PiD - Psychotherapie im Dialog 2023; 24(01): 13-14
DOI: 10.1055/a-1817-9049
Editorial

Psychoonkologie

Barbara Stein
,
Alexandra Zaby

Krebs – was nun?

In Deutschland erkranken jedes Jahr circa 500 000 Menschen neu an einer onkologischen Erkrankung. An den Folgen ihrer Krebserkrankung versterben jährlich etwa 230 000 Menschen. Damit ist Krebs, nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, weiterhin die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt kontinuierlich, da wir alle zunehmend älter werden und mit zunehmendem Alter auch das Risiko für eine Krebserkrankung steigt. Jeder kennt jemanden, der an Krebs leidet, daran verstorben ist oder sich irgendwann deswegen behandeln lassen musste.

Die Medizin stößt, trotz eindrucksvoller Erfolge in der Therapie, nach wie vor häufig an ihre Grenzen. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Die Fortschritte in Früherkennung und Therapie, gerade bei früherkannten sowie bestimmten onkologischen Erkrankungen, führt zu verbesserten Überlebenschancen. Sogenannte Longterm-Survivor leben als Geheilte oder chronisch Kranke länger als 5 Jahre mit der Krebsdiagnose. Doch neben den körperlichen Langzeitfolgen der Erkrankung und Therapie können auch die psychosozialen Folgen ihre Lebensqualität beeinträchtigen.

Die Diagnose Krebs bedeutet Ängste und Fragen

Aber das sind ja nur die harten Fakten und Zahlen, die wenig über das Erleben der Menschen aussagen, die gerade mit dieser Erkrankung konfrontiert sind. Nach wie vor löst die Diagnose Krebs Hoffnungslosigkeit, Todesangst und Verzweiflung aus. Und natürlich auch viele andere Ängste: vor Schmerzen, Verlusten, Abhängigkeiten, dem Behandlungsprozedere – um nur ein paar zu nennen.

Vielen Menschen ist die Entstehung wie Erscheinung von Krebs unheimlich und bedrohlich. Dem Betroffenen bleibt die destruktive Autonomie des Körpers subjektiv lange Zeit verborgen. Die Erkenntnis, trotz des Gefühls der Gesundheit so schwer krank geworden zu sein, erschüttert unser körperliches Selbstvertrauen. Wie bei jeder Krankheit wird nun der sonst so zuverlässige und vertraute eigene Körper zum Objekt der Sorge und des Misstrauens. Viele Fragen tauchen auf: Warum gerade ich? Was habe ich falsch gemacht? Wie geht es nun weiter? Wie sage ich es meinen Liebsten? Muss ich sterben? Welchen Sinn hat diese Krankheit?

Sich als Psychotherapeut*in auf die Themen Krebs, Tod und Sterben einzulassen, erfordert Zeit und Raum. Und Mut und die Bereitschaft, sich der Destruktivität dieser Krankheit gemeinsam mit dem Patienten zu stellen. Zwar sind Vergänglichkeit, Krankheit und Tod Grundtatsachen unseres Lebens, aber in der Regel in unserem alltäglichen Erleben, Denken und Fühlen wenig präsent. Im Gespräch mit Krebspatienten werden unsere Abwehrprozesse bezüglich unserer eigenen Verlust-, Krankheits- oder narzisstischen Ängste infrage gestellt. Wir werden uns unserer eigenen Unvollkommenheit und Ohnmacht bewusst. Wahrscheinlich ist es wichtig, dies zuzulassen, um ein gutes Holding, Containing und Mentalisieren den Patient*innen und ihren Bezugspersonen zur Verfügung zu stellen.


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Psychoonkologie hat viele Dimensionen

Wie Sie sehen, ist die Psychoonkologie sehr facettenreich. Und so ist es nicht zufällig, dass wir nach 13 Jahren erneut ein Heft mit diesem Schwerpunkt herausgeben. Es hat sich doch viel getan in dieser Zeit! Der 2008 aufgelegte Nationale Krebsplan zielte auf eine Weiterentwicklung der onkologischen Versorgungsstrukturen und Sicherstellung einer effizienten onkologischen Behandlung [1]. Auch die Psychoonkologie als Teilbereich der Onkologie sollte so verbessert werden. Das Update der 2014 erschienen S3-Leitlinie „Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient*innen“ steht kurz vor der Freigabe [2].

Wir freuen uns, dass wir für dieses Heft ausgewählte Expertinnen und Experten gewinnen konnten: In unserer Rubrik Standpunkte skizziert Tanja Zimmermann den aktuellen Entwicklungsstand der Psychoonkologie. Den psychoonkologischen Versorgungsbedarf und -strukturen mit ihren Möglichkeiten, aber auch Grenzen diskutieren Isabelle Scholl und Svenja Wandke.

Die Beiträge aus der Praxis vermitteln spezifische psychoonkologische Themen und Interventionsansätze. Da sich in den letzten Jahren in der Onkologie enorme Entwicklungen ergeben, haben wir die Hämatoonkologin Marinela Augustin um eine Zusammenstellung der wichtigsten onkologischen Diagnostik- und Therapieoptionen gebeten. Es folgen Beiträge, die eher schulenspezifisch psychoonkologisch-psychotherapeutische Interventionen beschreiben: Sigrun Vehling und Kolleginnen übernehmen die psychodynamische Perspektive; Christina Sauer und Kollegen übertragen die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) in die Psychoonkologie; Georg Weißflog und Jochen Ernst thematisieren Ansatzpunkte für paartherapeutische Interventionen; systemische Ansätze in der Pädiatrie beschreiben Florian Schepper und Kollegen. Die spezifische Perspektive junger Krebspatienten wird durch Michael Köhler darstellt.

Progredienzangst und tumorassoziierte Fatigue sind häufige psychische Belastungen, deren psychoonkologische Behandlungsmöglichkeiten durch Andreas Dinkel und Petra Berg bzw. Hanna Hofmann beschrieben werden. Auf die Bedeutung kreativer psychotherapeutischer Verfahren in der Psychoonkologie weist die aktualisierte S3-Leitlinie hin. Daher dürfen natürlich die Kunst-, Musik- und Tanztherapie, vorgestellt von Harald Gruber, Ruth Hertrampf und Sabine Koch, sowie Imagination und Hypnose, beschrieben von Leonie Krauß und Klaus Hönig, in diesem Heft auf keinen Fall fehlen. Die Auswirkungen von Sport und Bewegung führen Joachim Wiskemann und Maximilian Köppel aus. Neuere Ansätze von E-Mental-Health in der Psychoonkologie vermitteln Johanna Graf und Kollegen. Unseren eigenen Umgang als Psychoonkolog*innen mit Tod und Sterben thematisiert Ralf Vogel. Frank Erbguth diskutiert die rechtlichen und ethischen Aspekte der Sterbehilfe. Und natürlich haben wir wieder hilfreiche Links und lesenswerte Bücher für Sie und Ihre Patient*innen zusammengestellt. Dies wurde von Lea Hochradel und Anne Tomm übernommen.

Es ist ein reichhaltiges Heft geworden – mit praktischen und fachlichen Informationen und kreativen Ideen für den psychoonkologischen Alltag. Wir danken an dieser Stelle allen Autorinnen und Autoren, die bereit waren, ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit uns zu teilen! Und nun freuen wir uns, dass wir Ihnen das Heft präsentieren können, und sind gespannt auf Rückmeldungen!

Mit herzlichen Grüßen

Barbara Stein, Alexandra Zaby


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Publication History

Article published online:
20 February 2023

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