Zusammenfassung
Zahlreiche Studien belegen, dass die Vagusnervstimulation (VNS) eine effiziente indirekte
neuromodulatorische Therapie mit intermittierend appliziertem elektrischen Strom darstellt
für die medikamentös therapierefraktäre Epilepsie, die nicht epilepsiechirurgisch
interveniert werden kann, und die medikamentös therapierefraktäre Depression. Bei
der VNS handelt es sich um eine etablierte, Evidenz basierte und in der Langzeitbetrachtung
kosteneffektive Therapie in einem interdisziplinären Gesamtkonzept.
Es existieren Langzeitdaten zu Sicherheit und Verträglichkeit der Methode trotz großer
Heterogenität der Patientenkollektive. Stimulationsbedingte Nebenwirkungen wie Heiserkeit,
Parästhesien, Husten, Dyspnoe sind abhängig von der Stimulationsstärke und häufig
mit fortschreitender Therapiedauer in den Folgejahren rückläufig. Stimulationsbezogene
Nebenwirkungen der VNS sind durch Veränderung der Stimulationsparameter gut beeinflussbar.
Insgesamt ist die invasive Vagusnervstimulation als sichere und gut verträgliche Therapieoption
anzusehen.
Für die invasive und transkutane Vagusnervstimulation sind die antiepileptischen und
antidepressiven sowie positive kognitive Effekte belegt. Im Gegensatz zu den Medikamenten
wirkt sich die VNS nicht negativ auf die Kognition aus. Eine verbesserte Lebensqualität
ist in vielen Fällen möglich.
Die iVNS-Therapie hat eine geringe Wahrscheinlichkeit der kompletten Anfallsfreiheit
bei fokaler und genetisch generalisierter Epilepsie. Sie ist als palliative Therapie
anzusehen, dass heisst, sie führt nicht zur Heilung und erfordert die Fortführung
der spezifischen Medikation. Als Wirkprinzip wird eine allgemeine Reduktion neuronaler
Exzitabilität betrachtet. Dieser Effekt stellt sich in einer langsamen Wirksamkeitssteigerung
zum Teil über Jahre ein. Als Responder zählen Patienten mit einer mindestens 50%igen
Reduktion der Anfallshäufigkeit. In Studien zeigt sich zum Teil in 20% der Fälle eine
Anfallsfreiheit. Derzeit ist es nicht möglich, prätherapeutisch/präoperativ zwischen
potentiellen Respondern und Non- Respondern zu differenzieren.
Durch die aktuellen technischen Weiterentwicklungen der VNS zur responsiven VNS Therapy
mit Herzraten-basierter-Anfalls-Erkennung (CBSD) reduziert sich neben der Epilepsie-Anfallsschwere
auch das SUDEP-Risiko (sudden unexpected death in epilepsy patients).
Die iVNS kann ein Schlaf-Apnoe-Syndrom verschlechtern und kann neben der engen Zusammenarbeit
mit den Schlafmedizinern gegebenfalls eine nächtliche Therapiepause (z. B. Tag/Nacht-Programmierung)
erfordern.
In Auswertung der zahlreichen iVNS-Studien der letzten 2 Jahrzehnte zeigten sich vielfältige
positive Effekte auf weitere immunologische, kardiologische und gastroenterologische
Erkrankungen, so dass sich je nach zukünftigen Studienergebnissen zusätzliche Therapieindikationen
erwarten lassen. Aktuell ist die Vagusnervstimulation Gegenstand der Forschung in
den Bereichen der Psychologie, Immunologie, Kardiologie, sowie Schmerz- oder Plastizitätsforschung
mit erhofftem Potenzial zur zukünftigen medizinischen Anwendung.
Neben der invasiven Vagusnervstimulation wurden in den letzten Jahren Geräte zur transdermalen
und somit nicht invasiven Vagusnervstimulation entwickelt. Diese haben nach den derzeit
zur Verfügung stehenden Daten eine etwas geringere Wirksamkeit hinsichtlich der Verminderung
von Anfallsschwere und Anfallsdauer bei der therapierefraktären Epilepsie und eine
etwas geringe Wirksamkeit bei der Verbesserung von Symptomen der Depression. Hierzu
fehlen in vielen Fällen noch Studien, die eine hohe Evidenz der Wirksamkeit nachweisen.
Gleiches gilt für die beschriebenen sonstigen Indikationen wie z. B. Tinnitus, Cephalgien,
Magen-Darm-Beschwerden etc. Ein weiterer Nachteil der transkutanen Vagusnervstimulation
liegt darin, dass die Stimulatoren vom Patienten aktiv angesetzt werden müssen und
somit nur intermittierend wirksam sind, was eine hohe Therapieadhärenz unsicher macht.
Schlüsselwörter
Epilepsie - Depression - Vagusnervstimulation - responsive Vagusnervstimulation -
transkutane Vagusnervstimulation - Lebensqualität - Biomarker - Wirkmechanismus