Aktuelle Urol 2022; 53(06): 508-509
DOI: 10.1055/a-1813-5635
Editorial

Schwerpunkthema Knochengesundheit

Christian Doehn
1   Urologikum Lübeck, Lübeck, Deutschland
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Im aktuellen Heft liegt der Schwerpunkt auf dem Thema Knochengesundheit – und das beim Prostatakarzinom. Eigentlich geht es dabei um Schutz des Knochens, also der Osteoprotektion.

Aber was sind überhaupt die Probleme am Knochen des Patienten mit Prostatakarzinom? Patienten mit einem Prostatakarzinom sind per se in einem Alter, in dem Knochenerweichung einfach vorkommen kann. Hinzu kommen dann noch mögliche Faktoren wie androgendeprivative Therapie (als klarer Risikofaktor für eine Knochenerweichung) sowie auch das Vorliegen von Knochenmetastasen. Alle drei Faktoren stellen allein bereits ein Risiko für den Knochen dar.

Das Prostatakarzinom metastasiert typischerweise in die Knochen. Für die wahren Zahlen zur Häufigkeit müsste der Knochen natürlich auch untersucht werden. Das haben Bubendorf und Kollegen getan und im Jahr 2000 publiziert – Autopsien bei 1.589 Patienten mit einem Prostatakarzinom aller Stadien – 90% der Betroffenen hatten Knochenmetastasen. Halabi und Kollegen haben im Jahr 2016 insgesamt 8.820 Patienten mit einem mCRPC zusammengefasst – von diesen hatten 73% Knochenmetastasen. So oder so: zahlenmäßig relevant!

Das ausschließlich knochenmetastasierte Prostatakarzinom hat daher sogar eine eigene Tumorkategorie (M1b). Bei mehreren Metastasenlokalisationen handelt es sich dann um die Tumorkategorie M1c.

Eine androgendeprivative Therapie stellt (übrigens im Gegensatz zur antiandrogenen Therapie) einen zusätzlichen und hochrelevanten Risikofaktor für eine Reduktion der Knochendichte dar. Dabei gilt: der Verlust eines Punktes im T-Score bedeutet eine Verdopplung des Frakturrisikos. Dieses Problem besteht übrigens beim nichtmetastasierten wie auch beim metastasierten Prostatakarzinom. Beeindruckend sind die Daten aus einer Publikation von Shahinian und Kollegen zum Thema Androgendeprivation und Risiko für eine Knochenfraktur aus dem Jahr 2005. An etwa 50.000 Patienten mit einem Prostatakarzinom zeigt sich, dass die Frakturrate unter Androgendeprivation in den Therapiejahren 1–5 bei fast 20% liegt. Ohne Androgendeprivation liegt sie mit 11% deutlich darunter. Beide Zahlen sind höher als erwartet, oder?

Warum wird hier derart viel „ältere“ Literatur zitiert? Weil es schon erstaunlich ist, wie schlecht die Versorgungssituation zum Thema Knochengesundheit in Deutschland (aber auch die real world im Rest der Welt) untersucht ist – obwohl die Daten zur Knochenphysiologie und auch der Zulassungsstudien von knochenprotektiven Medikamenten doch bereits seit langem auf dem Tisch liegen.

Die Deutschen Uro-Onkologen (d-uo) haben drei verschiedene Umfragen zur medikamentösen Therapie durchgeführt, deren Ergebnisse hier erstmals ausführlich präsentiert werden.

Da ist zunächst die Untersuchung zur Häufigkeit und Art einer Knochenprotektion bei Patienten mit nichtmetastasiertem Prostatakarzinom (nmHSPC) und laufender androgendeprivativer Therapie. Hier geht es primär um die Verhinderung der Abnahme der Knochendichte und damit Senkung der Frakturgefahr. Jörg Klier und Kollegen haben etwa 800 Patienten mit einem nmHSPC untersucht. Etwa jeder fünfte Patient wird tatsächlich osteoprotektiv behandelt. Zuviel, zu wenig oder genau richtig?

Desweiteren die Frage nach Häufigkeit und Art der Knochenprotektion bei Patienten mit einem kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) mit Knochenmetastasen. In diesem Szenario geht es um eine Reduktion von „skeletal-related events“ (SRE). Zu den SRE gehören Knochenschmerzen mit Notwendigkeit einer aktiven Therapie (z.B. Analgetika, Strahlentherapie oder Operation), Senkung der Frakturgefahr oder Verhinderung einer Hyperkalzämie. Dabei stellt d-uo erneut „echte“ Daten von etwa 400 Patienten vor. Diese Daten sollten höherwertiger sein als Abrechnungsdaten oder Umfragen nach dem Motto „wie würden Sie behandeln“. Und es kommt heraus, dass wir auch hier nicht oft genug therapieren.

In der dritten Arbeit hat d-uo Radium-223 untersucht. Radium-223 zur Behandlung des mCRPC stellt einen Meilenstein in der Therapie des Prostatakarzinoms dar. Im Jahr 2018 wurde die Zulassung von Radium-223 auf bestimmt klinische Szenarien beschränkt. Obgleich die d-uo-Studie von Jores und Mitarbeitern „nur“ 123 Patienten umfasst, stellt sie eine der größten Fallserien zum Thema überhaupt dar. Besonders interessant sind die Umstände der Therapie – von der Indikation über die Kombination mit anderen Substanzen bis zur Wirkung und Nebenwirkung.

Handelt es sich bei den vorgelegten Untersuchungen von d-uo um eine Selektion? Ja, es handelt sich um eine Selektion durch uro-onkologischen tätigen Urologen/Urologinnen mit (mutmaßlich) überdurchschnittlichen Behandlungszahlen. Für die wahre Behandlungsrealität müssten tatsächlich alle Urologinnen und Urologen befragt werden und auch antworten. Das ist natürlich unrealistisch. Übrigens, wussten Sie, dass des Robert-Koch-Institut nicht nur fast 5 Jahre mit den Inzidenzzahlen für Tumorerkrankungen hinterherhinkt, sondern auch in mehr als 50% aller Fälle keine Daten zum Tumorstadium zeigen kann? Das ist dann auch eine Selektion. Trotzdem bringen uns derartige Zahlen weiter. Und sei es auch nur um eine Diskussion zum Thema in Gang zu setzen.

Es war nicht das Ziel der hier vorgestellten Arbeiten von d-uo, die nichtmedikamentösen Ansätze zur Verbesserung der Knochendicht näher zu untersuchen. Hierzu gehören körperliche Aktivität bzw. Vermeidung von Immobilisation, Verzicht auf Rauchen und übermäßigen Alkoholkonsum, Vermeidung von Untergewicht und Ernährung (oder Supplementation) mit ausreichend Kalzium. Aufgrund der unbestrittenen Wichtigkeit finden sie besondere Erwähnung in diesem Editorial.

In der Annahme, dass Sie jetzt richtig neugierig auf neue Daten aus der Versorgung in Deutschland geworden sind, wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre und eröffne die Diskussion.

Zum Schluss noch eine Bitte in eigner Sache: Ziehen Sie doch eine Mitgliedschaft bei d-uo in Betracht. Dann werden die Fragen, die in diesem Heft gestellt wurden, noch besser zu beantworten sein. Und die Fragen der Folgeprojekte erst…

Ihr

Christian Doehn



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Article published online:
24 November 2022

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