Allgemeine Homöopathische Zeitung 2022; 267(01): 37-39
DOI: 10.1055/a-1686-0397
Buchbesprechungen

Colocynthis

Jürgen H. Seipel: Colocynthis: Materia medica pura Homoeopathiae. Hainburg/H.: Die alte Schule Hahnemanns; 2019. 399 S., kart., Preis: 48,– €. Nur beim Autor erhältlich: „Die Alten Schulen“, c/o Jürgen Seipel, Krotzenburger Str. 5, 63512 Hainburg/Hessen

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In seinem sehr ausführlichen Vorwort weist der Verfasser darauf hin, dass Colocynthis zu den Arzneien gehört, deren Prüfungssymptomreihen Hahnemann wohl zuerst in einem undatierten handschriftlichen Manuskript, das im Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung liegt, aufgeführt hat. In gedruckter Form hat Hahnemann sie 1821 in seiner 1. Auflage der Reinen Arzneimittellehre [RA] und 1827 in seiner 2. Auflage veröffentlicht (beide Male Band 6) und dabei schon den Umfang der Symptome von 242 auf 251 vermehrt. Schließlich hat er sie 1837 in die 2. Auflage des 3. Teils der Chronischen Krankheiten [CK] mit nunmehr 282 Zeichen übernommen, ohne diese Übernahme zu erklären. Möglicherweise war das Symptom Nr. 245, nämlich „beissendes Jücken hier und da, Abends im Bette, was durch Kratzen nur kurz verscheucht wird …“ Anlass hierzu (s. seine Beschreibung der Krätze auf S. 50 des 1. Teils der Chronischen Krankheiten). Hier finden sich auch einige sog. NB-Symptome (NB=nota bene), das heißt solche, die Hahnemann in seinen Krankenjournalen als geheilte bei seinen Behandlungen markiert und in die CK übernommen hatte.

Wie Seipel erwähnt, hat er in seiner hier vorliegenden, neuen Zusammenstellung nur Symptome aus sicheren Primärquellen aufgeführt. Dies sind neben Hahnemanns Prüfungssymptomen aus den o.g. 4 Quellen viele Zeichen einer österreichischen AMP eines Prüfers namens Arneth sowie solche einer Prüfergruppe um Martin, die 1843 in Noack/Trinks Handbuch der homöopathischen Arzneimittellehre und 1859 in der Homöopathischen Vierteljahrschrift, diesmal mit den Kürzeln der Prüfer, veröffentlicht worden sind. Hinzu kommen einige wenige Prüffragmente.

Auf ein Kopf-zu-Fuß-Schema mit den Gemütssymptomen am Anfang folgen die sog. Allgemeinsymptome, gefolgt von Empfindungen „wie“ oder „als ob“ in Anlehnung an das zweibändige, bislang leider nur in englischer Sprache erschienene „Unabridged Dictionary of the Sensations As If“ von William Ward, schließlich die Modalitäten und am Ende die Aufteilung nach Körperseiten nach dem Modell Bönninghausens.

Die Modalitäten sind, mit den Zeiten am Anfang, alphabetisch aufgeführt und hierbei im Wesentlichen an den Anordnungen in Bönninghausens Therapeutischem Taschenbuch [TB] und Bogers Boenninghausen’s Characteristics and Repertory [BBCR] orientiert; die Besserungen wurden direkt hinter die Verschlechterungen gestellt.

Interessant ist, dass Seipel bei den Modalitäten auch Rubriken übernommen hat, in denen die Arznei gar nicht enthalten ist, wie z. B. „Aneinanderhalten der Teile, agg.“, eine Rubrik des TB mit 2 Arzneien, jedoch ohne Colocynthis (welches aber in den Rubriken „Druck amel.“ und „Berührung amel.“ zu finden ist). Die Anregung hierzu kam von Hering, der in einem Artikel erwähnt, dass er oft darauf schaut, was einem Mittel fehlt: Dieses „Gegenbild hebt das Mittel zuweilen ganz merkwürdig hervor“ (S. 3 des Vorworts).

Diese Rubriken wurden in Magerdruck gehalten, während die Rubriken, die Colocynthis enthalten, in Fettdruck gesetzt sind. Im Falle der Verschiedenheit eines Symptoms in Hahnemanns 3 Druckwerken werden sie untereinandergestellt und mit einem Kreis davor gekennzeichnet. Der Kreis bedeutet, dass dieses Symptom über die 3 Werke hinweg eine Änderung erfahren hat (Näheres S. 391). Neu hinzugekommene Symptome in 2 RA VI und 2 CK III werden durch ein Kreuz gekennzeichnet, solche aus dem Manuskript werden hintangestellt.

Zur besseren Übersicht werden sowohl die erst in die CK aufgenommenen Zeichen als auch die NB-Symptome in einem Anhang A gesondert gelistet. Es ist bekannt, dass Hahnemann die Symptomwortlaute seiner Prüfer redaktionell bearbeitet hat. In dieser Aufstellung von Seipel kann man sehen, dass Hahnemann selbst seine eigenen Nennungen verändert, meist verkürzt oder zusammengefasst, hat.

So ist z. B. beim ersten Symptom der Abteilung Bewusstsein, Sensorium und Schwindel ein Kopfsymptom „wie nach einem geräuschvollen, zechenden Nachtgelage“ in den beiden Auflagen der RA angeführt. In den CK hat Hahnemann das Wort „geräuschvoll“ gestrichen; im Manuskript, sozusagen der Urtext, war es enthalten. Außerdem wurde das „zechende Nachtgelage“ der RA und des Manuskripts in den CK zu einem „nächtlichen Zechgelage“ (S. 36 f.).

Anhang B enthält die Symptome Langhammers, eines Prüfers, der sehr umstritten war aufgrund seiner Konstitution und Krankengeschichte, den aber Constantin Hering sehr schätzte und der sehr akribisch seine Zeichen zu beschreiben wusste.

Anhang C enthält die Symptomenreihe der österreichischen AMP von Arneth, Anhang D jene der Gruppe um Martin, sodass der Leser sich mithilfe der Anhänge ein Bild von den später hinzugekommenen AMPs machen kann. Für viele Symptome sind die genauen Einnahmemengen und Potenzierungen sowie die Einnahmezeiten und die Zeiten des Auftretens der Zeichen genau vermerkt.

Ausführliche Anmerkungen des Autors, ein Begriffsregister, genaue Quellenangaben und eine Zeichenerklärung, die vielleicht besser vor den Symptomen eingeordnet worden wäre, runden das Werk ab.

Fazit: Dieses Buch ist, wie schon Seipels Darstellung der Arzneien Baryta acetica und carbonica aus dem Jahr 2009 (s. meine Rezension in ZKH 2009; 53[2)]: 110), eine vorbildliche Quellenstudie. Besonders die Auflistung der von Auflage zu Auflage inhaltlich geänderten Symptome einer Rubrik, gekennzeichnet mit dem vorangestellten Kreis, ermöglicht dem Leser, die Arbeitsweise Hahnemanns an den Symptomen nachzuverfolgen. Dies zu beachten ist beim Vergleich mit den Patientensymptomen für die Heilmittelwahl von Bedeutung, da eine wörtliche resp. inhaltliche Übereinstimmung notwendig ist.

Für den Praktiker ist die logische und übersichtliche Gliederung des gesamten Bandes, hier v. a. der Modalitäten, eine große Hilfe für das leichte Auffinden eines Symptoms.

Dieses Buch stellt eine Bereicherung meiner Praxisbibliothek dar, und ich wünsche ihm eine weite Verbreitung!

Klaus Holzapfel



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Article published online:
12 January 2022

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