Zeitschrift für Palliativmedizin 2022; 23(03): 133
DOI: 10.1055/a-1804-4597
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Ein Kaleidoskop hilfreicher (Wahl-)Möglichkeiten für eine resonanzbasierte – und damit patientenzentrierte – Medizin

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Eine Krebsdiagnose kann sich für Betroffene und ihre Angehörigen „wie ein Sturz aus der normalen Wirklichkeit“ anfühlen. Die bisherige Wirklichkeitskonstruktion, dass wir morgen noch die gleichen sind wie heute und dass die Welt von morgen noch die gleiche sein wird wie heute, trägt nicht mehr. So stimmen Harrer und Ebell darauf ein, mit welchen existenziellen Themen wir in Berührung kommen können, wenn wir mit schwerkranken und sterbenden Menschen arbeiten. Die erfahrenen Ärzte und Psychotherapeuten laden dazu ein, die eigene Haltung in der Behandlung, Begleitung und Versorgung onkologischer Patient*innen zu beleuchten, neu zu bewerten und die dargestellten Konzepte als (Wahl-)Möglichkeiten eines bedürfnisorientierten und würdezentrierten Handelns auszuprobieren.

Nachdem die Dreiecksbeziehung zwischen Behandler*innen, Patient*innen und der Krankheit mit konstruktivistisch systemischem Blick genauer analysiert wird, bahnen psychologisch etablierte Konzepte, wie das Salutogenese-Modell von Antonovsky oder die resilienzfördernde Ressourcenfokussierung das fünfstufige Pyramidenmodell therapeutisch wirksamer Kommunikation. Das umfassende individuelle Sein, mit den vier emotionalen Grundbedürfnissen nach Bindung, Autonomie, Kompetenz und Orientierung, dient als Ausgangspunkt der Kooperation mit dem individuellen Kranksein. Krankheitsbedingte Verluste und individuell bedeutsame Aspekte von Lebensqualität werden durch die quadrofokale Brille zum beidäugigen Sehen von Problemen und Ressourcen in einer biopsychosoziospirituellen klinischen Praxis sichtbar. Auf der ersten Pyramidenstufe bekommt man ein Gefühl dafür, wie es durch Pacing und Leading gelingen kann Patient*innen im diagnostischen Prozess genau dort abzuholen, wo sie stehen und wie ein guter Rapport im Prozess der Auftragsklärung Halt geben kann. Auf der zweiten Stufe sensibilisieren die Autoren für die Wirkmacht der Sprache und zeigen auf, wie durch hypnosystemische Kommunikation eine Umorientierung von Vermeidungszielen hin zu Annäherungszielen gelingen kann. Die dritte Stufe widmet sich der Entwicklung des Gesamttherapiekonzepts als Ergebnis einer Kooperation und partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Expert*innen. Die einen für Krankheit, Diagnostik und Therapie, die anderen für das eigene Leben und die damit verbundenen Werte, Ziele und Gestaltungswünsche. Das Hypnose-Ritual Was stattdessen? auf der vierten, und die daraus entwicklungsfähigen Selbsthypnose-Elemente auf der fünften Stufe, veranschaulichen die Wirksamkeit zieldienlicher Aufmerksamkeitsfokussierung. Je weiter einen die Autoren in die Ausgestaltung solcher Interventionen mitnehmen, desto klarer wird der Begriff einer resonanzbasierten Medizin, in der die „intersubjektiven Kommunikations- und Beziehungsfaktoren als Kernelemente aller diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen betrachtet werden“. Dazu werden Konzepte wie z. B. das Containing, Elemente aus der Hypnotherapie nach Erickson, systemisch-konstruktivistische Arbeitsmodelle oder narrative Ansätze integriert. Die Auswirkungen unbewusster, unwillkürlich ablaufender, Prozesse rücken damit für die psychoonkologische Begleitung in ein ganz neues Licht. Die achtsame Haltung, das Bemerken, was ist, und sich erinnern, was heilsam ist und hilft, zeigt wie es gelingen kann, einen inneren Beobachter zu kultivieren, der auf Patienten- und Behandlerseite zu Präsenz, Akzeptanz und Disidentifikation mit schmerzhaften oder wenig hilfreichen Seiten des inneren Erlebens beitragen kann. Praxisnah werden die Leser*innen auf den Weg mit der Erkrankung, den Umgang mit Schmerzen, diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und dem damit verbundenen körperlichen oder psychischen Belastungserleben mitgenommen. Die beiden Experten versäumen es nicht, auch auf die Grenzen der Umsetzung einer resonanzbasierten Medizin hinzuweisen. Dennoch ermutigen sie dazu, trotz widriger Umstände, das Mögliche zu probieren und zumindest als Mensch präsent zu sein. Um diesen „geerdeten, zentrierten Zustand von wohlwollender Offenheit nach innen und außen“ zu kultivieren, laden sie dazu ein, ein inneres Team mit beobachtendem Metatherapeuten/Metaarzt als Steuerinstanz zu entwickeln.

Dieses Fachbuch richtet sich in erster Linie an Psychoonkolog*innen und Ärzt*innen der Onkologie. Ich möchte es jedoch allen ans Herz legen, die mit kranken Menschen arbeiten. Man erhält fundierte Antworten auf die wichtige Frage: wie kann ich als Behandler*in menschlich und professionell präsent sein und therapeutisch wirksam kommunizieren? Es liest sich leicht, fast wie von selbst und wirkt dabei tröstlich, ermutigend, inspirierend und berührend. Es veranschaulicht nicht nur hilfreiche Interventionen im Kontext von Krankheit und Sterben, sondern wirbt vor allem für eine Beziehungsorientierung zwischen inneren und äußeren Beteiligten. Die dazugehörigen Komponenten der inter- und intrapersonalen Resonanz, das hypnosystemische Denken und Handeln sowie Elemente der Achtsamkeit ermöglichen eine Haltung, die optimale Voraussetzungen für heilsame mitmenschliche Begegnungen schafft.

Ricarda Scheiner, München



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Article published online:
03 May 2022

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