Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2022; 57(05): 317
DOI: 10.1055/a-1804-0513
Kommentar

Kommentar zu „Hyperthermie nach Herzstillstand: besseres neurologisches Behandlungsergebnis?“

Felix Liebold
,
Jochen Hinkelbein

Seit 2005 empfiehlt der European Resuscitation Council (ERC) die therapeutische Hypothermie nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Übereinstimmenden Studien zufolge verschlechtert jede zeitliche Verzögerung des Targeted Temperature Managements (TTM) das Behandlungsergebnis von Patienten (siehe z. B. [1]). Es erscheint daher nur folgerichtig, eine Hypothermie möglichst früh, z. B. noch vor der Ankunft im Krankenhaus, einzuleiten. Die vorliegende Metaanalyse untersucht den Effekt einer therapeutischen Hypothermie bereits während der kardiopulmonalen Reanimation und im präklinischen Setting. Hier konnte gezeigt werden, dass durch eine prähospital begonnene Hypothermie keine signifikante Verbesserung der Patientensterblichkeit erreicht werden kann, und zwar unabhängig der verwendeten Kühlmethode oder des initial erhobenen EKG-Rhythmus. Eine Anwendung im Rettungsdienst kann entsprechend dieser Analyse nicht standardmäßig für die klinische Routine empfohlen werden. Die neuen Reanimationsleitlinien tragen diesem Umstand bereits Rechnung und raten von einer präklinischen Hypothermie mit gekühlten i. v. Lösungen ab.

Insgesamt fehlen zum TTM bisher konkrete Handlungsempfehlungen im Sinne eines „Best possible care“. Mögliche Applikationsformen reichen von Kühl-Pads und intranasalen Sonden über intravenöse bis hin zu extrakorporalen Systemen. Auch über die angestrebte Körpertemperatur herrscht noch Uneinigkeit und sie sollte entsprechend den Leitlinien zwischen 32 °C und 36 °C liegen [2].

Hier offenbart sich auch ein Problem der vorliegenden Studie. Alle Patienten erhielten nach Ankunft in verschiedenen Krankenhäusern ein unterschiedliches Temperaturmanagement, quasi nach Hausstandard. Im präklinischen Setting kamen zudem mit kalter i. v. Lösung und transnasaler bzw. transkranialer Kühlung 3 verschiedene Applikationsformen zum Einsatz. Letztere wurde nur in einer Studie mit niedriger Fallzahl verwendet. Im Hinblick auf das Patientenkollektiv erfolgte keine Subgruppenanalyse, sodass individuelle Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Ethnie keine Berücksichtigung fanden.

Für den Einzelfall kann also ein positiver Effekt der TTM noch nicht ausgeschlossen werden. Oft sind Patienten allerdings bereits bei Ankunft des Rettungsdienstes leicht unterkühlt, dann ist eine therapeutische Temperatursenkung vermutlich ohnehin obsolet. Denn während die Sinnhaftigkeit einer künstlich herbeigeführten Hypothermie auch nach über 20 Jahren Forschung kontrovers diskutiert wird, herrscht weitgehender Konsens über die Vorzüge einer Normothermie. Zuletzt wurde dies eindrücklich durch die große TTM2-Studie verdeutlicht, die nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand und Ankunft im Krankenhaus eine Normothermie anstrebte und die Wirkung des künstlichen Herunterkühlens nach kardialem Arrest in Frage stellt [3].



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Article published online:
18 May 2022

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