Zeitschrift für Phytotherapie 2022; 43(02): 88
DOI: 10.1055/a-1716-9577
Buchbesprechung

Klostermedizin bei Erkrankungen des Verdauungstraktes

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Dr. Johannes G. Mayer († 2019) hat sich sein gesamtes Berufsleben mit der Epoche der Klostermedizin und der Geschichte der Arzneipflanzen in Europa beschäftigt. Nun liegt posthum ein Lehrbuch vor, das speziell dem Verdauungstrakt gewidmet ist. Fachkundige Unterstützung bekam der Medizin- und Pharmaziehistoriker durch die promovierte Biochemikerin Iris Eisenmann-Tappe, von der die praktischen Teile des Bandes stammen.

Mayer war die Beschäftigung mit der europäischen Tradition ein durchaus ernstes Anliegen, das zeigt bereits der erste von insgesamt fünf Abschnitten des Buches: Nach kurzen Skizzen zur Geschichte der Klostermedizin (S. 18), der Humoralpathologie (S. 24) sowie zur Bedeutung von Verdauung und Ernährung in diesem Kontext (S. 27), werden die wichtigsten Werke und Autoren vom altägyptischen „Papyrus Ebers“ (ca. 1550 v. u. Z.) bis weit ins 16. Jahrhundert kurz vorgestellt (S. 35). Auf die derivativen, aber wichtigen Werke der Spätantike wie die „Medicina Plinii“ oder den Pseudo-Apuleius wird nicht gesondert eingegangen. Der geneigte Leser bekommt auch so ein Bild von der nachhaltigen Wirkung der Schriften von Dioskurides, Plinius (beide 1. Jh.) und Galen (2. Jh.), die eineinhalb Jahrtausende die Medizin und Pharmazie im lateinischen, griechischen und arabischen Sprachraum bestimmen sollten. Dass einige wichtige Werke der Antike erst über Rückübersetzungen aus dem Arabischen im lateinischen Hoch- und Spätmittelalter verfügbar waren, zeigt sich an der Erwähnung von Avicenna und Ibn Butlan sowie des wichtigen Übersetzers Constantinus Africanus (alle aus dem 11. Jh.). Die Riege der Klassiker der Klostermedizin vom „Lorscher Arzneibuch“ (um 800) bis Hildegard von Bingen (Mitte des 12. Jhds.) wird mit Albertus Magnus (13. Jh.) und Konrad von Megenberg (14. Jh.) fortgeführt und mündet in die ersten gedruckten Kräuterbücher (15. Jh.) und die „Väter der Botanik“ (16. Jh.). So sind es insgesamt rund 3000 Jahre Geschichte, vom altägyptischen Papyrus bis hin zum Arzneibuch von Christoph Wirsung (1568), die hier in wesentlichen Stationen behandelt werden und das Fundament der historischen Bezüge darstellen.

Im praktischen Teil (S. 55) werden die Beschwerdebilder des gesamten Verdauungstraktes von Mund und Rachen über Appetitlosigkeit, Leber und Gallenwege, Magen und Refluxbeschwerden, Durchfall und Reizdarm bis hin zu Hämorrhoidalleiden erläutert, wobei immer wieder historische Zitate, Rezepturen und passende Fertigpräparate sowie Tipps zur Patientenberatung eingestreut sind. So findet sich Hildegard von Bingen zur Zahngesundheit ebenso wie Aristoteles, während sich etwas später Benedikt von Nursia über maßvollen Weingenuss äußert und Wirsung über die Leber.

Nach einem weiteren Praxisteil mit Grundrezepten sowie Hinweisen zum Sammeln von Pflanzen und dem Kauf von Zutaten (S. 267) folgen die Heilpflanzenporträts (S. 279), die mit den bekannten Abbildungen aus „Köhler‘s Medizinal-Pflanzen“ (1883–1914) illustriert sind. Ausführlich vorgestellt werden 42 wichtige Pflanzen von Aloe bis Wermut. Historische Anwendungen stehen hier den heute durch Monografien allgemein anerkannten Indikationen gegenüber, genannt werden auch einfache Rezepturen und passende Präparate. Eingerahmt werden die Porträts von wesentlichen Infos zu Botanik, Inhaltsstoffen und Anwendung. Den Abschluss (S. 377) bilden ein ausführliches Verzeichnis mit weiterführender Literatur und ein gegliederter Registerteil.

Wer das vor rund 20 Jahren erstmals erschienene „Handbuch der Klosterheilkunde“ kennt und schätzt, der wird sich auch in diesem Band zum großen Indikationsgebiet Verdauung recht schnell zurechtfinden und das Buch in der Praxis ebenso gerne heranziehen wollen. Hilfreich ist dabei, dass der Band vorrangig an ein Fachpublikum adressiert ist und die genannten Rezepturen und Präparate sich sinnvoll ergänzen. Der interessierte Leser kann tiefer und vor allem fundierter in die Geschichte der historischen Autoren, Werke und Anwendungen eintauchen, als das in Fachbüchern und Ratgebern sonst üblich ist. Geschichte ist hier kein bloßes Ornament oder Feigenblatt, sondern eng mit den modernen Erkenntnissen verzahnt.

Tobias Niedenthal, Würzburg



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Article published online:
26 April 2022

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