Laryngorhinootologie 2022; 101(03): 262-266
DOI: 10.1055/a-1728-8036
OP-Techniken

Eingriffe bei Mittelgesichtsfrakturen

G. Rettinger

Jochbogen-/Jochbeinfraktur

OP-Prinzip

  • Exposition, Reposition und Fixation dislozierter Fragmente des Gesichtsschädels

  • Seltene Alternative: geschlossene Reposition ohne Fixation, z. B. bei singulären, großen Fragmenten

  • Wiederherstellung der Gesichtskontur

  • Behebung bzw. Vorbeugung funktioneller Störungen


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Indikation

  • Nachgewiesene Fraktur mit Fragmentdislokation und korrespondierenden funktionell-ästhetischen Defiziten

  • Trümmerfrakturen, instabile Frakturen

  • Nicht dislozierte Frakturen und Fissuren müssen bei fehlenden Defiziten nicht operativ versorgt werden; eine isolierte Funktionsstörung des N. infraorbitalis stellt ohne weitere Befunde keine gesicherte Indikation dar.

  • Ästhetische Defizite (Abflachung des seitlichen Mittelgesichts, Bulbustiefstand, Enophthalmus, Exophthalmus), tastbare Stufen infraorbital, Narben

  • Funktionelle Störungen: bei einer Beteiligung des Orbitabodens Diplopie, Hypästhesie (Zähne, Oberlippe, Wange), Neuralgien im Bereich des N. infraorbitalis; Schmerzen beim Kauen, bei Mundöffnung und Mundschluss (Interaktion von Proc. coronoideus und Jochbogen)

  • Der Eingriff sollte innerhalb von 8 Tagen nach dem Trauma erfolgen (bei V. a. Einklemmung von Augenmuskeln in Knochenspalte besteht eine unmittelbare Indikation).

  • Eine Versorgung muss ggf. aufgeschoben werden bei einer starken Vorschädigung des Auges, welche ggf. Manipulationen in der Nähe verbieten kann.


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Spezielle Patientenaufklärung

  • Postoperativ Verbleiben oder punktuelle Zunahme funktioneller bzw. ästhetischer Defizite durch intraoperative Verletzungen

  • Kaustörungen, Kieferklemme

  • Intraorbitales Hämatom, Druckschäden an orbitalen Geweben

  • Narben, postoperative Infekte, Ektropium bzw. Entropium

  • Läsion von Ästen des N. facialis

  • Begleitende Fraktur des Orbitabodens (S. 170)


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OP-Planung

  • Augenärztliche Untersuchung

  • Nach akuten Traumata i. A. Abschwellen der Weichteile abwarten, OP nach 3–5 (< 8) Tagen

  • Röntgendiagnostik: hochauflösende Computertomografie (oder DVT) in mehreren (≥ 2) Ebenen


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Anästhesie

Vollnarkose


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Spezielle Instrumente

  • Übliche Instrumente der transfazialen Chirurgie

  • Unterschiedliche Osteosyntheseplatten (Miniplatten) mit Instrumenten zum Anpassen und Schneiden

  • Bohrer, Schraubendreher


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OP-Technik

Geschlossene Reposition einer Fraktur des Jochbogens:

  • Einführen eines Hakens über eine kleine Stichinzision in der Wange (im Verlauf der RSTL, „relaxed skin tension lines“). Platzierung der Hakenspitze unter dem Jochbogen mit seinen Fragmenten. Unter Kontrolle durch Palpation von außen (mit der Gegenhand) werden die eingedrückten Anteile des Jochbogens durch Hakenzug wieder in Stellung gebracht. In der Mehrzahl der Fälle „rasten“ die reponierten Fragmente stabil „ein“.

  • Alternativ erfolgt der Zugang über einen 2,5 cm großen temporalen Hautschnitt, mit dessen Hilfe ein Elevatorium unter der Faszie des M. temporalis medial des Jochbogens platziert werden kann (Zugang nach Gillies). Auf die A. temporalis ist zu achten. Die Fraktur wird unter Kontrolle (durch die Gegenhand) aufgerichtet.

  • Im Einzelfall ist auch eine transorale Reposition über einen Schnitt im Vestibulum oris anzuraten.

  • Gelingt die natürliche Refixation nicht, dann muss der Jochbogen über einen Hautschnitt im Bereich der Schläfe (Anteile einer hemikoronalen Inzision) freigelegt und osteosynthetisch fixiert werden. Dabei muss der Stirnast des N. facialis geschont werden (Präparation unter dem äußeren Blatt der Fascia temporalis kaudal einer gedachten Linie 2 Querfinger kranial des Jochbogens, [Abb. 1]).

  • In besonderen Fällen können die Inzisionen von Haut und Schleimhaut durch einen Einsatz von Endoskopen minimiert werden. Selbstschneidende Schrauben werden dann z. B. durch Stichinzisionen vor Ort gebracht.

