im Stress zwischen allen Anforderungen eben nicht Fast Food und Lieferdienste zu beanspruchen, sondern sich gesund zu ernähren und für Bewegung zu sorgen – unter Pandemiebedingungen eine riesige Herausforderung.


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Über- und Einblicke

Zurück zu unserem Heft: In einen State-of-the-Art Beitrag machen uns Ulrich Voderholzer und Tabea Baumann mit den neuen Entwicklungen im Bereich der Essstörungen vertraut. Die Herausforderungen von Psychotherapie mit an Adipositas Erkrankten bringen uns Eva-Maria Skoda, Hanna Dinse und Martin Teufel näher. Friederike Barthels macht uns mit orthorektischem Ernährungsverhalten vertraut und schildert fallorientiert dieses vergleichsweise neue Störungsbild.

Barbara Mangweth-Matzek beschäftigt sich mit Gender und Essstörungen und geht der Frage nach, welche Prävalenzen, aber auch welche therapeutischen und diagnostischen Besonderheiten und Herausforderungen Essstörungen bei Männern im Unterschied zu Frauen haben.

Neuere Überlegungen zur Familiendynamik und Familientherapie bei Anorexie und Bulimie stellt Günter Reich dar.

Auch aktuelle und moderne Psychotherapiemethoden kommen in unserem Heft nicht zu kurz: Multifamilientherapie bei Essstörungen am Beispiel der Bulimia nervosa schildern Bernhild Pfautsch und Matthias Ochs. Mit Körperbildstörungen und körperbezogenen Therapieansätzen bei Essstörungen beschäftigen sich Silja Vocks, Julia Tanck und Anika Bauer. An ihren Erfahrungen mit einer Langzeit-Elterngruppe bei Jugendlichen mit Anorexia nervosa lassen uns Miriam-Janine Nagel und Inga Wermuth teilhaben. Gruppenprozesse in Einrichtungen für Menschen mit Essstörung schildern Eva Wunderer, Lisa Bauer, Theresa Dunkel, Bianka Simonis, Mira Groll und Theresa Reichhold. Burkard Jäger schließlich beschreibt Acht Thesen zur Behandlung der Bulimie.

Digitalisierung ist aus der Psychotherapie nicht mehr wegzudenken. Moderne und aktuelle digitale Psychotherapieansätze zur Behandlung der Binge-Eating-Störung stellen Melissa-Claire Daugelat, Kathrin Schag und Katrin Giel vor.

Bei Adipositas spielen chirurgische Eingriffe eine besondere und maßgebliche Rolle. Vor deren Durchführung muss Vieles beachtet werden – auf die Herausforderungen einer psychosozialen Stellungnahme machen uns Astrid Müller und Hinrich Köhler aufmerksam.

In unserem Heft wollten wir auch aktuellen Forschungen einen Raum geben. Ergebnisse der der BELLA-Kohortenstudie über Essstörungssymptome bei Kindern und Jugendlichen stellen uns Anne Kaman, Ann-Kathrin Napp, Martha Gilbert, Beate Herpertz-Dahlmann und Ulrike Ravens-Sieberer vor.

Über den Tellerrand lassen uns Eva Wunderer, Frida Hierl und Maya Götz blicken, und zwar unter der Perspektive des Einflusses sozialer Medien auf Körperbild, Essverhalten und Essstörungen.

Und Impulse für Psychotherapeut*innen zum Gesundheitsverhalten in Bezug auf Kinderernährung geben die renommierten Ernährungswissenschaftler Hermann Kalhoff und Mathilde Kersting in Zusammenarbeit mit dem Kinderarzt Thomas Lücke.

Im Prozess des Heftes waren wir zwischendurch in Sorge, ob das Heft auch gut genug gefüllt ist, um dann im weiteren Verlauf festzustellen, dass es eher recht umfangreich wird – mitten im Thema eben.

Uns hat die Erstellung dieses Heftes Spaß gemacht – wir wünschen Ihnen ein genussvolles Konsumieren.

Silke Wiegand-Grefe
Alexandra Zaby
Barbara Stein


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Publication History

Article published online:
18 February 2022

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