Arthritis und Rheuma 2021; 41(05): 311-312
DOI: 10.1055/a-1489-1591
Editorial

arthritis + rheuma – Zeitschrift für Orthopädie und Rheumatologie

Christoph Fiehn
,
Xenofon Baraliakos

Die Macht des frühen Erkennens und Handelns

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Prof. Dr. Christoph Fiehn
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Dr. Xenofon Baraliakos

Die Entwicklung der Rheumatologie hat bewirkt, dass wir heutzutage bei fast allen entzündlichen Systemerkrankungen eine Auswahl an effektiven und sicheren Therapien zur Verfügung haben. Moderne Therapiestrategien sind dazu da diese Möglichkeiten unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit so zu nutzen, dass Patient*innen möglichst rasch die volle Lebensqualität erlangen und gleichzeitig dauerhafte Schädigungen von Organen vermieden werden.

Dabei steht den Ärzt*innen ein Werkzeug zur Verfügung, welches in der Effektivität und prognostischen Bedeutung alle anderen überragt: die frühe Diagnose und Therapie. Sie ist integraler Bestandteil aller moderner Therapiestrategien.

Die frühe Diagnose ist ein hochwirksamer und gleichzeitig einfacher Ansatz, um den Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen. Dies trifft für alle rheumatischen Erkrankungen zu, bei denen wirksame Therapieformen existieren. Bei der rheumatoiden Arthritis (RA) wurde dies beispielhaft gezeigt: In einer italienischen Kohorte war ausschließlich die Frühdiagnose und -therapie, nämlich ob in den ersten 12 Wochen nach Erstsymptomen („very early rheumatoid arthritis = VERA“) eine Vorstellung bei der Rheumatologin oder dem Rheumatologen bzw. in den ersten 3 Monaten ein Therapiebeginn mit DMARD erfolgte, prädiktiv für das Erreichen des Therapieziels Remission nach 12 Monaten [1]. Alle anderen bekannten prognostischen Parameter der RA wie ACPA-Positivität, Krankheitsaktivität oder Erosivität bei Diagnosestellung blieben dagegen zurück. Von den Patient*innen, die eine Remission erreichten, benötigten in der VERA-Gruppe zu 10 %, in der Non-VERA-Grupe aber zu 32 % biologische DMARDs.

Die frühe Diagnose und Therapie kommt daher nicht nur den Patient*innen zu Gute, sondern hilft auch dabei die Ressourcen des Gesundheitssystems zu schonen – ablesbar beispielhaft an dem niedrigeren Bedarf an hochpreisigen Medikamenten.

Patient*innen, die früh im Krankheitsverlauf von Rheumatolog*innen gesehen und behandelt werden, verbrauchen bei der Erstvorstellung nicht mehr Ressourcen als wenn sie sich dort erst nach vielen Monaten oder sogar Jahren vorstellen. Gleichzeitig verbessert sich der Verlauf durch die frühe Intervention jedoch so deutlich, dass im weiteren Verlauf Ressourcen wieder für neue Patient*innen frei werden. Im Prinzip trifft dies nicht nur für die RA, sondern letztendlich bei allen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu.

In einem Positionspapier hat sich der Berufsverband der deutschen Rheumatologen (BDRh) daher dazu bekannt, dass der frühe Zugang von Patient*innen zu Rheumatolog*innen und die Therapie nach den Regeln des Treat-to-Target die wichtigsten Prinzipien der ambulanten Versorgung in der Rheumatologie sind. Die organisatorischen und personellen Ressourcen einer ambulanten Einheit sollten daher darauf ausgerichtet sein diese Bedingungen zu erfüllen.

Wir möchten alle rheumatologisch tätigen Ärzt*innen ermutigen, so schwierig die Umsetzung im Alltag manchmal sein kann, die Frühdiagnose und -therapie zu einem Leitgedanken in der täglichen Praxis zu machen.

In dieser Ausgabe der arthritis + rheuma möchten wir uns der Frühdiagnose und -therapie bei den verschiedenen rheumatologischen Krankheitsbildern widmen.

Markus Zeisbrich und Nils Venhoff aus Freiburg beschreiben dieses Prinzip bei den Großgefäßvaskulitiden, unter denen ja die Riesenzellarteriitis eine Mustererkrankung für einen Notfall in der Rheumatologie darstellt. Hilal Kavruk und Xenofon Baraliakos aus Herne erläutern dies bei dem großen Spektrum der Kleingefäßvaskulitiden – Erkrankungen mit einem hohen Potenzial für Organschädigungen bei verzögertem Therapiebeginn. David Kiefer, ebenfalls aus Herne, und Xenofon Baraliakos erklären die Regeln der Frühdiagnose und -therapie bei der axialen Spondyloarthritis, einer Erkrankung, bei der in Deutschland immer noch 5–6 Jahre zwischen Symptombeginn und Diagnose vergehen. Michaela Christenn und Christoph Fiehn aus Baden-Baden führen das Thema bei der RA aus und gehen auch auf neue Versorgungskonzepte für Frühsprechstunden in der ambulanten Rheumatologie ein. Schließlich behandeln Stefan Weiner aus Trier und Rüdiger Waldherr aus Heidelberg das Thema der Nierenbiopsie beim systemischen Lupus erythematodes (SLE), welches eng mit der Frühdiagnose und dem Nachweis von frühen und potenziell reversiblen versus späten und irreversiblen Veränderungen der Organmanifestation Nephritis zusammenhängt.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß und Erkenntnis beim Lesen

Ihre

Prof. Dr. med. Christoph Fiehn, Baden-Baden

Prof. Dr. med. Xenofon Baraliakos, Herne



Publication History

Article published online:
11 October 2021

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  • Literatur

  • 1 Gremese E, Salaffi F, Bosello SL. et al Very early rheumatoid arthritis as a predictor of remission: a multicenter real life prospective study. Ann Rheum Dis 2013; 72: 858-862
  • 2 Fiehn C, Baraliakos X, Edelmann E. et al Aktueller Stand, Ziele und Qualitätsstandards der ambulanten Versorgung in der Rheumatologie: Positionspapier des Berufsverbandes der deutschen Rheumatologen (BDRh). Z Rheumatol 2020; 79: 770-779