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Abb. 1 Prinzip der Versorgung von Jochbeinfrakturen. a Reposition des Jochbeinkörpers über einen Hakenzug durch die Wange. Nach der Exposition folgt die Fixation der Frakturspalte im Bereich der Sutura frontozygomatica und der Margo infraorbitalis. Alternativen zur Schnittführung infraorbital (1) gehen aus [Abb. 2] hervor. Zur Freilegung der Sutura frontozygomatica stehen entweder der Unteraugenbrauen-Randschnitt (2) oder der eher horizontal gelagerte Hautschnitt in einer seitlichen Oberlidhautfalte (3) zur Verfügung. b Schema der „2-Punkt-Fixation“ einer Jochbeinfraktur mit Osteosyntheseplatten. Abdecken einer begleitenden Fraktur des Orbitabodens mit einem Titannetz, welches in seiner optimierten Position durch Schrauben im Bereich der Margo infraorbitalis gehalten wird. c Schema des Zugangs zur Freilegung des Jochbogens über eine hemikoronare Inzision. Die Ebene der Präparation ist rot markiert. Sie trägt dem Verlauf des temporalen Astes des N. facialis Rechnung, indem sie 2 Querfinger oberhalb des Jochbogens unter die Faszie des M. temporalis führt.

Offene Reposition mit Fixation bei einer Fraktur des Jochbeins:

  • Exposition des Frakturspalts im Bereich der Sutura zygomaticofrontalis über einen kleineren Hautschnitt unterhalb der lateralen Augenbraue bzw. über einen superolateralen Lidschnitt (sog. verkürzter Blepharoplastik-Zugang). Der Schnitt im Bereich der Augenbraue wird bis auf den Knochen geführt. Nach einer Blutstillung wird das Periost im Frakturbereich abgeschoben und die Frakturlinie dargestellt.

  • Reposition der Margo infraorbitalis über einen transkutanen oder transkonjunktivalen Zugang am Unterlid. Bevorzugt wird der transkonjunktivale Zugang (S. 170). Sehr häufig muss der Orbitaboden mitversorgt, d. h. reponiert und stabilisiert, werden.

  • Es folgt die Reposition des meist verdrehten Jochbeinkörpers mit einem Haken. Dieser wird via Stichinzision in der Wange unter das laterale Jochbein geführt. Die anschließende Mobilisation und Reposition des Jochbeins benötigen oft einen gewissen Kraftaufwand. Als orientierende Referenz für die ursprüngliche Mittelgesichtsarchitektur dient ggf. eine palpierbare feste Jochbogenwurzel.

  • Im Anschluss werden geeignete Osteosyntheseplatten (Mini-Platten) ausgesucht, modelliert und über die 2 exponierten Frakturspalte gelegt. Auf jeder Seite eines Spaltes müssen mindestens 2 Bohrlöcher zur stabilen Fixation mit Platte und Schrauben verfügbar sein. Die Bohrlöcher werden mit geeigneten Bohraufsätzen vorgebohrt und die Schrauben anschließend eingedreht.

  • Im Allgemeinen genügt für den Jochbeinkörper eine „2-Punkt-Fixation“, d. h. die Versorgung der Bruchspalte am Infraorbitalrand und am lateralen Orbitarand. Die dritte Frakturlinie im Bereich der Crista zytomaticoalveolaris wird nur bei einer relevanten Dislokation separat über eine Schleimhautinzision im Vestibulum oris dargestellt.

  • Nach Stabilisation des Jochbeinkörpers werden im Bedarfsfall Orbitaboden und Orbitaseitenwand versorgt.

  • Abschließend erfolgt ein mehrschichtiger Wundverschluss mit Pflasterverband.

Regeln, Tipps und Tricks
  • Bei der stumpfen Reposition frakturierter Jochbögen kann man ein Geräusch beim „Einrasten“ der Fragmente i. S. einer Erfolgskontrolle nur bei sehr frischen Frakturen erwarten.

  • Eine offene und vollständige Exposition des Jochbogens gelingt mit einem hemikoronalen Zugang ([Abb. 1c]).


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Nachbehandlung

  • Postoperativ werden abschwellende Nasentropfen gegeben.

  • Lokal werden kühle Kompressen aufgelegt.

  • Der Patient erhält eine weiche Kost für 14 Tage. Er soll 2 Wochen nicht schnäuzen und mit offenem Mund niesen.

  • Eine postoperative CT-Röntgenkontrolle ist im Einzelfall ratsam. Bei einer isolierten Jochbogenfraktur kann alternativ auch eine konventionelle Röntgenaufnahme des Gesichtsschädels von unten („Henkeltopf-Aufnahme“) ausgeführt werden.

  • Eine Entfernung von Osteosyntheseplatten ist nach (frühestens) 3 Monaten ratsam.


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Publication History

Article published online:
28 February 2022

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